Walter Leiss
Walter Leiss: „Die Bereitschaft, Veränderungen durchzuführen, ist nicht überwältigend groß, ob-wohl sich die Lebensverhältnisse rundherum geändert haben. Es geht immer um die Beibehaltung des Status quo.“
© Philipp Monihart

Ohne Reform keine Veränderung

Das Wort Reform ist zurzeit in aller Munde. Mit Reformen in verschiedensten Bereichen war der Gemeindebund in den letzten Jahren laufend konfrontiert. Speziell in Zeiten vor einem Regierungswechsel häufen sich naturgemäß Reformvorschläge. In jedem Parteiprogramm finden sich Vorschläge für Reformen, die in der künftigen Legislaturperiode umgesetzt werden sollen. Aber nicht nur von Parteien kommen Reformvorschläge, sondern auch von vielen Experten. Speziell angesichts knapper bzw. angespannter Budgets werden Reformvorschläge artikuliert, wie der Staatshaushalt zu sanieren wäre.

Zuletzt forderte der Leiter des Wirtschaftsforschungs­instituts (WIFO), Gabriel Felbermayr, in der „Pressestunde“ eine klare Reformagenda ohne Tabus. Die öffentliche Hand brauche zweieinhalb Milliarden Euro für Konsolidierungsmaßnahmen im Budget, dazu Geld für Investitionen in den Bereichen grüne Transformation, Technologiewandel, Bildung und Integration. 

„Planvolle Umgestaltung“

Das Wort Reform leitet sich vom lateinischen „reformare“ ab und bezeichnet eine planvolle Umgestaltung bestehender Verhältnisse, Systeme, Ideologien oder Glaubenslehren in Politik, Religion, Wirtschaft oder Gesellschaft. Sie wird häufig als Gegenwort zur Revolution eingesetzt, die für schneller ablaufende Entwicklungen bzw. für Änderungen mit radikalem Wandel steht. Mit Reformen sind somit Veränderungen in vielen Lebensbereichen gemeint. 

Reformen bringen Unsicherheiten

Dass Veränderungen niemals leicht von der Hand gehen, weiß wohl jeder aus den eigenen Lebensbereichen. Gewohnheiten sind nicht leicht abzuschütteln.

Und ob sich eine Veränderung dann tatsächlich positiv auswirken wird, ist zum Zeitpunkt der Entscheidung zumeist ungewiss. 
Aber selbst dann, wenn sich die Vorteile der Reform mit ziemlicher Sicherheit nachweisen lassen, bleiben gewisse Unsicherheiten offen, die sehr oft dazu führen, dass die Veränderung nicht angegangen wird. Erst wenn der Druck zu groß wird und Veränderungen unumgänglich sind, besteht Bereitschaft dazu, diese auch anzugehen. 

Neuordnung der Kompetenzen findet nicht statt

Was für den privaten Bereich gilt, ist offenbar eins zu eins auf den öffentlichen und staatlichen Bereich zu übertragen. Auch hier ist die Bereitschaft, Veränderungen durchzuführen, nicht überwältigend groß, obwohl sich die Lebensverhältnisse rundherum geändert haben. Es geht immer um die Beibehaltung des Status quo. 

Beispiele dafür gibt es viele. Bei den Finanzausgleichsverhandlungen wird immer darauf verwiesen, dass für eine Neuaufteilung der Mittel eine Neuordnung der Kompetenzen erforderlich wäre. Diese Neuordnung der Kompetenzen findet jedoch nicht statt. Schon der ­Österreichkonvent vor rund 20 Jahren ist daran gescheitert. Die Kompetenzaufteilungen erfolgten vor rund 100 Jahren, ohne dass sich seitdem besonders viel daran geändert hätte. Nur die Lebenswelten sind inzwischen komplett andere geworden. 

Reformen bei Pensionen und im Gesundheitssystem - Fehlanzeige

Ein ähnliches Schicksal erleidet die von vielen Experten geforderte Pensionsreform. Die Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters, wofür allein die statistischen Daten eine berechtigte Grundlage liefern würden und deren Umsetzung auch Jahre dauern würde, wird nur von Experten gefordert. Die Umsetzungschancen sind noch gering.

