Walter Leiss - Gemeindebund Österreich
Walter Leiss: "Wenn schon die Länder nicht in der Lage sind, den Einnahmenausfall, der vom Bund zu ersetzen ist, zu beziffern, wie sollen die Gemeinden ihre Forderungen anmelden und wie erhalten die Gemeinden ihre Anteile?"

Pflegeregress: Kein Ende der Debatte in Sicht

Wir laborieren immer noch am „Wahlzuckerl“ Abschaffung des Pflegeregresses. Nach dieser Entscheidung hätten wir eigentlich über eine Neuorganisation der Pflege reden müssen – aber wir diskutieren immer noch über die Höhe des Ersatzes.

Der Pflegeregress (Vermögensregress) ist der Rückgriff der Bundesländer (Betreiber von Pflegeeinrichtungen) auf das private Vermögen einer pflegebedürftigen Person, wenn das private Einkommen (Pension) oder Pflegegeld nicht ausreichen, um die Kosten für die Unterbringung im Pflegeheim zu decken.

Mussten früher auch Angehörige mit einem Teil ihres Einkommens im Bedarfsfall für die Kosten aufkommen, wurde dies in Österreich schon vor längerer Zeit abgeschafft.

Weder Wirkung noch Kosten berücksichtigt

Nun wurde um Juni 2017 noch kurz vor der Wahl auch der Vermögensregress abgeschafft. Leider mit einem Gesetz, das viele Fragen offen lässt. Weder wurden die Wirkungen, die mit der Abschaffung einhergehen, noch die finanziellen Folgen dargelegt oder berücksichtigt. Die  Wirkungsorientierung und die verpflichtende Darstellung der Kostenfolgen in einem Gesetz wurden grob verletzt. Ausgegangen wurde von Kosten von rund 100 Millionen Euro als Ersatz für die Mehrkosten, die den Ländern und Gemeinden erwachsen würden.

Ungeklärt war und ist für manche noch immer, ob das Gesetz auch in die Vergangenheit wirkt oder nicht. Lange wurde darüber diskutiert, bis der Verfassungsgerichtshof  dies klargestellt hat. Aber noch nicht in einem Erkenntnis, sondern nur im Rahmen einer Presseerklärung. Und dieser glauben manche halt nicht.

Gemeinden sind bei Kostenermittlung auf Länder angewiesen

Da die Gemeinden die Betreiber von Pflegeheimen sind (entweder selbst oder durch Verbände), aber jedenfalls den nichtgedeckten Aufwand im Wege der Sozialhilfeumlage an die Länder (zwischen 35 und 50 Prozent) mittragen (in den Ländern, wo die Pflegeheime von Ländern betrieben werden), haben Gemeinde- und Städtebund auch den Konsultationsmechanismus ausgelöst. Die Gemeinden sind aber auf die Länder bei der Ermittlung der Kosten angewiesen, da nur diese die Gesamtübersicht in einem Bundesland haben.

Größerer Andrang in Pflegeheime

Schnell hat sich aber herausgestellt, dass nicht nur der Entfall des Regresses unmittelbar Kostenfolgen auslöst, sondern dass vielmehr Folgewirkungen eintreten, die auch in die Zukunft wirken. Der Andrang in die Heime wurde nämlich schnell nach Bekanntwerden der neuen Regelung spürbar stärker. Personen, die bisher zu Hause gepflegt wurden, um zu vermeiden, dass auf das Vermögen gegriffen wird, wollen – vielleicht nicht selbst, aber jedenfalls die Angehörigen – nunmehr in die Heime.

Auch die sogenannten Selbstzahler, die bisher auf Sparguthaben zurückgegriffen haben, oder wo die Angehörigen dazu beigetragen haben, wird es künftig nicht mehr geben.

Bis zu 500 Millionen Euro Mehrkosten

All das hat zu Kostenschätzungen geführt, die bis zu 500 Millionen Euro und mehr geführt haben. Nach intensiven Verhandlungen haben sich die Gemeinden, Länder und der Bund auf 340 Millionen Euro und einen Verteilungsschlüssel auf die Bundesländer geeinigt. Die endgültige Aufteilung sollte nach einer Endabrechnung im nächsten Jahr erfolgen.

100 Millionen Euro wurden bereits an die Länder überwiesen und sollten auch schon bei den Gemeinden eingelangt sein. Um auch die restlichen 240 Millionen Euro noch heuer überweisen zu können, wurde auch eine Gesetzesvorlage erstellt, die derzeit noch im Parlament liegt.

Und schon gehen die Diskussionen erneut los. Es wurde nämlich verabsäumt, exakt festzulegen, ob es sich bei den 340 Millionen Euro um einen Maximalbetrag handelt oder dieser Betrag – nach der Endabrechnung - auch überschritten werden kann. Aber nicht nur über den Betrag war man sich plötzlich wieder uneins, auch über die Bereiche, was alles ersetzt wird, wird noch diskutiert.

Diskussion was als Pflegeeinrichtung gilt

Seitens einiger Länder werden auch für Einrichtungen wie alternative Wohnformen Ersatzpflichten geltend gemacht, wo es zwar auch einen Regress gegeben hat, wo es aber strittig ist, ob diese als stationäre Pflegeeinrichtungen gelten. Kann in diesen Einrichtungen der Regress weiterbestehen oder ist er auch hier abgeschafft? Diese Kosten wurden noch nicht eingerechnet. Die Kostenersatzpflicht gilt aber nur für die stationären Pflegeinrichtungen. Ist aber die Kostenersatzpflicht mit 340 Millionen Euro begrenzt, würde dies das Aufteilungsverhältnis zwischen den Ländern beeinflussen.

Dementsprechend werden Forderungen nach einer höheren Abgeltung gestellt. Zu guter Letzt wurde eine Mehrforderung durch die Landesfinanzreferenten damit begründet, dass sich wesentliche Parameter – die Rückwirkung – geändert hätten. Pfandechte müssten gestrichen werden, da sie ja nicht mehr realisiert werden könnten, und auch daraus würden Mehrkosten erwachsen. Genaue Forderungen konnte allerdings niemand beziffern.

Was bedeutet das für die Gemeinden?

Ein Ende der Debatte ist nicht abzusehen.  Was bedeutet das alles für die Gemeinden? Wenn schon die Länder nicht in der Lage sind, den Einnahmenausfall, der vom Bund zu ersetzen ist, zu beziffern, wie sollen die Gemeinden ihre Forderungen anmelden und wie erhalten die Gemeinden ihre Anteile?

All dies ausgelöst durch einen Gesetzesbeschluss kurz vor der Wahl mit damals unbekannten Folgen. Wie immer man zur Abschaffung des Pflegeregresses steht – in Deutschland gibt es übrigens sowohl den Angehörigen- als auch den Vermögensregress –, fest steht, dass man hier den dritten Schritt vor dem ersten gemacht hat. Und noch immer diskutieren wir über den Umfang des Ersatzes und nicht, wie die Pflege in Zukunft zu organisieren und zu finanzieren ist.