
Das Innsbrucker Pilotprojekt soll nicht nur Hindernisse bei der Gebäudesanierung überwinden, sondern auch nachhaltige Kooperationsmodelle schaffen, die in ganz Österreich und darüber hinaus reproduzierbar sind. Durch die Kombination technischer, sozialer und rechtlicher Innovationen ist dieses Pilotprojekt eine Blaupause dafür, wie Städte gemeinsam Energiearmut reduzieren und gleichzeitig ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern können.
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Europäisches Pilotprojekt treibt lokale Energiewende voran
Klimakrise, Energiepreisschocks und geopolitische Abhängigkeiten stellen Städte und Gemeinden in ganz Europa vor nie dagewesene Herausforderungen. Was heute zählt, ist entschlossenes Handeln – für eine zukunftssichere, bezahlbare und nachhaltige Energieversorgung. Dabei zeigt sich: Der Wandel beginnt vor Ort.
Kommunen sind die Schlüsselakteure, wenn es darum geht, Gebäude zu sanieren, Infrastruktur zu modernisieren sowie Bürgerinnen und Bürger aktiv einzubinden.
Innsbruck als Vorreiter in Österreich
Ein besonderes Beispiel ist Innsbruck. Die Stadt setzt mit innovativen Ansätzen für Energieeffizienz, Kreislaufwirtschaft und sozial gerechte Stadtentwicklung ein Zeichen. Dabei agiert die Tiroler Landeshauptstadt nicht im Alleingang, sondern ist Teil des europäischen Pilotprojekts „Needs Repowered“, in dem sich Städte grenzüberschreitend austauschen, voneinander lernen und neue Standards für urbane Energiesysteme setzen. Ganz nach dem Motto: „Think global, act local.“
Denn auch der politische Druck wächst: Mit der neuen EU-Energieeffizienzrichtlinie (EED III) wird auch auf nationaler Ebene klar, was auf Gemeinden zukommt: Öffentliche Gebäude müssen in den nächsten Jahrzehnten saniert, Energieverbräuche gesenkt und klare Maßnahmenpläne erstellt werden. Für viele Kommunen bedeutet das eine enorme Aufgabe – aber auch eine große Chance, ihre Rolle als Motoren der Energiewende aktiv auszugestalten.
„Needs“ Repowered – ein europäisches Projekt
Das Projekt NEEDS Repowered vernetzt sechs europäische Städte, um sie widerstandsfähiger gegen Energiekrisen zu machen und Energiearmut zu vermeiden. Unter der Leitung des Austrian Institute of Technology (AIT) arbeiten die Städte Innsbruck, Karlsruhe (Deutschland), Krakau (Polen), Iași (Rumänien), Budaörs (Ungarn) und Helsingborg (Schweden) dabei zusammen, um die Resilienz positiver Energiequartiere (PED) zu stärken. Das Projekt ist Teil der „Driving Urban Transitions“-Partnerschaft und wird von der EU kofinanziert.
Lokal erzeugte erneuerbare Energie
Im Mittelpunkt des kürzlich gestarteten Projekts stehen die sogenannten Positive Energy Districts (PEDs). Das sind Stadtteile, die lokal mehr erneuerbare Energie erzeugen, als sie verbrauchen. Sie verbinden nachhaltige Energiegewinnung mit innovativen Technologien und einer Beteiligung der Bevölkerung, um Städte klimafreundlicher und widerstandsfähiger zu machen. Unter der Leitung des AIT arbeiten bislang 15 europäische Partner an der Umsetzung des dreijährigen Projekts. Der Austausch ist dabei ein zentraler Punkt.
Energieeffizienz und soziale Innovation im Fokus
„Das Projekt begegnet Herausforderungen der Energieeffizenz, indem es Technologien für Gebäudesanierungen vorstellt, Anreize für Verhaltensänderungen schafft und nachhaltige Finanzierungsmodelle entwickelt. Dabei berücksichtigt es soziale und technische Innovationen sowie regulatorische und rechtliche Rahmenbedingungen“, erklärt Projektleiterin Gudrun Haindlmaier, Senior Scientist am Austrian Institute of Technology (AIT).
Ziele des Projekts im Überblick
Das Projekt verfolgt das Ziel, Positive Energy Districts (PEDs) durch gezielte Maßnahmen umfassend zu fördern. Dazu werden innovative Ansätze zur Verbesserung von PEDs entworfen und präsentiert. Im Mittelpunkt stehen dabei Nachrüstlösungen sowie gemeinsam entwickelte, nachhaltige Geschäfts- und Finanzierungsmodelle, die umfassende Renovierungen, integrierte Energiesysteme und die Stabilität von Energienetzen unterstützen sollen.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Vertiefung des Verständnisses für PEDs und dem aktiven Wissensaustausch. Durch die Analyse von Erfolgsfaktoren, Barrieren und Eigentumsstrukturen wird eine fundierte Wissensbasis geschaffen. Die Community of Practice (CoP) des Projekts trägt wesentlich dazu bei, Erfahrungen zu bündeln und Erkenntnisse weiterzugeben.
