In Höflein kommen die Mehreinnahmen aus der Windkraft-Nutzung den Bürgerinnen und Bürgern direkt zugute.
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Wie Gemeinden von der Energiewende profitieren können
„Höflein erwirtschaftet 600.000 Euro jährlich mit Windkraft“. „Die APG sieht Kommunen als Schlüsselpartner beim Netzausbau.“ In zwei Folgen seines Podcasts „Amtsgeheimnisse“ bzw. „Amtsgeheimnisse vor Ort“ widmet sich Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl der Energiewende aus kommunaler Perspektive.
Im Gespräch mit Gerhard Christiner, Vorstandssprecher und technischer Vorstand der Austrian Power Grid (APG), sowie Otto Auer, Bürgermeister der niederösterreichischen Gemeinde Höflein, arbeitet Johannes Pressl die Herausforderungen und Chancen der Energiewende für Österreichs Gemeinden heraus.
Gerhard Christiner verantwortet seit 2012 als technischer Vorstand der APG das österreichische Höchstspannungsnetz und übernahm im Juli 2024 zusätzlich die Funktion des Vorstandssprechers. APG ist für das klaglose Funktionieren des Übertragungsnetzes verantwortlich, das mit 3.400 Kilometern Trassenlänge die Stromversorgung Österreichs sicherstellt.
Otto Auer führt seit 2005 als Bürgermeister die Geschicke der 1.200-Einwohner-Gemeinde Höflein im Bezirk Bruck an der Leitha. Der ÖVP-Politiker ist seit 2023 Abgeordneter zum Niederösterreichischen Landtag und war von 2019 bis 2023 Mitglied des Bundesrates. Unter seiner Führung entwickelte sich die einstige Sanierungsgemeinde zu einem Vorzeigeprojekt für kommunale Energiewende und finanzielle Eigenständigkeit.
Die Gespräche zeigen: Von der Sanierungsgemeinde zum Erfolgsmodell einerseits, vom traditionellen Stromnetz zur intelligenten Infrastruktur für erneuerbare Energien andererseits – beide Perspektiven machen deutlich, dass die Energiewende nur gemeinsam mit den Gemeinden gelingen kann.
Vom Widerstand zu breiter Akzeptanz
Mit 31 Windkraftanlagen erwirtschaftet Höflein heute jährlich 500.000 bis 600.000 Euro und zahlt Familien 720 Euro pro Jahr aus. Doch der Weg dahin war nicht einfach. Höflein war lange Zeit eine Sanierungsgemeinde. 2004 sammelten Bürgerinnen und Bürger 600 Unterschriften gegen Windkraft. Bürgermeister Auer setzte auf Transparenz und direkte Kommunikation.
Das Erfolgsmodell basiert auf konsequenter Bürgerbeteiligung: 75 Prozent der Windkraft-Erträge fließen an die Gemeinde, 25 Prozent an die Grundeigentümer. „Eine Familie in der Gemeinde bekommt ca. 720 Euro Energieunterstützung pro Jahr von der Gemeinde – nur aufgrund unserer erfolgreichen Windkraft“, sagt Auer.
„Über die Ökostromabgabe wird das Ganze finanziert, alle müssen es bezahlen – dann sollen auch alle den Vorteil haben“, erklärt der Bürgermeister das Prinzip. Die Mehreinnahmen kommen den Bürgerinnen und Bürgern direkt zugute – eine Win-Win-Situation.
„Als ich Bürgermeister wurde, hatten wir 30.000 Euro Kommunalsteuer und waren Sanierungsgemeinde“, berichtet Auer. Die Kommunalsteuer hat sich auf 60.000 Euro verdoppelt, aber erst die Windkraft-Einnahmen ermöglichten die finanzielle Unabhängigkeit. Mit den Erträgen finanzierte die Gemeinde Projekte, die sonst nicht möglich gewesen wären: eine neue Sportplatzkabine, oder etwa eine Kirchenorgel.
