Gerhard Karner
Gerhard Karner: „In Zeiten von Social Media können radikalisierte Einzeltäter immer und überall sein. Die Radikalisierung passiert nicht mehr in Hinterhofmoscheen, sondern online. Das ist die große Herausforderung.“
© KOMMUNAL/Thomas Max

Interview

„Demokratie braucht Zeit“

Gerhard Karner war Bürgermeister im niederösterreichischen Texingtal sowie Landtagsabgeordneter und Landtagspräsident. Im Interview spricht er über die Herausforderungen der öffentlichen Verwaltung im digitalen Zeitalter, die Bedeutung von Cybersicherheit in Gemeinden, Reformbedarf im Wahlrecht sowie die Rolle der Polizei als Partnerin der Kommunen.

Der Amoklauf in Graz hat das ganze Land erschüttert. Welche Rolle spielen Städte und Gemeinden beim Schutz von Schulen vor solchen Gewalttaten?

Diese Wahnsinnstat hat unser Land erschüttert. Gesetze werden verschärft und zusätzliche Maßnahmen ergriffen. Die Polizei wird dabei, so wie bisher, beraten und gemeinsam mit den Schulerhaltern und den Schulleitungen an Konzepten arbeiten. Lösungen müssen aber vor Ort und gemeinsam erarbeitet werden. 

Der Staat muss sparen. Personalkürzungen bei der Polizei wurden trotzdem ausgeschlossen. Müssen Gemeinden aber fürchten, dass es wieder zur Schließung von Posten kommt?

Nein, zentralistisch von Wien aus gesteuert, sicher nicht. Allerdings gibt es manchmal von Gemeinden Überlegungen, Strukturen zu überarbeiten. Hier gibt es Beispiele in Tirol und Oberösterreich. Dann bieten wir Unterstützung an, es gab aber keine zentrale Steuerung – sondern vielmehr einen engen Dialog zwischen Landespolizeidirektionen und Gemeinden. 

Die Aktion „Gemeinsam sicher“ läuft nun schon seit mehreren Jahren. Gibt es eine Evaluierung, was sie gebracht hat?

Wir evaluieren ständig, was wir tun. Daher weiß ich, dass „Gemeinsam sicher“ ein Erfolgsprojekt ist. Es unterstreicht, was die Polizei ist, nämlich Partner und Helfer; und dass sie mit den Gemeindevertreterinnen und -vertretern auf Augenhöhe kommuniziert, um für die Bevölkerung da zu sein.

„Gemeinsam sicher“ wurde um das Thema Cyberkriminalität erweitert. Was ist in diesem Bereich geplant?

Wir haben eine Vereinbarung mit dem Gemeindebund unterzeichnet, die zwei wesentliche Bereiche abdeckt: einerseits Schulungen für Gemeindebedienstete, um sie auf Hackerangriffe vorzubereiten, und andererseits wollen wir Gemeinden bei Informationsveranstaltungen für die Bevölkerung unterstützen.

Die Cybersicherheits-Richtlinie (NIS-Richtlinie) der EU soll die Resilienz und die Reaktion auf Sicherheitsvorfälle des öffentlichen und des privaten Sektors in der EU verbessern. Bisher wurde sie in Österreich aber noch nicht umgesetzt, und ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich und andere Mitgliedsstaaten steht im Raum. Woran scheitert die Umsetzung?

Die NIS-Richtlinie soll kritische Netze und Infrastrukturen bestmöglich schützen. Die Aufgabe der Staaten ist es, die Richtlinie so umzusetzen, dass die Betroffenen damit umgehen können. Ich sehe es als unseren Auftrag, hier zu beraten und nicht zu bestrafen. Das muss gut vorbereitet werden, und wenn es länger dauert, dann ist das eben so.

Gemeinden sind von der Richtlinie zwar ausgenommen, sehr wohl aber können sie über ihre Regiebetriebe (Wasser, Abwasser oder Abfallbewirtschaftung) erfasst sein. Mit den Vorgaben (Registrierung, IT-Sicherheitsvorgaben, Schulungen, Risikomanagement) fällt eine Menge an Aufwand an. Wird den Gemeinden und ihren Unternehmungen bei der Umsetzung geholfen? 

Egal ob man unter eine Richtlinie fällt oder nicht: vor einer Cyberattacke ist niemand gefeit. Daher muss man Vorbereitungen treffen und in die Prävention investieren. Hier werden wir Beratungen anbieten. Es muss auch eine sogenannte NIS-2-Behörde eingerichtet werden. Es gibt aber noch keine gesetzliche Grundlage dafür. 

Wie ist derzeit die Situation mit Staatsverweigern? In letzter Zeit hört man da wenig.

Die Szene ist eine Spur ruhiger geworden. Vor allem im Vergleich zu Deutschland, wo die dortige „Reichsbürger“-Szene sehr groß ist. Und beschäftigt derzeit vor allem islamistischer Extremismus.

Beim islamistischen Extremismus hat man ja lange Zeit gedacht, dass das nur ein städtisches Problem ist, aber wie der Fall um das verhinderte Attentat auf die Taylor-Swift-Konzerte zeigt, kann Radikalisierung auch in kleineren Gemeinden stattfinden ... 