Zudem unterstützt das Projekt die Politikgestaltung im Bereich PEDs auf ganzheitliche Weise. Es werden bestehende Lücken und Bedarfe identifiziert, die Energiewende in die Stadtplanung integriert und fundierte politische Empfehlungen entwickelt. Ziel ist es, erfolgreiche Lösungsansätze zu replizieren und in unterschiedlichen Kontexten skalierbar zu machen.
Konkrete Ausgangslage in Innsbruck
Die Stadt Innsbruck steht beispielhaft für eine der zentralen Herausforderungen der städtischen Energiewende: die nachhaltige Sanierung unsanierter Mehrfamilienhäuser mit komplexen Eigentumsverhältnissen und gemischten Heizsystemen. Der lokale Pilotstandort zeigt auf, wie technische Innovation, soziale Einbindung und rechtliche Rahmenbedingungen vereint werden können, um neue Wege der Dekarbonisierung und der Energiearmutsbekämpfung zu gehen.
Die Herausforderung: Alte Gebäude, geteilte Verantwortung
Viele der in Innsbruck typischen Mehrfamilienhäuser sind energetisch veraltet: unzureichend gedämmt, mit alten Fenstern ausgestattet und häufig mit fossilen Einzelheizsystemen bestückt. Diese führen nicht nur zu hohen Energieverlusten, sondern erschweren auch koordinierte Sanierungsmaßnahmen – besonders, wenn mehrere Wohnungseigentümer mit unterschiedlicher finanzieller Ausstattung beteiligt sind.
Ein zentrales Problem stellt die sogenannte „Verbraucher-Investoren-Diskrepanz“ dar: Während Mieter die Energiekosten tragen, entscheiden Vermieter über notwendige Renovierungen – häufig ohne unmittelbare finanzielle Anreize. Diese Struktur erschwert nicht nur energetische Verbesserungen, sondern verstärkt auch soziale Ungleichheiten.
Zielsetzung des Pilotprojekts
Das Innsbrucker Pilotprojekt setzt genau hier an. Es zielt darauf ab, die Energiearmut zu reduzieren und den Wohnsektor durch energieeffiziente Sanierungen sowie die Einführung nachhaltiger Heizsysteme zu dekarbonisieren. Ein wesentlicher Bestandteil des Projekts ist der Aufbau eines Kooperationsnetzwerks zwischen Vermietern, Mietern und Hausverwaltungen. Nur durch gemeinsames Handeln können Maßnahmen umgesetzt werden, die langfristig tragfähig und sozial gerecht sind.
Darüber hinaus sollen tragfähige Geschäfts- und Finanzierungsmodelle entwickelt werden, die Eigentümer motivieren, in energetische Verbesserungen zu investieren. Solche Modelle bilden die Grundlage für skalierbare Lösungen, die in anderen Städten und Ländern angewendet werden können.
Lösungsansätze und Innovationen
Das Projekt verfolgt einen integrativen Ansatz, der sowohl technische als auch soziale und politische Aspekte berücksichtigt. Neben der Verbesserung der Gebäudeeffizienz und der Reduktion fossiler Energienutzung stehen dabei auch folgende Maßnahmen im Mittelpunkt:
- Entwicklung von Nachrüstlösungen für unsanierte Gebäude
- Gestaltung gemeinschaftlich entwickelter Finanzierungsmodelle
- Aufbau eines belastbaren Entscheidungsprozesses für Wohnungseigentümergemeinschaften
- Förderung des Austauschs bewährter Praktiken in einer Community of Practice (CoP) mit anderen Projektteilnehmern und Städten
- Identifizierung regulatorischer Barrieren und Entwicklung politischer Empfehlungen zur Übertragbarkeit auf andere Kontexte
Ein Modell für ganz Österreich – und darüber hinaus
Das Innsbrucker Pilotprojekt geht weit über den lokalen Kontext hinaus: Es fungiert als Modell für die Gestaltung nachhaltiger städtischer Energiequartiere in Österreich und Europa. Durch die Kombination technischer Effizienz, sozialer Teilhabe und politischer Gestaltungsarbeit zeigt das Projekt Wege auf, wie Städte Energiearmut verringern und gleichzeitig die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen nachhaltig reduzieren können.