
Finanzminister Markus Marterbauer im Gespräch mit KOMMUNAL-Chefredakteur Hans Braun über die kommunale Eigenverantwortung: „Die Reihung der Prioritäten muss auf lokaler Ebene erfolgen, idealerweise im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern.“
„Das Sparpotenzial ist da – retten kann sich jede Gemeinde nur selbst“
881 Millionen Euro schüttet der Bund aus, doch langfristige Entlastung für Österreichs Gemeinden bleibt ein Thema. Finanzminister Markus Marterbauer macht im Gespräch deutlich: Wer auf das nächste große Hilfspaket wartet, wartet vergeblich. Effizienz, Prioritätensetzung und mehr Eigenfinanzierung – das sei der Weg aus der Krise.
Die Gemeinden in Österreich stehen unter Druck: Steigende Personalkosten, teure Bauvorhaben, Energiepreise und kaum reformierte Einnahmeninstrumente belasten die Kommunalbudgets zunehmend. Im Interview mit KOMMUNAL zeichnet Finanzminister Markus Marterbauer das Bild einer schwierigen Finanzlage – aber auch einer notwendigen Reformdynamik.
881 Millionen Euro für kommunale Investitionen – mehr als nur Symbolpolitik?
„Der Wohlstand in der Republik wird entscheidend durch Investitionen der Gemeinden gesichert“, betont Marterbauer zu Beginn des Gesprächs. Die unlängst beschlossene Novelle der Kommunalinvestitionsgesetze bringt 881 Millionen Euro als direkte Zuweisung an Städte und Gemeinden – ohne Antragspflicht oder Kofinanzierungspflicht. Damit soll ein Impuls für dringend notwendige Investitionen gesetzt werden – von Photovoltaikprojekten bis zum Ausbau der schulischen Nachmittagsbetreuung.
Dabei setzt Marterbauer auf kommunale Eigenverantwortung: „Die Reihung der Prioritäten muss auf lokaler Ebene erfolgen, idealerweise im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern.“ Ein neues Freibad könne sinnvoll sein, müsse sich aber in Konkurrenz zu Maßnahmen stellen, die langfristig höhere Einnahmen oder Einsparungen versprechen.
Laufende Kosten bleiben ungelöst – Investitionen sind kein Allheilmittel
Trotz des Investitionspakets bleiben strukturelle Herausforderungen: Energie, Personal und Baukosten steigen, Umlagen an die Länder belasten zusätzlich. Laut Marterbauer sind diese Probleme nur zum Teil durch Investitionen zu kompensieren – etwa wenn neue Gebäude energieeffizient gebaut werden.
Hoffnung macht er den Gemeinden dennoch: Im Rahmen der Budgetsanierung des Bundes seien rund ein Drittel der Maßnahmen auf der Einnahmenseite angesetzt – mit positiven Folgen für die Ertragsanteile der Kommunen. Bis 2029 sollen daraus 1,2 Milliarden Euro zusätzlich fließen. „Aber das wird nicht reichen“, gibt er zu und fordert eigene Strategien der Gemeinden betreffend Einnahmen und Ausgaben.
Kommunalsteuer, Grundsteuer B und der Mut zur Einnahmenreform
Ein Dauerbrenner bleibt die Grundsteuer B – ihre Bemessungsgrundlage stammt zum Großteil aus dem Jahr 1973. Die Gemeinden verlieren laut Berechnungen jährlich Hunderte Millionen Euro. Marterbauer teilt die Kritik, spricht davon, dass die Grundsteuer mittlerweile eine „Bagatellsteuer“ ist, verweist aber auf die Autonomie der Gemeinden.
„Am Bund wird es nicht scheitern, wir sind derzeit jedoch in der Beobachterrolle“, sagt er – und appelliert an Gemeindebund und Städtebund, ein gemeinsames Reformmodell vorzulegen. Auch mit Blick auf das deutsche Flächenmodell sieht er Chancen für mehr Gerechtigkeit und Einnahmenstärke.
Kooperation statt Fusion – der neue Weg zu mehr Effizienz
Ein zentrales Thema im Interview ist die stärkere Kooperation von Gemeinden – ohne strukturelle Zusammenlegungen. „Die Gemeindedienstleistungsverbände haben riesiges Potenzial“, so Marterbauer. Als Beispiel nennt er Abwasserverbände oder gemeinsame Feuerwehranschaffungen: „Wenn acht Gemeinden gemeinsam ein Fahrzeug kaufen, ist das wirtschaftlicher.“ Besonders in der IT, Buchhaltung und Steuererhebung sieht er Sparpotenzial.
Die Gemeinden könnten so hohe Millionenbeträge sparen – und müssten nicht auf Hilfen des Bundes warten. „Das Geld liegt auf der Straße“, sagt der Minister pointiert. Die Verantwortung sieht er eindeutig auf kommunaler Ebene.
