Bernhard Perchinig
Bernhard Perchinig: „Über Fakten, die unzählige Male nachgewiesen sind, braucht man nicht zu diskutieren.“
© Flora Fleisch

Corona-Maßnahmen

„Man muss Grenzen setzen!“

Der Politikwissenschafter Bernhard Perchinig plädiert dafür, mit Gegnern von Corona-Maßnahmen und Impfgegnern in Dialog zu treten, aber gleichzeitig auch klarzustellen, dass man über Fakten nicht diskutieren kann.

Was kann man als Gemeinde bzw. als Bürgermeisterin oder Bürgermeister tun, um zu vermeiden, dass die Bevölkerung total gespalten ist?

Perchinig: Erstens ist es wichtig, eine proaktive Kommunikationspolitik zu machen. In Wien hat das recht gut funktioniert, weil die Stadt das Thema sehr offen angesprochen hat. Es gibt auch kleine Gemeinden, wo Bürgermeister oder Ärzte die Bevölkerung angerufen haben, um direkt zu informieren.

Zweitens: Wenn es dazu kommt, dass Bürgermeister bedroht werden, dann muss eine klare Grenze gesetzt werden und sehr deutlich gezeigt werden, dass das nicht akzeptierbar ist, etwa durch eine Anzeige bei der Polizei.

Und drittens ist es sinnvoll, Kommunikationsveranstaltungen zu machen. Damit wird man zwar nicht die Hardcore-Aktivisten erreichen, aber möglicherweise Menschen, die sich unsicher sind. Wichtig bei einer solchen Veranstaltung ist, dass sie professionell moderiert wird.

Was aber macht man, wenn man extreme Gegner von Corona-Maßnahmen oder Impfverweigerer im Ort hat, die rationalen Argumenten nicht zugänglich sind?

Menschen, mit denen man nicht mehr vernünftig reden kann, sollte man keine Bühne geben. Wenn etwa eine Demonstration veranstaltet wird, auf der offensichtlicher Unsinn kommuniziert wird, wäre es eine Möglichkeit, ein Flugblatt zu verfassen, in dem Gegenargumente gebracht werden. Darin sollte man auch Informationsmöglichkeiten anbieten, etwa Kontaktdaten eines Arztes.

Über Fakten, die unzählige Male nachgewiesen sind, braucht man nicht zu diskutieren.

Es gibt aber Viele, die etwa behaupten, dass Corona harmlos ist, dass die Impfung nicht wirkt oder dass es massive Impfschäden gibt …

Man muss die Realität zeigen. Etwa Videos von einer Intensivstation. Wenn dann jemand etwa behauptet, dass der Chef einer Intensivstation lügt, dann muss man ganz klar machen, dass das eine Unterstellung ist, die inakzeptabel ist. In einem solchen Fall muss man eine kommunikative Grenze ziehen. Fakten sind keine Meinung! Das muss auch deutlich gemacht werden, etwa indem man sagt: „Sie meinen also, dass Doktor xxx ein Lügner ist?“

Die extremen Kritiker kommen einerseits aus dem rechten Lager und teilweise aus einem linken, esoterikaffinen, Lager. Kann man da die selben Argumente verwenden?

Leute aus einem linken Spektrum sind oft noch eher mit wissenschaftlichen Argumenten erreichbar, etwa wenn sie selbst Erfahrung mit wissenschaftlichen Methoden haben.

Für diese Menschen ist oft die Kapitalismuskritik ein wichtiger Faktor, weil sie meinen, dass es die Impfung nur deswegen gibt, damit die Pharmaindustrie Profit macht. Hier muss man deutlich machen, dass es mittlerweile genügend unabhängige Studien gibt, die die Wirkung der Impfung eindeutig belegen.

In den letzten Jahren ist allerdings in der linken Szene eine Autonomievorstellung entstanden, wo Menschen den Institutionen nicht vertrauen und sich als Außenstehende betrachten. Hier gibt es Überschneidungen mit den rechten Staatsverweigerern, die sich auch außerhalb des Staates stellen. Diese Leute sind für klassische Instrumente der Wissenserzeugung und -prüfung – etwa Peer-Reviews, Journals oder medizinische Expertisen – nicht erreichbar. Das führt dazu, dass nicht nur eine Impfung abgelehnt wird, sondern dass auch das Risiko einer Infektion oft massiv unterschätzt wird.

Sind die Corona-Maßnahmengegner nicht oft auch gleichzeitig Staatsverweigerer?

Ja, da gibt es Überschneidungen, wobei die Rechte den Staat zerschlagen will, während die Linke den Staat als irrelevant betrachtet.

Im linken Spektrum gibt es die sozialdemokratische Richtung, die vom Staat gesellschaftliche Veränderungen erwartet und daher einen starken Staat möchte. Und dann gibt es eine Richtung, die den Staat nicht als Akteur, sondern nur als Unterdrücker betrachtet. Daraus resultiert ein anti-institutionalistisches Denken und ein starkes Bedürfnis nach Autonomie. Interessanterweise ist das oft deckungsgleich mit neoliberalen Vorstellungen nach dem Motto: „Ich bin für mich selbst verantwortlich und brauche keinen Staat.“ Daraus wird in der aktuellen Situation ein „Mein Körper gehört mir!“.

Kann man, wenn jetzt die Impfpflicht kommt, den Gegnern einen Ausweg bieten, um nicht das Gesicht zu verlieren? Etwa den Totimpfstoff?

Für Menschen, die gegenüber den neuen mRNA-Impfstoffen skeptisch sind, kann der Totimpfstoff eine Alternative sein.

Und was ist, wenn jemand Impfungen generell ablehnt?

Das Risiko der Impfpflicht und der damit verbundenen Strafzahlung ist, dass man damit Märtyrer schafft.

Es wird aber auch Leute geben, die sagen „Ich will zwar keine Impfung, aber ich kann es mir nicht leisten, jährlich 2.400 Euro Strafe zu zahlen und lasse mich daher impfen.“ Das Problem ist, dass diese Menschen dann zwar einen Impfschutz haben, gleichzeitig wird es aber ihre Ablehnung des Staates noch verstärken.

Daher braucht es jetzt noch community-orientierte Kampagnen, die für Aufklärung sorgen.