
© Blaszko - stock.adobe.com
Meinung
Sommerloch-Polemik zu den Gemeindefinanzen?
Spannend ist aktuell die Analyse der medialen Berichterstattung zu den Gemeindefinanzen. Während in einem Medium die größten Ausgabenposten und ihre Entwicklung thematisiert werden, konstatiert ein anderes Medium „die Gemeinden würden einstellen, was das Zeug hält“. Eine Prise Sachlichkeit täte dem Diskurs mindestens gleich gut wie eine Beleuchtung der Hintergründe. Hier ein Versuch, das Bild gerade zu rücken.
Aus dem Blickwinkel einer Einrichtung, die sich seit Jahrzehnten mit Gemeindefinanzen beschäftigt, mutet der Unterschied in der Berichterstattung zum Thema befremdlich an. Daher fangen wir ganz von vorne an:
Zusammenfassung für eilige Leser:
- Entgegen beliebten Darstellungen liegen die Hauptkostensteigerungen der Gemeinden nicht in der Hand der Gemeinden, sondern betreffen Umlagen, deren Steigerungen auf Gehaltsverhandlungen anderer Ebenen beruhen. Aber auch die meisten Einnahmen können nicht von den Gemeinden beeinflusst werden.
- Den Personalanstellungen der Gemeinden liegen nicht-hausgemachte Aufgabenzuwächse zugrunde. Bund und Länder übertragen Aufgaben oft ohne adäquate Gegenfinanzierung. Wenn Gemeinden neu anstellen, vor allem aufgrund der Bedarfssteigerung in den Bereichen Pflege und (Elementar-)pädagogik. Wird hier gespart, leidet die Erwerbsquote.
- Gemeinden haben keine Gesetzgebungsorgane. Deregulierungen müssen Bund und Land vornehmen. Die Gemeinden haben (erfolglos) zahlreiche Vereinfachungen und Kompetenzbereinigungen vorgeschlagen. Das Gegenteil ist jedoch passiert.
- Die Gemeinden sind sehr wohl zu unpopulären Maßnahmen bereit – für diese benötigt es aber auch die gesetzgebenden Körperschaften.
Im Detail:
Die größten Einnahmequellen der Gemeinden sind die gemeinschaftlichen Bundesabgaben (Ertragsanteile), von denen zwei Drittel der Bund vereinnahmt, ein Fünftel die Länder und rund ein Neuntel alle 2.095 Gemeinden zusammen. Diese sind von 2010-2022 um 44 Prozent gestiegen (durch Wirtschaftsentwicklung, Inflation etc.). Hinzu kommen die Kommunalsteuer je nach Wirtschaftsstruktur einer Gemeinde und die Grundsteuer, die durch mangelnde Aktualisierung der Einheitswerte durch den Bund seit Jahrzehnten zu einer Bagatellabgabe schrumpfte.
Die größten Ausgaben sind die Umlagen für Gesundheit, Soziales und Kinderbetreuung an die Länder. Sie fressen je nach Bundesland zwischen 50 und 80 Prozent der gesamten Gemeindeeinnahmen ein, ohne dass die Gemeinden eine faktische Steuerungsmöglichkeit hätten. Diese sind im selben Zeitraum um 88 Prozent gestiegen. Kostentreiber sind hier die Personalkosten, die von anderen verhandelt werden als den Gemeinden (Kollektivvertragspartnern oder den Sozialpartnern auf Landesebene).
Dann wären noch die Personalkosten. Diese sind jährlich in etwa im selben Ausmaß gestiegen wie die anderer staatlicher Ebenen (von 2012-2024 in etwa 63 Prozent!), nicht aus Jux und Tollerei, sondern um im dynamischen Wettbewerb um Fachkräfte nicht komplett auszusteigen. Und auch der Vorwurf der zügellosen Anstellungspolitik ist nicht haltbar: so hatten die Gemeinden im Jahr 2009 74.325 Bedienstete. Im Jahr 2024 waren es 85.501 Bedienstete. Das entspricht einem Plus von 15 Prozent in 15 Jahren. Angesichts des propagierten Fortschritts durch Digitalisierung verwunderlich.
