
In vielen Gemeinden ist die Energiewende längst angekommen – zumindest oberflächlich betrachtet: Photovoltaik auf der Schule, LED im Gemeindesaal, Ladestation am Hauptplatz. Aber der Weg zur echten Energiewende führt nicht über Technik allein, sondern über kluge Steuerung.
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Wie systemisches Energiemanagement Gemeinden krisenfit macht
Die Energiewende hat Einzug gehalten – auf Gemeindedächern glänzen Photovoltaikmodule, Wärmepumpen ersetzen alte Heizkessel, Bürger:innen schließen sich zu Energiegemeinschaften zusammen. Und dennoch: Unter der Oberfläche wächst das Unbehagen.
Der Saal war voll, das Interesse groß – und die Botschaft klar. Beim diesjährigen Kommunalwirtschaftsforum in Saalfelden sorgte ein Vortrag besonders für Nachhall: Herbert Saurugg, international anerkannter Experte für Krisenvorsorge und Versorgungssicherheit, sprach über die Energiewende – und nannte sie „einen Blindflug ohne System“. Sein Appell: Gemeinden brauchen dringend ein systemisches Energiemanagement, wenn sie krisenfit und zukunftstauglich bleiben wollen.
Kein Technikproblem, sondern ein Führungsdefizit
Während vielerorts PV-Anlagen installiert, E-Ladestationen errichtet und alte Verträge erneuert werden, bleibt laut Saurugg eines häufig auf der Strecke: das Gesamtsystem. Gemeinden reagierten zu oft auf Einzelprobleme oder Förderanreize – ohne Überblick, ohne Steuerung, ohne Zielbild. „Die beste Technik hilft nichts, wenn niemand weiß, wie sie sinnvoll eingebunden wird“, sagt Saurugg.
Er kritisierte zudem, dass in vielen Gemeinden kein Verantwortlicher für das Thema Energie benannt sei, keine Energiebuchhaltung existiere und Verbrauchsdaten oft ungenutzt blieben. Damit würden nicht nur große Einsparpotenziale ungenutzt bleiben – es entstehe auch ein gefährliches Maß an Intransparenz und Abhängigkeit.
Photovoltaik allein reicht nicht
Besonders deutlich wurde Saurugg bei der aktuellen Entwicklung rund um den Ausbau der Photovoltaik. Zwar begrüße er die Investitionsfreude – doch warne er vor massiven systemischen Fehlentwicklungen. So führe die fehlende Steuerung in Österreich und ganz Europa bereits jetzt zu paradoxen Situationen: Stromüberschüsse an sonnigen Tagen mit Preisverfall bis nahe null, gepaart mit Abendspitzen bis zu 200 Euro pro Megawattstunde. Saurugg: „Wir haben nicht zu wenig Strom – wir haben ihn zur falschen Zeit am falschen Ort.“
Saurugg sieht die Ursache nicht in mangelnder Technik, sondern in einem strukturellen Problem: fehlende Netz- und Speicherintegration, fehlende Steuerung, falsche Förderanreize und eine zu geringe Digitalisierung in der Fläche.
Das Konzept der „Energiezelle“
Statt weiter auf Einzelmaßnahmen zu setzen, plädiert Saurugg für ein radikal neues Modell: die kommunale Energiezelle. Darunter versteht er Quartiere oder Gemeinden, in denen alle Energieströme – Strom, Wärme, Mobilität, Wasser – sektorübergreifend gedacht und gesteuert werden. Dabei gehe es nicht um vollständige Autarkie, sondern um Resilienz, Effizienz und Steuerungsfähigkeit. „Technisch ist vieles bereits möglich – aber wir handeln, als wären wir noch im Jahr 2005“, moniert er.
Die sogenannte Energiezelle funktioniert wie ein eigenes Steuerzentrum für lokale Energieflüsse. Hier sollen PV-Anlagen, Batteriespeicher, Wärmenetze und Ladesäulen miteinander agieren, abgestimmt auf Wetter, Verbrauch und Netzzustand. Das Ziel sei eine Entlastung der übergeordneten Netze, eine höhere Versorgungssicherheit und letztlich auch Kosteneffizienz für die Gemeinde.
Die fünf größten Irrtümer
Saurugg räumte in seinem Vortrag auch mit populären Missverständnissen auf:
- „Wir haben eh schon PV-Anlagen.“ – Ohne Steuerung brächten sie oft sogar neue Probleme.
- „Technik ist zu teuer.“ – Viele organisatorische Maßnahmen seien nahezu kostenfrei.
- „Wir haben kein Personal.“ – Externe Unterstützung sei verfügbar und rentabel.
- „Unsere Infrastruktur ist zu alt.“ – Gerade hier schlummerten enorme Potenziale.
- „Förderungen sind zu komplex.“ – Die richtigen Partner könnten helfen.
Seine zentrale Botschaft: Energiemanagement ist keine zusätzliche Last – sondern eine Führungsaufgabe, die Handlungsfähigkeit zurückbringt.
Der gefährliche Komfort der Einzelmaßnahme
Saurugg spricht aus Erfahrung. Seit Jahren berät er Ministerien, Versorger und zunehmend auch Kommunen. Seine Beobachtung: Viele Gemeinden leisteten in Teilbereichen hervorragende Arbeit – doch eine zentrale Steuerung, ein koordinierendes Energiemanagement, fehle fast überall.
