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Gemeinden können Böden und unsere Zukunft retten
Boden ist viel mehr als der Untergrund, auf dem wir stehen. Er ist Lebensraum für Pflanzen und Tiere, Speicher für Wasser und Kohlenstoff, Grundlage für unsere Ernährung und unser wichtigster natürlicher Verbündeter im Kampf gegen die Klimakrise.
Doch dieser kostbare Boden wird in Österreich Tag für Tag verbraucht – durch neue Siedlungen, Gewerbegebiete, Straßen und Parkplätze. Zwischen acht und zwölf Hektar Boden verschwinden aktuell täglich unter Asphalt und Beton. Und obwohl schon seit 2002 das Ziel von maximal 2,5 Hektar Verbrauch pro Tag in der österreichischen Nachhaltigkeitsstrategie festgelegt ist, haben wir es noch nicht erreicht. Der Boden schwindet und mit ihm unsere Zukunftschancen. Die gute Nachricht ist: Noch ist nicht alles verloren! Aber es braucht dringend entschlossene Entscheidungen – vor allem auf Gemeindeebene. Denn die Gemeinden sind die wichtigsten Akteurinnen, wenn es darum geht, Bodenverbrauch zu bremsen und eine nachhaltige Zukunft zu gestalten.
Wer heute durch unsere Gemeinden fährt, dem fällt Folgendes auf: Umfahrungsstraßen erleichtern die Durchfahrt, große Einkaufszentren am Ortsrand locken mit Parkplätzen im Übermaß. Dort, wo einst Bauernhöfe und Wiesen lagen, befinden sich heute Supermärkte, Arztpraxen, Apotheken und Cafés.
Ortskerne im Schatten des Wachstums am Rand
Die Ortszentren hingegen wirken oft wie vergessen: Historische Gebäude verfallen, Geschäfte stehen leer, es ist weniger Leben im öffentlichen Raum. Die Wohnbevölkerung folgt dem Einzelhandel an den Ortsrand, die Wege werden länger, das Auto wird zum Muss. Und während wir die Siedlungsränder weiter nach außen verschieben, warten die Wohnungen im Ortskern vergeblich auf neue Bewohnerinnen und Bewohner. Diese Entwicklung bringt einen stetig steigenden Flächenverbrauch mit sich – auf Kosten der Natur, der Landwirtschaft, des Klimas und letztlich auch der Lebensqualität in unseren Gemeinden.
Gerade deshalb ist es für die Gemeinden so entscheidend, jetzt zu handeln. Denn sie sind es, die über Widmungen entscheiden und damit die Entwicklung der Orte steuern. Die Gemeinden tragen Verantwortung – aber sie haben auch die größten Möglichkeiten, etwas zu bewegen. Noch immer ist es vielerorts zu einfach, neue Flächen am Ortsrand zu widmen, während im Ortskern Gebäude leer stehen. Noch immer sind die Anreize im Finanzausgleich so gestaltet, dass im Wettbewerb der Gemeinden um neue Einwohnerinnen und Einwohner sowie Arbeitsplätze neue Siedlungsflächen am Ortsrand als finanziell attraktiver eingeschätzt werden als die behutsame Weiterentwicklung bestehender Strukturen. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Im Siedlungsbestand müssen keine neuen Straßen, Kanäle usw. gebaut werden – was den Boden und die kommunalen Haushalte schont.
Nachhaltige Raumplanung braucht Mut und Organisation
Wir wissen längst, was nachhaltige Raumentwicklung bedeutet: lebendige Ortskerne, maßvolle Dichten, Innenentwicklung vor Außenentwicklung, eine gezielte Aktivierung von Leerständen und die Begrünung versiegelter Flächen.
All das sind keine neuen Ideen – sie müssen aber mit neuem Mut und Entschlossenheit angegangen werden. Die Gemeinden sind gefragt, eine aktive Rolle zu übernehmen, die Entwicklung ihrer Orte nicht mehr nur dem Zufall oder dem freien Markt zu überlassen. Es braucht neue Organisationsformen – ein Management für den Ortskern, ähnlich professionell aufgestellt wie das Management eines Einkaufszentrums. Es braucht „Kümmerer“, die den Kontakt zu Eigentümerinnen und Eigentümern suchen, die Überzeugungsarbeit leisten und gemeinsam mit der Bevölkerung Strategien entwickeln, wie Innenentwicklung gelingen kann.