In Zeiten von Social Media können radikalisierte Einzeltäter immer und überall sein. Die Radikalisierung passiert praktisch kaum mehr in Hinterhofmoscheen, sondern online. Das ist die große Herausforderung.

 Das Wahlrecht wurde vor zwei Jahren novelliert – durchaus mit einigen Verbesserungen für Gemeinden. Im Regierungsprogramm ist von keiner weiteren Novelle die Rede. Dabei gibt es von den Gemeinden weitere Änderungs- und Deregulierungsvorschläge. Wird es zeitnah weitere Reformen des Wahlrechts geben?

Seitens des Innenministeriums sind derzeit keine neuerlichen Änderungen geplant. 

In manchen Ländern wird E-Voting schon seit Jahren praktiziert. Mit der Möglichkeit, per ID-Austria Volksbegehren zu unterschreiben wurde die Bürgerbeteiligung und Partizipation auf elektronischem Weg auch in Österreich salonfähig. Wird es demnächst einen Anlauf für eine elektronische Stimmabgabe geben?

Derzeit wird die ID Austria überarbeitet, sie muss noch bürgerfreundlicher werden. Wählen per ID Austria ist derzeit nicht geplant.

Immer weniger Menschen, die ein Volksbegehren unterstützten wollen, gehen dazu ins Gemeindeamt. Ein überwiegender Anteil gibt seine Stimme digital ab und das nicht in der „Eintragungswoche“, sondern in dem bis zu zwei Jahre dauernden Unterstützungszeitraum. Dennoch müssen Gemeinden ihre Gemeindeämter weit über die regulären Parteienverkehrszeiten hinaus für Eintragungen offenhalten. Wird es hier Erleichterungen geben? 

Ich war ja sechs Jahre lang Bürgermeister, und bevor ich Minister wurde, habe ich meinem Amtsleiter versprochen, dass ich mich dafür einsetzen werde, dass die Notwendigkeit, das Gemeindeamt für Einsichtnahmen in die Wählerliste auch am Samstag offenhält, fallen wird. Das ist gelungen.

Ob eine weitere Einschränkung der Öffnungszeiten möglich ist, ist eine Entscheidung des Nationalrates, denn schließlich braucht Demokratie auch Zeit.

Seit der Möglichkeit, digital seine Stimme für ein Volksbegehren abzugeben, ist die Anzahl der Volksbegehren drastisch gestiegen. Demokratiepolitisch und im Sinne einer intensiven Bürgerbeteiligung ist das zweifellos zu begrüßen. Der fahle Beigeschmack ist, dass jemand, der ein Volksbegehren initiiert und über 100.000 Unterschriften erreicht, das Fünffache dessen bekommt (17.000 Euro), das er an Gebühren für das Volksbegehren zu (3.400 Euro) entrichten hatte. Wird es hier ein Umdenken geben? Sollte nicht ein reiner Kostenersatz ausreichen?

Wenn man aus Volksbegehren ein Geschäft macht, dann ist das ein Missbrauch des Systems.

Es ist ja vorgekommen, dass jemand zwei Volksbegehren mit genau gegenteiligen Fragestellungen gemacht hat. Derartiges sollte ausgeschlossen sein, und ich weiß, dass es dazu bei den Parteien Überlegungen gibt. 

Gerhard Karner und Helmut Reindl
„Wenn man aus Volksbegehren ein Geschäft macht, dann ist das ein Missbrauch des Systems.“ Minister Gerhard Karner im Gespräch mit KOMMUNAL-Redakteur Helmut Reindl.

Im Regierungsprogramm ist zu lesen, dass zukünftig Standesämter vor der Eheschließung auch über die Rechtsfolgen aufklären müssen. Nachdem Standesbeamte keine Juristen sind: Wie soll diese Aufklärung in der Praxis umgesetzt werden?

Wir dürfen die Standesbeamten nicht zu sehr zu belasten. Zuständig dafür ist aber das Justizministerium, ich bin überzeugt, dass dort praktikable Lösungen gefunden werden. 

Gemeinden übernehmen vermehrt digitale Serviceaufgaben für ihre Bürger wie Passantragsentgegennahme, E-Card-Fotoregistrierung oder die ID-Austria-Registrierung. Die Gemeinden erhalten dafür kein Entgelt. Laut Regierungsprogramm soll bis 2030 jede Person in Österreich eine ID-Austria besitzen, sie soll auch schon bei der Geburt ausgestellt werden. Gibt es hierfür schon ein Umsetzungskonzept? 

Als ich noch Bürgermeister war, wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Reisepässe auf dem Gemeindeamt ausgestellt werden können. Meine Erfahrung ist, dass das, gerade in kleineren Gemeinden, von der Bevölkerung sehr geschätzt wird. Und die Gemeinden machen das auch gerne, weil sie sich als Serviceeinrichtungen sehen.

Natürlich muss man immer mitdenken, dass das etwas kostet, aber gerade in Zeiten, wo wegen der Digitalisierung immer weniger Menschen auf die Gemeinde kommen, sollte man auch Möglichkeiten nutzen, um mit den Bürgerinnen und Bürgern direkt in Kontakt zu kommen. Ich bin davon überzeugt: Das persönliche Gespräch kann durch nichts ersetzt werden. 

Schlagwörter