Energiegemeinschaft und Großspeicher geplant
Zusätzlich zur Windenergie hat Höflein eine Energiegemeinschaft mit Photovoltaik-Anlagen gegründet. Die Gemeinde fördert PV-Anlagen mit 1.000 Euro und bezuschusst Elektroautos. In der Energiegemeinschaft können Bürger Strom zu reduzierten Preisen beziehen: Einkaufspreis 8,5 Cent, Verkaufspreis 9,5 Cent pro Kilowattstunde.
Das große Ziel: 90 bis 95 Prozent des Energiebedarfs selbst erzeugen zu können. In einem weiteren Schritt plant die Gemeinde gemeinsam mit der EVN einen Großspeicher mit sechs Megawatt Kapazität in Natriumtechnik zu bauen, womit Strom für eine Woche für die Gemeinde Höflein gespeichert werden kann.
In der Region ist zudem eine Wasserstoff-Erzeugungsanlage in Sarasdorf geplant, die Überschussstrom aus Windkraft nutzen soll.
Repowering steigert Effizienz
Höflein demonstriert auch die Potenziale moderner Technologie: Aktuell läuft ein Repowering-Projekt, bei dem fünf alte Windräder mit 6,5 Megawatt Gesamtleistung durch neue Anlagen mit 21 Megawatt ersetzt werden – bei gleichzeitig weniger Standorten. „Die neuen Windräder sind zwar 30 Meter höher, aber die Wahrnehmung der Bevölkerung ist gleich null, weil sie so weit von der Ortschaft entfernt sind“, so Auer.
Stromnetz vor größtem Umbau
Im Gespräch mit Gemeindebund-Präsident Pressl betont APG-Vorstandssprecher Christiner die enormen Herausforderungen beim Netzausbau. Der Strombedarf steigt stetig – durch Elektromobilität, Industrie-Großprojekte wie beispielsweise der Lichtbogenofen der voestalpine sowie neue Rechenzentren für zunehmende KI-Anwendungen.
„Das österreichische Stromnetz ist ein hochkomplexes, technisches System, das von der Netzstruktur mit unserem Straßennetz vergleichbar ist“, erklärt Christiner. Die größte Herausforderung sei es, jeden Tag die Balance zwischen Verbrauch und Erzeugung herzustellen.
Überschüsse im Osten, Speicher im Westen
Derzeit sind in Österreich 9.398 Megawatt Photovoltaik installiert – Tendenz stark steigend. Die volatile Erzeugung aus Wind und Sonne stellt das Stromsystem vor neue Aufgaben. Aktuell steht Österreich vor der Situation, dass im Osten viele Umspannwerke gebaut werden müssen, weil es dort zu viel Strom gibt, der dort nicht gebraucht wird. Dieser wird dann in den Westen geschickt, weil sich dort die Pumpspeicher befinden, die den überschüssigen Strom speichern können, um ihn dann bei Bedarf wieder in den Osten zu schicken.
„Wir stehen immer wieder vor der Situation, überschüssigen Strom zu haben, den wir aus Mangel an Kapazitäten weder einspeisen noch speichern können. Das führt dazu, dass wir immer wieder Wasser über das Wehr laufen lassen oder Windräder abdrehen müssen“, erklärt Christiner. Daher müsse sowohl massiv in den Netzausbau aber auch in Speicher investiert werden.
Auf der Stromrechnung der Verbraucher macht das Übertragungsnetz derzeit nur 2,7 Prozent aus, die Verteilernetzkosten liegen bei 25-30 Prozent. Der Produktstrom selbst macht 35-40 Prozent aus, Steuern und Abgaben rund 30 Prozent. Mit dem zunehmenden Ausbau erneuerbarer Energien werden die Netzkosten steigen, da die Infrastruktur für die Spitzenleistung ausgebaut werden muss.
Speicher als Schlüsseltechnologie
Bei der APG liegen aktuell Anfragen für nahezu 4.500 Megawatt an Batteriespeicherkapazitäten vor. Diese werden als Containerlösungen mit jeweils 2,7 Megawatt Leistung und rund 5 Megawattstunden Energieinhalt ausgeliefert. Die Pumpspeicherleistung im Westen Österreichs soll von 5.000 Megawatt auf 8.700 Megawatt bis 2030/35 ausgebaut werden.