Rückblick: Der Österreich-Konvent und das vergessene Konnexitätsprinzip
Die heutigen Herausforderungen erinnern frappierend an Debatten des frühen 21. Jahrhunderts. Im sogenannten Österreich-Konvent (2003–2005) wurden ähnliche Probleme bereits systematisch analysiert.. Kritisiert wurde damals die „verantwortungsfreie Mittelverwendung“, also die Entkoppelung von Aufgaben und Finanzierung. Der Konvent forderte ein klares Konnexitätsprinzip: Wer Aufgaben zuweist, muss sie auch finanzieren.
Die Realität 20 Jahre später zeigt: Vieles wurde nicht umgesetzt. Noch immer müssen Gemeinden Aufgaben übernehmen, ohne dass dafür ein klarer Kostenersatz garantiert ist. Marterbauer selbst nennt heute das Verhältnis zwischen Gemeinden und Ländern – Stichwort Sozialumlagen – als einen zentralen Schmerzpunkt. Der Bund könne das nicht lösen, so der Minister, hier brauche es faire Regeln im föderalen Miteinander.
Finanzausgleich ab 2026 – Erwartungen und Warnungen
Die große Reformchance könnte 2026 kommen, wenn der nächste Finanzausgleich vorbereitet wird. Gemeindebund und Städtebund fordern eine Änderung des vertikalen Verteilungsschlüssels zugunsten der Kommunen. Marterbauer bremst jedoch die Erwartungen: „Ein großer Teil dessen, was zu verteilen ist, ist bereits vergeben.“ Die Gemeindemilliarde und höhere Ertragsanteile seien ein starkes Signal gewesen – mehr Spielraum gebe es derzeit nicht.
Trotzdem sieht er Reformbedarf – auch im Sinne einer Aufgabenorientierung, wie sie schon der Österreich-Konvent forderte. Geld müsse dort fließen, wo Leistungen tatsächlich erbracht werden.
Föderalismus, Reformdruck und der Faktor Zeit
Auf die Frage, wie viel Zeit Gemeinden und Länder noch haben, verweist Marterbauer auf das Tempo der Bundesreform: „Wir haben in zehn Wochen ein Sparpaket von neun Milliarden Euro aufgestellt.“ Auch die anderen Gebietskörperschaften müssten nun rasch handeln – etwa durch Kooperation, Prioritätensetzung und Einnahmenerhöhung.
Die finanzielle Lage sei vielerorts dramatisch – über die Hälfte der Gemeinden seien bereits Abgangsgemeinden. Der Minister warnt davor, alles auf den Bund zu projizieren: „Die Lösungen müssen von unten kommen.“
Gold-Plating und EU-Vorgaben – gezielt mehr oder weniger?
Zum Abschluss des Gesprächs geht es um EU-Vorgaben – etwa zum Klimaschutz oder zur Kinderbetreuung – und das oft kritisierte sogenannte „Gold-Plating“. Marterbauer differenziert: In Bereichen wie Klima und Sozialstandards sei ein Übererfüllen der EU-Vorgaben sogar wünschenswert. „Das ist Gold-Plating im besten Sinn.“ In anderen Fällen – etwa bei Bürokratie- oder Berichtspflichten – müsse man dagegen evaluieren, ob der Mehraufwand sinnvoll sei. „Jede Maßnahme muss einzeln bewertet werden.“
Als Fazit bleibt für Gemeinden und Länder: Pragmatismus mit ökonomischer Bodenhaftung. Markus Marterbauer bleibt seiner Linie treu: kein Pessimismus, aber auch kein Schönreden. Er setzt auf kommunale Eigenverantwortung und evidenzbasiertes Budgethandeln und betont die Notwendigkeit klarer Prioritäten. Mit Blick auf Keynes* sagt er: „Investieren in der Krise ist richtig – aber nicht auf Pump ohne Limit, denn das birgt große Risiken am Finanzmarkt. Und auch davor hat Keynes gewarnt.“ Dass Finanzminister Marterbauer trotz allem keinen kulturpessimistischen Ton anschlägt, spricht für eine Reformbereitschaft, die nicht auf Schlagzeilen aus ist – sondern auf Lösungen.
* Der sogenannte Keynesianismus, benannt nach dem britischen Ökonomen John Maynard Keynes, ist eine wirtschaftspolitische Theorie, die davon ausgeht, dass der Staat aktiv in die Wirtschaft eingreifen soll – besonders in Krisenzeiten. Zentral ist die Idee, dass Nachfrage die treibende Kraft der Wirtschaft ist.
Wenn die private Nachfrage (z. B. Konsum und Investitionen) zu schwach ist, soll der Staat durch höhere Ausgaben oder Steuersenkungen gegensteuern. Ziel: Arbeitslosigkeit verringern, Konjunktur beleben.
Die Kerngedanken sind, dass der Staat in Krisen Geld ausgibt, um Nachfrage zu stützen, und dass er in Hochphasen spart, um Schulden wieder abzubauen. Langfristig soll sich das ausgleichen.
Kurz gesagt: „Sparen in der Hochkonjunktur, investieren in der Krise“ – das ist Keynes pur.