
„Jeder Einzelne trägt Verantwortung.“ Andreas Hanger zu persönlicher Krisenvorsorge und zur Rolle des Individuums im Zivilschutz.
© Paul Gruber
Der Ernstfall ist keine Ausnahme mehr
Andreas Hanger ist nicht nur wortgewaltiger Abgeordneter, sondern auch Präsident des Zivilschutzverbandes.
Im Interview schildert er, warum Europas neue Unsicherheiten – vom Krieg in der Ukraine bis zu Stromausfällen in Spanien – Österreich wachrütteln, welche Mindeststandards jede Gemeinde erfüllen sollte und wie einfache Vorräte Haushalte krisenfester machen.
Ob es der russische Angriff auf die Ukraine ist oder ob es in Spanien großflächige Stromausfälle gibt: Vielen Menschen ist bewusst geworden, dass Europa keine Insel der Seligen ist. Welche Schlüsse zieht der Zivilschutzverband aus der aktuellen internationalen Lage für den Schutz der österreichischen Bevölkerung?
Wir müssen die Bevölkerung noch stärker für diese Themen sensibilisieren. Es hilft nicht das Stromnetz in Spanien technisch zu analysieren oder Vermutungen über den Ausgang von Friedensgesprächen anzustellen. Es ist eine staatliche Aufgabe für resiliente Stromnetze zu sorgen, aber auch jeder Einzelne trägt Verantwortung. Man muss sich mit potenziellen Gefahren beschäftigen, entsprechend planen und klassische Vorsorgemaßnahmen treffen wie einen Vorrat und eine Hausapotheke anzulegen. Das dürfen wir bei all der Komplexität, die wir derzeit auf der Welt erleben, nicht aus den Augen verlieren.
Wie gut sind aus Ihrer Sicht die österreichischen Gemeinden auf Großschadenslagen wie Hochwasser, Blackouts oder auch hybride Bedrohungen vorbereitet?
In den letzten knapp 25 Jahren, seit dem Hochwasser 2002, wurden nicht nur viele bauliche Maßnahmen ergriffen, Bund, Länder und vor allem auch die Gemeinden sind gut vorbereitet. Katastrophenschutzpläne und Einsatzstäbe sind heute flächendeckend vorhanden. Das sind wichtige Schritte, die die Handlungsfähigkeit der Gemeinden im Ernstfall gewährleisten. Gleichzeitig stellt die laufende Aktualisierung der Pläne und der Erhalt des Wissens eine wichtige Aufgabe für die kommunale Ebene dar.
Welche Mindeststandards im Katastrophenschutz sollten aus Ihrer Sicht jede Gemeinde erfüllen?
Eine gute Grundlage dafür bietet das neue Zertifikat „Krisensichere Gemeinde“, welches das Land Niederösterreich gemeinsam mit dem NÖ Zivilschutzverband entwickelt hat. Neben der Erstellung eines Katastrophenschutzplans sind dabei ein Dienstpostenplan für die örtliche Einsatzleitung sowie das Durchführen einer Stabsrahmenübung notwendig. Aufbauend darauf können Sonderkatastrophenschutzpläne erstellt und praktische Übungen durchgeführt werden. Das Ganze muss auch – wo notwendig – mit Investitionen in Gerät und Infrastruktur begleitet werden.
Gibt es Förderungen oder Programme, die speziell auf kleinere Gemeinden zugeschnitten sind, um ihre Zivilschutzstrukturen zu verbessern?
Der Zivilschutz liegt in Österreich in der Kompetenz der Länder. In fast allen Bundesländern gibt es Kurse, Schulungs- und Trainingsangebote, die die Gemeinden in ihrer Vorbereitungsarbeit unterstützen. Beispielsweise bei der Erstellung von Plänen oder der Abhaltung von Stabsübungen.
Welche Rolle spielen Bürgermeister konkret im Zivilschutzsystem – und wie können sie sich optimal vorbereiten, um im Ernstfall handlungsfähig zu bleiben?
Der Bürgermeister/ die Bürgermeisterin übt formal in den Bundesländern unterschiedliche Rollen aus. Was man aber für ganz Österreich sagen kann: Der Bürgermeister/die Bürgermeisterin ist der/die Krisen-Manager/in vor Ort und leitet in der Regel den Einsatz, außer eine übergeordnete Ebene löst ihn dabei ab. Wie in jeder Führungsfunktion ist es dabei besonders wichtig selbst handlungsfähig zu bleiben. Gerade während einer Katastrophe müssen Unmengen an Informationen, Anliegen und Problemen koordiniert werden. Umso wichtiger ist es für solche Fälle vorzusorgen und Strukturen wie einen Stab zu schaffen, der diese Arbeitslast abnimmt und dem Bürgermeister/der Bürgermeisterin Raum für seine/ihre Rolle als Entscheider/in gibt.