Statt strategisch zu agieren, werde oft punktuell investiert – aus Förderlogiken heraus oder auf Druck der Öffentlichkeit. Was dabei verloren gehe, sei die Systembetrachtung: Wie greifen Strom, Wärme, Mobilität und Wasser zusammen? Wie sieht das Verbrauchsverhalten tatsächlich aus? Wie wirken sich neue Erzeuger auf bestehende Netze aus?
Was ist systemisches Energiemanagement?
Man definiert systemisches Energiemanagement als einen Ansatz, der alle Sektoren integriert denkt: Strom, Wärme, Mobilität, Wasser, Verwaltung. Saurugg fragt: Gibt es in Ihrer Gemeinde eine übergreifende Energiebuchhaltung? Eine Analyse der Lastprofile? Verantwortlichkeiten? Ein Lastmanagement?
Oft, so sein Eindruck, gebe es zwar engagierte Einzelpersonen, doch keine strukturelle Verankerung. Dabei beginne die Umsetzung nicht bei der Technik, sondern bei klaren Zuständigkeiten und digitalen Grundstrukturen. „Systemisches Energiemanagement beginnt mit Übersicht – nicht mit Investition.“
Warum Gemeinden jetzt handeln sollten
Saurugg fordert nicht nur eine technologische Umstellung, sondern einen Mentalitätswandel. Gemeinden müssten Energie als strategisches Steuerungsfeld begreifen, nicht als Nebenprodukt der Bauamtsleitung. Wer heute investiere, senke nicht nur Kosten, sondern erhöhe auch die Resilienz – gegenüber Preissteigerungen, Stromausfällen und Klimarisiken. Saurugg: „Systemisches Energiemanagement macht aus der Kostenfalle eine Wertschöpfungsspirale.“
Zudem könnten engagierte Gemeinden einfacher Fördermittel abrufen, Fachkräfte gewinnen und innovative Projekte auf den Weg bringen. Auch die politische Wirkung sei nicht zu unterschätzen: Energetisch aktive Gemeinden würden von ihren Bürger:innen als zukunftsorientiert und handlungsstark wahrgenommen.
Das Thema ist mehr als Energiesparen
Herbert Saurugg hat mit seinem Beitrag am Kommunalwirtschaftsforum einen Nerv getroffen. Sein Aufruf, Energie als strategisches Gemeindethema zu verstehen, kam zur rechten Zeit – denn die Energiewende braucht mehr als Dächer mit Modulen: Sie braucht Übersicht, Führung, Steuerung. Und vor allem: den Mut, neue Wege zu gehen.
Auch kleine Gemeinden können Vorreiter sein
Aufgeräumt wird mit dem Mythos, dass nur große Städte oder besonders wohlhabende Gemeinden Energiemanagement betreiben könnten. Gerade kleinere Gemeinden mit überschaubarer Infrastruktur hätten oft einen besseren Überblick, direkte Entscheidungswege – und mehr Potenzial zur Kooperation mit Nachbarn.
Beispiele aus dem In- und Ausland zeigen, wo Gemeinden sich zu interkommunalen Energiemodellen zusammengeschlossen haben, Synergien nutzen und Speicher, Netze oder Personal gemeinsam organisieren. Entscheidend sei dabei nicht die Größe, sondern die Bereitschaft zur Gestaltung.
Auf dem Weg zur neuen Gemeinde-Rolle
Saurugg betonte zudem, dass Gemeinden in der aktuellen Transformation mehr seien als Infrastrukturbetreiber: Sie würden zu Energieverwaltern, Steuerzentren, Versorgungskoordinatoren. Das sei keine Überforderung, sondern eine historische Chance: Wer heute strukturiert agiere, könne nicht nur Versorgungssicherheit und Kostenkontrolle gewinnen, sondern politisch, wirtschaftlich und ökologisch punkten.
Auch im kommunalen Wettbewerb um Förderungen, Fachkräfte und Lebensqualität sei ein aktives Energiemanagement ein strategischer Vorteil – und ein Signal an die Bevölkerung: „Wir handeln.“
Für wen ist Energiemanagement gedacht?
Für Bürgermeister:innen, Amtsleiter:innen, Gemeinderäte, aber auch Bauamtsleitungen und kommunale Energiebeauftragte. Energiemanagement lässt sich nicht auf eine Person beschränken. Es ist Querschnittsaufgabe, Strategie- und Führungsthema zugleich.
Saurugg empfiehlt, mit einfachen Maßnahmen zu beginnen: Bestandsaufnahme, Zuständigkeit klären, Verträge prüfen, Verbrauchsdaten erheben. Schritt für Schritt ließen sich daraus zentrale Steuerungstools entwickeln – mit externer Unterstützung, wenn gewünscht.
Zur Person

Herbert Saurugg ist internationaler Experte für Blackout- und Krisenvorsorge sowie Präsident der Gesellschaft für Krisenvorsorge.
Seine Arbeit fokussiert sich auf die Frage, wie Versorgungssicherheit und Resilienz in Zeiten von Digitalisierung und Energiekrise gesichert werden können. Beim Kommunalwirtschaftsforum 2025 war er einer der Hauptreferenten und beleuchtete in seinem Vortrag, wie Gemeinden durch ein systemisches Energiemanagement haushaltsfit und krisenfest werden können.