Werner Kogler
Werner Kogler: "„Wir sind wachsam, um Angriffe durch Liberalisierung und Privatisierung abzuwehren.“
© Die Grünen

„Wir streiten für ein Europa der Gemeinden und Regionen“

In Europa gibt es mehr als 100.000 Gemeinden, die sich um die Anliegen der Bürger vor Ort kümmern: Wie wollen Sie die Rolle der Gemeinden in Europa stärken?

Die im Vertrag von Lissabon erfolgte Anerkennung und Aufwertung der Gemeinden zeigt, dass die EU ein klares Bekenntnis für starke Gemeinden zeigt (z. B. Subsidiaritätsklage).

Monika Vana hat als regionalpolitische Sprecherin der Grünen im Regionalausschuss des Europäischen Parlaments immer wieder die zentrale Rolle von Gemeinden und Städten betont, wenn es um die Themen geht, die das Leben von Menschen im Alltag bewegen.

Auf europäischer Ebene laufen derzeit Verhandlungen über Handelsabkommen, die die öffentliche Daseinsvorsorge gefährden könnten. Die Tendenz, gerade Leistungen der Gemeinden wie etwa die Wasserversorgung oder Abfallwirtschaft zu privatisieren, birgt die Gefahr von Qualitätseinbußen. Wir sind hier wachsam, um Angriffe durch Liberalisierung und Privatisierung abzuwehren.

Mehr als 1.000 Europa-Gemeinderäte sind Sprachrohr und Vermittler der europäischen Idee in Österreichs Gemeinden. Ihr Motto ist „Europa fängt in der Gemeinde an!“: Was verbinden Sie damit?

Unser Ziel ist es, Europa den Bürgerinnen und Bürgern näher zu bringen. Dazu brauchen wir starke Gemeinden und einen regelmäßigen Austausch von Best-Practice Beispielen sowie auch die Förderung von EU-Beauftragten in den Gemeinden. Sie sind die ersten Kontakte, wenn es um Sorgen oder Anliegen zu Europa geht. Als zentrale Anlaufstelle und Drehscheibe für Europa-Themen sorgen sie für Sichtbarkeit. Dafür brauchen wir effektivere Vernetzung der Akteurinnen und Akteure auf den verschiedenen Ebenen sowie Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote für die EU-Beauftragten.

Egal ob es um den Brexit, die Trinkwasserrichtlinie oder diverse Auswirkungen der Brüsseler Bürokratie: Das Thema „EU“ kommt meist nur in Form negativer Berichterstattung vor. Wie kann erreicht werden, dass das die Menschen ein positiveres Bild von der Union bekommen?

Es ist sehr populär in den EU Mitgliedstaaten, gegen die EU und ihre Bürokratie zu wettern.

Für nationale Staats- und Regierungschefs ist es angenehmer, die Verantwortung für Entscheidungen, die sie selbst im Rat mitgetragen haben, an das „ferne“ Brüssel abzuwälzen.

Die Verantwortung liegt also bei den Politikerinnen und Politikern auf allen Ebenen, aber auch bei den (nationalen) Medien, ausreichend darüber zu informieren, welche positiven Auswirkungen aktuelle EU Politik auf das alltägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger hat.

Was würden Sie von einem europäischen Nachrichtenportal a la CNN halten, damit nicht Boulevardmedien das Bild der EU verzerren?

Wir treten für eine stärkere Förderung der gemeinsamen europäischen Öffentlichkeit ein, um die europäische Identitätsbildung zu stärken. Dabei darf nicht vergessen werden, dass gerade eine Generation ohne Fernsehen aufwächst. Darum sollte der Fokus hier auch auf soziale Medien und Internetplattformen gerichtet werden.

Fake News und Desinformation können nur durch unabhängigen und ausfinanzierten Investigativjournalismus bekämpft werden. Die Kommission und die Mitgliedstaaten müssen da die Rahmenbedingungen und die Finanzierung bereitstellen.

Öffentlich-rechtliche Modelle können hochwertigen Journalismus auch abseits von Werbe- und Regierungsinteressen finanzieren. Hier braucht es mutige Experimente, um Redaktionen flexiblen Zugang zu solchen Finanzquellen zu ermöglichen.

Der eigentlich positiv besetzte Begriff „Subsidiarität“ wird derzeit vielfach dazu benutzt, um eine Renationalisierung von Kompetenzen zu fordern. Wie kann man erreichen, dass daraus eine „echte“ Subsidiarität entsteht, die die EU schlagkräftiger machen kann und zu einer besseren Akzeptanz der Union in der Bevölkerung führen kann?

Es ist richtig, dass so viele Entscheidungen wie möglich auf kommunaler Ebene getroffen werden. Das Subsidiaritätsprinzip – also Entscheidungen möglichst bürgernahe zu treffen – ist die Grundlage für ein erfolgreiches Europa.

Wir fordern eine weitere Aufwertung der Regionen durch eine verbesserte Subsidiaritätskontrolle, z. B. durch Verlängerung der Acht-Wochenfrist beim Einreichen von Rügen.

Die EU muss da unterstützend wirken, wo Gemeinden an ihre Grenzen stoßen. Nicht alles in Europa muss gleich gemacht werden. Und nicht jeder Lebensbereich soll reguliert werden.

Der europäische Binnenmarkt ist eine wichtige Errungenschaft, aber die Umsetzung seiner Wettbewerbsregeln darf nicht dazu führen, dass Gemeinden zum Beispiel zur Privatisierung von öffentlichen Gütern gezwungen werden. Ein Ausverkauf öffentlicher Aufgaben in der Daseinsvorsorge ist mit grünen Überzeugungen nicht vereinbar.

Die Selbstbestimmung der Regionen und Gemeinden muss auch in Zukunft fester Bestandteil eines geeinten Europas sein.

Viele Gemeinden sehen die Digitalisierung, vor allem den flächendeckenden Glasfaserausbau, als Aufgabe der Daseinsvorsorge. Trotzdem bleiben vor allem ländliche Gemeinden „auf der Strecke“. Wie kann die EU hier Abhilfe schaffen?

Die EU hat für ländliche Gemeinden das WIFI4EU Förderungsprogramm geschaffen, wo sich Gemeinden für Internet für alle bewerben können. Dieses Programm wird in Tranchen bis 2020 ausgeschüttet. Bei Erfolg werden wir uns für eine Verlängerung des Programms bemühen.

Ein Kritikpunkt von uns waren die Vergabekriterien, denn bis dato kommen zuerst die Gemeinden und Kommunen dran, die sich zuerst bewerben. Das bedeutet: Wenn der Zugang über die Reihenfolge der Bewerbungen nicht geregelt ist, dann kann das dazu führen, dass sich große, leistungsfähige Gemeinden als erstes bewerben, und dieses Geld nicht dorthin kommt, wo wir es eigentlich haben wollten, nämlich in kleine, strukturschwache Regionen und Gemeinden. Bei einem erneuten Aufsetzen des Programms fordern wir diesbezüglich eine Verbesserung.

Könnten Sie sich vorstellen, dass der Ausschuss der Regionen zu einer echten Länderkammer auf europäischer Ebene aufgewertet wird und bei regionalen Fragestellungen Mitbestimmungsrecht hat?

Wir streiten für ein Europa der Gemeinden und Regionen: Wir wollen das Mitspracherecht von Gemeinden und Regionen stärken, z. B. durch Aufwertung des Ausschusses der Regionen und durch Unterstützung des Zusammenschlusses in thematischen Netzwerken wie dem "Konvent der Bürgermeister*innen für Klima und Energie" oder "Cities for Mobility".