Wie können Bürgermeister sicherstellen, dass ihre Bevölkerung ausreichend über Selbstschutzmaßnahmen informiert ist und deren Bewusstsein für Eigenvorsorge und Krisenvorbereitung nachhaltig gestärkt wird?
Aus der Praxis wissen wir, dass in der Bevölkerung ein großes Interesse an Informationen zur Krisenvorbereitung und Eigenvorsorge besteht. In vielen Bundesländern unterstützen wir die Gemeinden deshalb beispielsweise bei der Organisation von Vorträgen, mit Informationen für die Gemeindezeitung oder Materialien zum Versand an die Haushalte. Wichtig ist dabei eine gewisse Regelmäßigkeit, denn nur ein steter Tropfen höhlt auch den Stein.
Wie kann die Zusammenarbeit zwischen Gemeinden, Einsatzorganisationen und dem Zivilschutzverband verbessert werden?
Für den Zivilschutzverband sind bei der Zusammenarbeit die ehrenamtlichen Zivilschutzbeauftragten in den Gemeinden von großer Bedeutung. Der Zivilschutzverband möchte diese Rolle als Informationsdrehscheibe auf kommunaler Ebene zukünftig stärken, ein österreichweit einheitliches Rollenbild zur Verfügung stellen und Serviceangebote ausbauen.
Welche Erfahrungen hat der Verband in der Krisenkommunikation gemacht – etwa beim Thema Blackout? Welche Empfehlungen geben Sie an Gemeinden, um die Informationsweitergabe im Notfall sicherzustellen?

In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass insbesondere das Thema Blackout die Menschen bewegt. Es ist hier wichtig sachliche Informationsarbeit zu leisten und eine seriöse Risikoeinschätzung abzugeben. Das steigende Interesse kann genutzt werden, um Bewusstsein zu schaffen und zur Vorsorge anzuregen.
Für die Gemeinden ist das Vorhalten von Plänen von hoher Wichtigkeit. Wenn man sich bereits Gedanken über ein Szenario gemacht hat, mögliche Lösungen in der Schublade und Ideen im Kopf hat, kann man rasch und zielgerichtet agieren. Das bedeutet auch festzulegen und zu kommunizieren, auf welchem Weg die Bevölkerung im Ernstfall weiter Informationen erhalten kann. Klassische Mittel sind dabei Infopoints, Lautsprecherdurchsagen oder Anlaufstellen wie die sogenannten Leuchttürme. Solange es technisch möglich ist, stehen dafür natürlich auch die Gemeinde-App oder die eigene Website zu Verfügung.
Welche Bedrohungsszenarien bereiten Ihnen am meisten Sorgen, wenn Sie an zukünftige Entwicklungen wie etwa möglich KI-gesteuerte Angriffe auf Versorgungsnetze denken? Oder sehen Sie hier noch andere Bedrohungsszenarien?
Wir müssen uns auf unterschiedliche Szenarien vorbereiten. Was mir Sorge bereitet, ist die zunehmende Intensität und Häufigkeit, mit der wir uns mit derartigen Themen auseinandersetzen müssen. Im Bereich der Naturgefahren bedingt durch den Klimawandel, im infrastrukturellen Bereich bedingt durch starke Abhängigkeiten, Vernetzungen und der Cyber-Domäne als Spielfeld für feindlich gesinnte staatliche oder nichtstaatliche Akteure.
Welche politischen oder strukturellen Maßnahmen wären aus Ihrer Sicht nötig, um Österreichs Zivilschutz fit für die Zukunft zu machen?
Strukturell braucht es aus meiner Sicht große Bemühungen, um ein österreichweites, staatliches und resilientes Kommunikationsnetz sicher zu stellen. Die Informationsweitergabe in Extremfällen muss gewährleistet werden. Im Bereich der Prävention setzen wir als Zivilschutzverband gerade Schritte, um die Vorsorge der Bevölkerung zukünftig digital und individualisiert zu unterstützen. Im kommenden Jahr werden wir eine neue Plattform veröffentlichen, mit der sehr einfach auf Haushaltsebene eine Risikoeinschätzung vorgenommen und individuelle Vorsorgemaßnahmen geplant werden können.