Hofburg in Wien
Die Hofburg in Wien.
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Kaiserin Sisi meets IoT

Wenn historische Wasserrohre spurlos im Mauerwerk verschwinden und niemand weiß, wohin sie führen, hilft nur eins: warten, bis jemand schreit. Diese wenig professionelle, aber durchaus gängige Praxis hat Burghauptmann Reinhold Sahl beim IFM-Kongress als Ausgangspunkt für ein bemerkenswertes Projekt beschrieben: die digitale Transformation der Hofburg. Was hier entwickelt wird, ist für die 55.000 Gebäude österreichischer Gemeinden hochrelevant – denn die meisten Lösungen sind flexibel, kostengünstig und auf andere historische Objekte übertragbar.

Die Österreichische Burghauptmannschaft verwaltet als Dienststelle des Wirtschaftsministeriums das baukulturelle Erbe der Republik. 65 historische Liegenschaften mit rund 400 Objekten, 1,5 Millionen Quadratmeter Nutzfläche, 1000 unterschiedlichste Nutzer – vom Bundespräsidenten über Museen bis zu Theaterwissenschaften. Der Hofburg-Komplex allein umfasst 250.000 Quadratmeter mit extremer Mischnutzung. „Das ist einer der größten Baukomplexe weltweit mit dieser Nutzungsvielfalt“, erklärt Sahl.

Die Herausforderung: Denkmalschutz trifft Energieeffizienz

Historische Gebäude können nicht einfach nach modernen Standards saniert werden. „Ein ungenutztes historisches Objekt ist nichts wert, weil es im Ansehen der Bevölkerung Verfall darstellt“, bringt Sahl das Dilemma auf den Punkt. Die Objekte müssen genutzt werden – aber wie bringt man sie auf einen zeitgemäßen energetischen Standard, ohne ihre Substanz zu zerstören?

Die Burghauptmannschaft ist seit 2015 nach ISO 14001 umweltzertifiziert und hat eine eigene Umweltpolitik formuliert, die bereits viele ESG-Kriterien abdeckt – lange bevor ESG-Reporting zur Pflicht wurde. Der Bund unterliegt den SDG-Zielen der UN und dem System der nachhaltigen Beschaffung. „Wir haben eine besondere Vorbildrolle", betont Sahl.

Interessanterweise schneiden die historischen Gebäude in der Energiebilanz teilweise besser ab als moderne Bauten. „Wir erleben mit der Bauphysik viel, was andere mit Haustechnik lösen müssen – immer betrachtet im Lebenszyklus“, erklärt der Burghauptmann. Kurzfristig mag Haustechnik günstiger sein, langfristig zahlt sich die Bauphysik aus.

Kastenfenster: Vom Problem zur Lösung

Ein Paradebeispiel für intelligentes Gebäudemanagement sind historische Kastenfenster. Während moderne Planungsansätze reflexartig zum Austausch raten, hat die Burghauptmannschaft erkannt: Richtig genutzt sind Kastenfenster hocheffiziente Energiesparer. Der Hohlraum zwischen den Scheiben wirkt als Pufferzone, die Wärme im Winter speichert und im Sommer abhält.

„Wir haben gelernt, mit diesen historischen Elementen zu arbeiten, statt gegen sie", berichtet Sahl. Diese Erkenntnis ist für kommunale Bauherren von enormer Bedeutung: Nicht jede historische Bausubstanz muss teuer ersetzt werden. Oft genügt es, sie richtig zu verstehen und zu nutzen.

Die technische Lösung: IoT trifft auf 3D-Scan

Das Herzstück des Energiemonitoring-Systems ist eine Kombination aus IoT-Sensoren, Smart-Meter-Adaptern und moderner Industrierouter-Technologie. „Die Technik selbst ist mittlerweile Handwerk", sagt Sahl nüchtern. „Die Herausforderung liegt in der praktischen Umsetzung."

Und die hat es in sich. Die zentrale Frage: Wie erfasst man Energieflüsse in einem jahrhundertealten Gebäude, dessen Leitungsverläufe niemand mehr kennt? Die Burghauptmannschaft hat dafür eine zweistufige Lösung entwickelt:

Stufe 1: Sub-Messung auf Haus-Eingangs-Ebene

Statt jeden einzelnen Raum zu vermessen, wird auf der ersten Ebene – dem Hauseingang – verdichtet gemessen. Dort werden Smart-Meter installiert, die den Verbrauch für ganze Gebäudeteile erfassen. „Wir haben eine Hauptwasserleitung, wir haben eine Wasseruhr, und dann geht es weiter – und kein Mensch weiß wohin. Irgendwann wurde das vor 30, 40 Jahren eingebaut", beschreibt Sahl die Ausgangssituation lakonisch.