Abhilfe würde ein massiver Ausbau von Heimspeichern bringen, da diese speziell bei Photovoltaik Spitzen abfedern könnten. „Gleichzeitig haben Batterie- bzw. Heimspeicher den Vorteil, dass Strom flexibler genutzt werden kann, also dann, wenn ich ihn brauche oder dann, wenn er besonders billig ist – also mittags“, sagt Christiner. Idealerweise sollte der Speicher ab 11 Uhr die Mittagsspitze abfangen.
Das neue Elektrizitätswirtschaftsgesetz soll künftig variable Netztarife ermöglichen, die systemdienliches Verhalten belohnen. Der Preis liegt mittags bei nahezu null Euro oder sogar im negativen Bereich, während er abends auf 170-180 Euro pro Megawattstunde steigen kann.
Gemeinden als unverzichtbare Partner
Für den massiven Leitungsausbau sind die Gemeinden laut Christiner unverzichtbar. „Die Gemeinden brauchen wir dabei besonders für unsere Arbeit. Sie sind die ‚enabler‘ der Projekte“, betont der APG-Vorstandssprecher im Gespräch mit Pressl im Podcast. Der Bürgermeister und die Gemeindeverwaltung seien die zentralen Ansprechpartner bei der Trassenplanung und der Vermittlung gegenüber der Bevölkerung.
Eine große Herausforderung für die Arbeit der APG bei der Umsetzung neuer Projekte sieht Christiner in der frühzeitigen Einbindung der Bürgerinnen und Bürger aber auch der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie einer umfassenden Kommunikation und Aufklärung anstehender Projekte. Dabei brauche es ein Commitment von allen Beteiligten.
Allerdings dürften Bürgermeister mit der Verantwortung nicht allein gelassen werden. „Es braucht für solche Projekte bestenfalls ein Commitment der Bundesregierung, in jedem Fall der Landesregierung“, forderte Christiner. Die Infrastrukturausbauten müssten als überragendes öffentliches Interesse definiert werden. Zudem brauche es „einen fairen Ausgleich für die Gemeinden“. Christiner fordert „Wir brauchen klare Rahmenbedingungen.“
Appell an andere Kommunen
Seinen Amtskollegen kann Otto Auer den Schritt zur Windkraft und Energiegemeinschaft nur wärmstens empfehlen: „Sie bringt zufriedene Bürger, sorgt für Regionalität und schafft erneuerbaren Strom.“
Hinsichtlich eines möglichen Blackouts beruhigt Christiner: „Österreich hat ein sehr verlässliches Netz, das gut ausgebaut ist und stabil läuft. Dennoch kann es immer wieder passieren, dass Teile des Systems ausfallen oder kollabieren.“ Hauptursache für Blackouts sind typischerweise Überlastungen von Stromleitungen, die zu Kettenreaktionen führen. Die zentrale Lage im europäischen Netzverbund biete zusätzliche Unterstützung durch Nachbarländer.
Nicht ganz so entspannt sieht der APG-Vorstand die zunehmenden Hacker-Angriffe auf das Stromnetz.
„Wir überwachen unsere Systeme rund um die Uhr, versuchen auch permanent nachzuforschen, aber es ist durchaus eine reale Bedrohung“, warnt Christiner. Die APG betreibt ein Security Operation Center, das das IT-System permanent überwacht.
Energiewende als Chance für Gemeinden
Die Energiewende erfordert einen systemischen Umbau von Kraftwerken, Netzen, Speichern und Digitalisierung. Die große Kunst werde sein, Genehmigungsverfahren effizienter zu gestalten und Projekte bestmöglich zu planen, betonte Christiner.
Das Beispiel Höflein zeigt: Gemeinden können von der Energiewende profitieren, wenn Bürgerbeteiligung und transparente Kommunikation von Anfang an mitgedacht werden. Die Kombination aus dezentraler Erzeugung, lokalen Speichern und regionalen Energiegemeinschaften bietet einen praktikablen Weg zur erfolgreichen Umsetzung.