Ein ähnliches Schicksal erleiden diverse Ansätze im Bereich einer Gesundheitsreform. Dabei geht es nicht einmal um eine – auch schon lange diskutierte – Konzentration des Gesundheitswesens beim Bund, um eine gemeinsame Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung beim Bund für den Spitals- und den niedergelassenen Bereich vorzusehen, sondern bloß um Effizienzsteigerungen im Spitalsbereich.

Allein die in einem Expertenpapier angedachte mögliche Auflassung von Krankenhäusern wird als Skandal bezeichnet. Von den 27 Spitalsstandorten in Niederösterreich, die noch aus der Zeit stammen, als die Gemeinden Träger der Spitäler waren, sollen vier umstrukturiert werden. Damit verbunden wären laut Expertenpapieren mehr Effizienz und eine bessere Versorgung der Bevölkerung. Wenn schon derartige Überlegungen zu großem Widerspruch führen, wird eine echte Gesundheitsreform kaum gelingen. 

Eingekauft wird digital ...

Ein ähnliches Thema ist die Digitalisierung. Sie greift in alle Lebensbereiche ein. Sehr viele von uns kaufen fast nur mehr übers Internet, somit digital. Die Anbieter von Amazon bis Temu haben unsere Daten und wissen diese auch intelligent zu verknüpfen. Bei der nächsten Bestellung sind all unsere Daten gespeichert und müssen nicht nochmals eingegeben werden. Gezielte Werbung entsprechend unserem Konsumverhalten wird uns übermittelt, damit der nächste Bestellvorgang einfacher wird. 

Auch die Bankgeschäfte werden überwiegend online erledigt. Ohne große Bedenken werden Überweisungen und Geldgeschäfte digital abgewickelt, nachvollziehbar und überprüfbar, und auch über die Einführung des digitalen Euro wird diskutiert. Zwar wollen wir in Österreich eine Garantie des Bargelds vorsehen, dennoch dürfte das Vertrauen in digitale Abwicklungen grundsätzlich vorhanden sein.

... Digitalisierung im öffentlichen Bereich geht nur langsam voran

Anders sieht dies im Bereich der öffentlichen Verwaltung aus, vielleicht mit Ausnahme der Finanzverwaltung. Die Verknüpfung der Register erfolgt ebenso schleppend wie die Einführung der ID Austria. Vom digitalen Bauakt sind wir jedenfalls noch meilenweit entfernt. Die Voraussetzungen dafür liegen noch nicht vor. 

Und werden einmal, wie zuletzt vom Gemeindebund, Überlegungen angestellt, wie die Durchführung von Wahlverfahren erleichtert und verbessert werden könnte, wie beispielsweise durch die Digitalisierung der ­Verfahrensabläufe im Wahlverfahren oder die Einführung eines E-Votings, werden gleich rundherum Bedenken geäußert.

Selbst der Präsident des Verfassungsgerichtshofs räumt ein, dass E-Voting-Wahlsysteme in besonderen Fällen (wie bei Krankheit oder für Auslandsösterreicher) durchaus sinnvoll wäre, jedoch müssten die Wahlgrundsätze wie geheimes und persönliches Wahlrecht und die Nachprüfbarkeit gewährleistet bleiben.

Dass die Einhaltung dieser Grundsätze technisch möglich wäre, zeigen Beispiele in anderen Ländern. Die Präsidentin des Seniorenbunds meint zu diesem Vorschlag allerdings, dass eine analoge Wahlmöglichkeit weiter bestehen müsse. Dazu bleibt bloß anzumerken, dass hier nicht an eine Abschaffung des „analogen“ Wählens gedacht ist, sondern nur daran, diese Möglichkeit zusätzlich als Erleichterung für die Kommunen als Wahlbehörden und für die Bürgerinnen und Bürger vorzusehen. 

Die wenigen Beispiele zeigen, dass es zwar genug Reformvorschläge gibt, deren Umsetzung aber nicht so leicht ist, weil damit Veränderungen verbunden sind. Erst wenn der Druck der leeren Kassen zu groß wird, haben diese Reformansätze auch Chancen auf eine Umsetzung.