Durch die Submessung wird nun sichtbar, welcher Nutzer welche Verbräuche verursacht: die Hofburg-Kapelle, Teile des Kongresszentrums, verschiedene Büros. „Interessanterweise können wir die Kosten jetzt umlegen. Das heißt, wir tun etwas für unsere Nutzer – aber es geht auch in die andere Richtung", sagt Sahl. Die Nutzer werden sich ihrer Verbräuche bewusst und können gezielt sparen.

Stufe 2: 3D-Dokumentation der Infrastruktur

Die zweite Innovation klingt zunächst simpel: Die Burghauptmannschaft hat alle Keller- und Dachbereiche mittels 3D-Scan erfasst. „Wir haben zu Beginn gar nicht gewusst, was wir damit tun“, gibt Sahl zu. Doch die Kooperation mit der Universität Innsbruck (Kali-Software) hat aus dem 3D-Scan ein mächtiges Werkzeug gemacht.

Das System funktioniert wie Google Street View für Gebäudetechnik: Jeder Mitarbeiter kann sich per Laptop virtuell durch die Kellerräume bewegen, Rohrleitungen verfolgen, technische Anlagen lokalisieren. Besonders clever: Der Brandschutzkoordinator hat überall seine Etiketten mit Telefonnummer angebracht. Eine Suche nach seinem Namen zeigt sofort alle Brandschutzanlagen im gesamten Komplex.

„Ich kann zum Beispiel suchen: Ich habe eine Pumpe, die ist in 30 Jahren eingebaut worden. Wie viele habe ich von dem Ding? Ich gebe den Typ ein und das System sucht mir im ganzen Hofburg-Bereich, wo ich diese Pumpe habe", erklärt Sahl. Das ermöglicht strategische Sanierungsentscheidungen: Wie viele Bauteile des gleichen Typs sind betroffen? Lohnt sich ein Austausch in Serie?

Die Königsdisziplin: Verknüpfung der Systeme

Das eigentliche Potenzial entfaltet sich durch die Verknüpfung beider Systeme. Wenn ein Sensor Alarm schlägt, springt das System automatisch zur betroffenen Stelle im 3D-Modell. „Ich brauche nicht mit einer Liste nachzuschauen, sondern die Systeme sind verknüpft und er schiebt mich sofort virtuell in diesen Raum", beschreibt Sahl den Workflow.

Von dort aus kann die Bauabteilung, die Haustechnik oder ein externes Sanierungsunternehmen direkt informiert werden. Alle arbeiten mit demselben visuellen Bezugssystem – Missverständnisse über welche Pumpe im dritten Keller“ gehören der Vergangenheit an.

Praktische Hürden und Lösungen

Sahl verschweigt nicht die Probleme, die im Alltag auftreten:

  • Sensor-Diebstahl und Vandalismus: In öffentlich zugänglichen Bereichen verschwinden Sensoren regelmäßig. Lösung: Sicherheitsbereiche, Einsperren, Umhausungen.
  • Einheitliche Benennung: Wie bezeichnet man Sensoren so, dass sie mit der Objektverwaltung verknüpfbar sind? Die Burghauptmannschaft hat ein durchgängiges Benennungsschema entwickelt, das über alle Objekte funktioniert.
  • Systemintegration: Verschiedene Nutzer haben verschiedene Systeme. Die Herausforderung: alle davon zu überzeugen, Daten zu teilen und mitzumachen.
  • Datenschutz und Privatsphäre: Energiemonitoring bedeutet auch, Nutzungsverhalten zu erfassen. Ein sensibles Thema, das transparente Kommunikation erfordert.

Vom Monitoring zur Optimierung

„Wir wollen nicht nur Daten analysieren, weil es uns Spaß macht\", betont Sahl. „Wir wollen vergleichen, welche Sanierungsentscheidungen welche energetischen Erfolge gebracht haben." Die Daten ermöglichen Hochrechnungen: Wenn Maßnahme X in Gebäude A ein bestimmtes Ergebnis bringt – was passiert, wenn wir das Gleiche in Gebäude B machen?

Das System erkennt auch ungenutzte Räume oder ineffiziente Nutzungsmuster. „Wir können den Nutzern sagen: Könntest du nicht die Büros auf der einen Seite verlegen und die Besprechungsräume auf der anderen Seite? Oder könntest du deinen Betrieb so verändern, dass die stark beheizten Räume weniger genutzt werden?", erklärt Sahl.