Doch befassen wir uns mit den Ursachen dieser Entwicklung:
- Österreich ist ein Land des Rechtsstaates. Das ist gut. Österreich ist aber auch ein Land der Regelungswut. Selbst bei Förderungen, die dem Empfänger eigentlich helfen sollen. Es wird ungemeine Energie darin investiert, 5-prozentige Unschärfen auszumerzen und Regelungen dadurch unleserlich zu machen. So mancher Förderantrag benötigt gefühlt einen Doktor in Sprachwissenschaften und Verwaltungswissenschaften. Davon sind die Gemeinden mehrfach betroffen: einerseits, wenn sie selbst dringend erforderliche Förderungen in Anspruch nehmen möchten und, wenn sie ihren Bürger:innen bei solchen Formularen helfen müssen und auch noch Portierloge und Front-Office für andere staatliche Ebenen sind, die sich bestimmte Gieskannen-Förderungen einfallen ließen und deren Zuständigkeitsdschungel Bürger:innen ratlos zurücklässt.
- Aber auch bei der Digitalisierung sollen die Gemeinden mithelfen. Sie sollen den Bürger:innen bis ins hohe Alter zur ID Austria verhelfen, damit sich andere Ebenen Verwaltungspersonal sparen.
- Andere Ebenen haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten elegant ihrer Aufgaben entledigt. Wie bei einer Sektpyramide tropfte dies bis ganz nach unten – wo die Gemeinden sind. Sie müssen Abgaben für Länder und den Bund einheben (Nächtigungstaxe oder etwa die Bundesgebühren, deren Abschaffung zugunsten der geringfügigen Anhebung einer Massensteuer zigtausende Verwaltungsbedienstete aller Ebenen entlasten würde).
- Ein weiterer Grund für Anstellungen in Gemeinden: diese betrafen überwiegend nicht die klassische Verwaltung, sondern Assistenzpersonal in Schulen, das Gemeinden zu stellen haben und auch Pädagog:innen und Assistent:innen in KITAs und Kindergärten oder aber auch Fach- und Assistenzpersonal in der Pflege. Wird in diesen Bereichen beim Personal gespart, rückt auch die von Industrie und Wirtschaft propagierte Steigerung der Erwerbsquote in weite Ferne.
Um den seitens der Agenda Austria anhand des Klagenfurter Beispiels erweckten Eindruck von Reformresistenz und Scheuklappendenken anzusprechen: es steht der Vorwurf im Raum, die Gemeinden würden sich vor unpopulären Maßnahmen drücken und auf Prestigeprojekten verharren. Dass gerade das nicht der Fall ist, zeigen folgende Beispiele:
- der Österreichische Gemeindebund hat im Vorjahr ein umfassendes Paket zur Deregulierung und Vermeidung von Goldplating an den Bund übermittelt;
- seit dem Gemeindekonvent (2005!) fordern die kommunalen Interessenvertretungen vom Bund Kompetenzbereinigungen vor allem in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales und eine Staatsreform als Grundlage für einen fairen Finanzausgleich;
- seit mehreren Jahrzehnten müssen die Gemeinden (erfolglos) den Bund auffordern, die Einheitswerte, die für die Grundsteuer relevant sind, zu erneuern und haben hier ihre ehemalige Haupteinnahmequelle selbst nicht mehr in der Hand;
- seit mehreren Jahrzehnten fordert der Kärntner Gemeindebund auf Landesebene eine Transferentflechtung (z.B. durch einen Abtausch von Kinderbetreuung gegen Krankenanstalten, wo die Gemeinden bei dreistelligen Millionenausgaben pro Jahr keine Mitwirkungsmöglichkeiten haben) und, um auf das Klagenfurter Beispiel zurückzukommen:
- in mehreren Finanzausgleichsverhandlungen brachte der Österreichische Gemeindebund die Forderung nach einer Infrastrukturabgabe ein, um Großprojekte wie Hallenbäder auf kommunaler Ebene finanzieren zu können.
Vermutlich zur Überraschung liberaler Denkfabriken ist keine mittlerweile auch von diesen vorgeschlagenen Reformen an den Gemeinden gescheitert, sondern an deutlich zentralisierteren, größeren und personalstärkeren Einheiten wie Bund und Ländern.