Entscheidend ist dabei die Beteiligung der Menschen vor Ort. Partizipative Prozesse, in denen Bürgerinnen und Bürger nicht nur informiert, sondern aktiv eingebunden werden, erhöhen die Akzeptanz und die Wirkungskraft der geplanten Maßnahmen. Wenn möglichst viele Menschen verstehen, warum es wichtig ist, Leerstände zu nutzen, Innenhöfe zu entsiegeln und kurze Wege im Alltag zu ermöglichen, steigt die Bereitschaft, sich selbst einzubringen und Veränderungen mitzutragen. Nur wenn viele mitmachen, können wir das kumulative Umweltproblem des Bodenverbrauchs tatsächlich in den Griff bekommen.
Jetzt handeln – für unsere Kinder und unsere Orte
Grundsätzlich wären die Raumplanungsinstrumente mit den Möglichkeiten, Siedlungsgrenzen zu verordnen oder Vorrangflächen des Grünraums festzulegen, ausreichend, um Bodenschutz zu betreiben.
Ein echtes Flächenmanagement und Ausgleichsmechanismen können jetzt schon durch interkommunale Kooperation geschaffen werden, um Entwicklungsmöglichkeiten zu steuern und faire Bedingungen zwischen den Gemeinden zu schaffen. In den letzten Jahrzehnten war deren Anwendung allerdings der freiwilligen Einsicht überlassen. Verbindliche quantitative Bodenschutzziele wären hilfreich, um gemeindeübergreifend zu steuern. Aber schon jetzt können die Gemeinden für eine umfassende flächensparende Raum- und Siedlungsentwicklung aktiv werden.
Die Herausforderungen sind groß – ebenso die Chancen. Gemeinden haben die Möglichkeit, Orte zu gestalten, in denen das Leben wieder im Mittelpunkt steht: kompakte, vitale Ortskerne, in denen gewohnt, gearbeitet, eingekauft und gelebt wird, ohne dass lange Autofahrten notwendig sind. Orte, in denen Natur und Landwirtschaft ihren Platz behalten und der Boden weiterhin seine unverzichtbaren Funktionen erfüllen kann – als Lebensraum, als Klimaschützer, als Ernährungsgrundlage.
Die Verantwortung, die auf den Schultern der Gemeindevertreterinnen und vertreter ruht, ist groß – aber sie ist auch eine Chance, nachhaltig Geschichte zu schreiben. Jede Entscheidung heute hat Auswirkungen auf die Lebensqualität der kommenden Generationen. Wer Boden schützt, schützt das Leben selbst. Lassen Sie uns gemeinsam Boden gutmachen – für unsere Orte, unsere Kinder und unsere Zukunft.
Lehrgang Flächensparende Raum- und Siedlungsentwicklung
Zielgruppe: Bürgermeister:innen, Gemeinderät:innen und kommunale Planungsverantwortliche
Umfang: Berufsbegleitend 1 Semester mit 3 Präsenzmodulen (Freitag/Samstag) inkl. betreuter Projektarbeiten, Online-Begleitung
Inhalt und Mehrwert: Fundierte Kompetenzentwicklung durch anwendungsfokussiertes Wissen zu nachhaltiger Raumplanung, Bodenverbrauch und Innenentwicklung; Bearbeitung konkreter Problemstellungen aus Ihrer eigenen Gemeinde; Entwicklung maßgeschneiderter Lösungen
Wo: BOKU University Wien
Teilnahmegebühr: 2.750 Euro
Start des Lehrgangs ist im August 2025, die Anmeldung ist bereits möglich
Alle Infos und Anmeldung: https://short.boku.ac.at/flaechensparende-raum-siedlungsentwicklung
Lehrgangsleitung: Univ.-Prof. Dr. Gernot Stöglehner