Er weiß: „Das ist ein großer Eingriff in die individuelle Denk-Aware." Aber ohne diese Daten seien Einsparungsziele schlichtweg nicht erreichbar. Die Kunst bestehe darin, die Nutzer mitzunehmen und ihnen den Mehrwert zu zeigen.

Soziale Innovation: Neue Jobs für Menschen mit Behinderung

Ein bemerkenswerter Nebeneffekt des digitalen Monitorings: Es entstehen neue Arbeitsplätze, die ideal für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen sind. „Der Bund arbeitet mit Planstellen. Wenn sie aufgebraucht sind, kann er keine Leute einstellen. Ich bekomme aber keine Planstellen mehr", erklärt Sahl die Ausgangslage.

Die Lösung: Das gilt nicht für begünstigte Behinderungen über 50 Prozent. Diese Menschen kann ich einstellen, ohne dass ich Planstellen brauche." Das neue Überwachungszentrum – Sahl vergleicht es mit der Brücke eines Kreuzfahrtschiffes – ist perfekt für Menschen geeignet, die nicht mobil sein müssen, aber hervorragend analytisch arbeiten können.

„Wir trennen die analytische Arbeit, die entscheidende Ebene, von der operativen, die draußen ist", beschreibt Sahl den Ansatz. Ein Entwicklungsprozess, der durch die Technik erst möglich wird – und der zeigt, dass Digitalisierung auch soziale Innovation bedeuten kann.

Was Gemeinden daraus lernen können

Die Lösungen der Burghauptmannschaft sind keine Science-Fiction für Großobjekte. Sie sind skalierbar und übertragbar:

  • Kostengünstig: IoT-Sensoren und Smart-Meter sind erschwinglich. Die 3D-Scan-Technologie wird zunehmend günstiger.
  • Flexibel: Die Systeme können schrittweise eingeführt werden. Man muss nicht alles auf einmal umsetzen.
  • Gering invasiv: Besonders bei denkmalgeschützten Gebäuden ein entscheidender Vorteil. Die Bausubstanz wird nicht angetastet.
  • Österreichische Wertschöpfung: Die Technologie wird in Kooperation mit TU Wien und Universität Innsbruck entwickelt. Der Rollout erfolgt durch heimische Firmen.
  • Mehrfachnutzen: Die Daten dienen nicht nur dem Energiesparen, sondern auch der Wartungsplanung, der Brandschutzdokumentation und strategischen Sanierungsentscheidungen.

Europäische Dimension: Wissen teilen

Die Burghauptmannschaft entwickelt nicht nur für sich selbst. Seit 2013 ist sie in europäischen Projekten aktiv. Das MODIFY-Projekt etwa hat eine eigene Ausbildungsschiene für historisches Gebäudemanagement geschaffen – die European Heritage Academy. „Nicht für die handwerkliche Ebene, sondern für die entscheidende Ebene", betont Sahl.

Die Ausbildung umfasst Maintenance Manager Assistants, Digital Manager für die Digitalisierung im historischen Bereich und Energieexperten – alles in Kooperation mit dem Bundesdenkmalamt. Das Wissen wird aktiv geteilt und steht auch kommunalen Gebäudeverwaltern zur Verfügung.

Pragmatismus statt Perfektionismus

Was Reinhold Sahls Vortrag besonders wertvoll macht, ist seine Ehrlichkeit. Er verschweigt nicht die Schwierigkeiten, die Rückschläge, die Lernkurven. „Es ist schon ein Weg, der nicht so easy läuft und der auch seine Höhen und Tiefen hat“, gibt er zu.

Aber genau das macht die Lösungen glaubwürdig und übertragbar. Die Burghauptmannschaft hat nicht die perfekte Blaupause entwickelt, sondern einen pragmatischen Werkzeugkasten, der sich an realen Problemen bewährt hat. Für kommunale Entscheidungsträger bedeutet das: Man muss nicht alles auf einmal richtig machen. Man kann schrittweise vorgehen, aus Fehlern lernen und die Lösungen an die eigenen Bedürfnisse anpassen.

Die Hofburg zeigt: Historische Bausubstanz und moderne Energiewende sind kein Widerspruch. Es braucht nur den Mut, neue Wege zu gehen – und die Bereitschaft, dabei auch mal zu scheitern und neu anzufangen. Ein Leitmotiv, das für jede Gemeinde gilt, die ihre historischen Gebäude fit für die Zukunft machen will.

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