Industriebrachen sind keine städtebaulichen Hindernisse, sondern Potenzialräume für innovative Stadtentwicklung.
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Strukturwandel
Lebendiger Begegnungsraum auf Industrie- und Gewerbebrachflächen
Leer stehende Industrie- und Gewerbeflächen sind längst kein Randphänomen mehr, sondern prägen Städte und Gemeinden quer durch Österreich. Ob alte Fabrikshallen oder verlassene Möbelhäuser – sie stellen Kommunen vor große Herausforderungen, eröffnen aber zugleich Chancen für kreative Nachnutzung und lebendige Quartiersentwicklung.
Der anhaltende Strukturwandel hinterlässt in österreichischen Städten und Gemeinden eine neue Dimension brachliegender Flächen: Neben den klassischen Industriebrachen entstehen durch Digitalisierung und E-Commerce zunehmend Gewerbebrachen. Online-Shopping und veränderte Konsumgewohnheiten zwingen traditionelle Einzelhändler, Warenhäuser und gewerbliche Dienstleister zur Geschäftsaufgabe – zurück bleiben oft großflächige Handelsimmobilien und Gewerbeobjekte in frequentierten Lagen.
Diese neuen Brachflächen bergen enormes Potenzial für die Stadtentwicklung, stellen Kommunen aber vor komplexe planerische, rechtliche und finanzielle Herausforderungen. Wie können aus ehemaligen Produktions- und Handelsstätten lebendige Stadtquartiere entstehen?
Klassische Industriebrachen und neue Gewerbebrachen
Industrie- und Gewerbebrachen sind degradierte Flächen ehemaliger Produktions- und Handelsstätten, die ihre ursprüngliche wirtschaftliche Funktion verloren haben. Diese Areale entstehen heute durch parallele Entwicklungen:
Klassische Industriebrachen resultieren aus dem demografischen Wandel mit Abwanderung der jüngeren Bevölkerung in Ballungsräume sowie dem strukturellen Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Neue Gewerbebrachen entstehen verstärkt durch die digitale Transformation: E-Commerce-Boom, veränderte Logistikstrukturen und neue Konsumgewohnheiten führen zur Schließung traditioneller Einzelhandelsbetriebe, Warenhäuser und gewerblicher Dienstleister. Die Insolvenz großer Handelsketten wie Kika/Leiner illustriert diesen Trend eindrucksvoll.
Kennzeichnend für beide Brachtypen sind nicht nur leer stehende Gebäude, sondern oft großflächige, komplexe Areale mit spezifischer baulicher und infrastruktureller Prägung. Während Industriebrachen häufig Kontaminationsprobleme aufweisen, stellen Gewerbebrachen andere Herausforderungen: großvolumige Handelsarchitektur, periphere Lagen und auf Pkw-Verkehr ausgelegte Erschließung.
Das Prinzip „Brownfield is Better than Greenfield“
Das europäische Interreg-Projekt „ReInd-BBG“ im Donauraum propagiert einen paradigmatischen Ansatz: Die Reindustrialisierung nach dem Grundsatz „Braun ist besser als Grün“. Dieser Ansatz bedeutet, dass bestehende Industriebrachen für neue industrielle oder produktionsorientierte Zwecke reaktiviert werden, anstatt neue Produktionsstätten auf der grünen Wiese zu errichten.
Die Vorteile liegen auf der Hand – Vermeidung von Flächenversiegelung, Schutz der biologischen Vielfalt und effiziente Nutzung bereits erschlossener Standorte. Gleichzeitig ist die Anpassung bestehender Industriestandorte für neue industrielle Nutzungen technisch und wirtschaftlich oft einfacher realisierbar als die komplette Umwandlung in postindustrielle Landschaften.
Die Revitalisierung von Industriebrachen erfordert von den beteiligten Kommunen einen vielschichtigen Planungsansatz. Erfolgreiche Projekte zeichnen sich durch mehrere Schlüsselelemente aus.
Notwendig ist ein koordinierter Mitplanungs- und Mitgestaltungsprozess, der die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Prioritäten der betroffenen Gemeinden berücksichtigt.
Dabei müssen zivilgesellschaftliche Akteure von Beginn an stark eingebunden werden. Die Lösung von Raumplanungs-, Kontaminations- und anderen Umweltproblemen erfordert die Kooperation verschiedener Verwaltungsebenen. Dies umfasst auch die Integration in Bereiche wie Verkehr, Kommunikation, Infrastruktur sowie Unternehmensförderung und Investorenmanagement. Industriebrachenprojekte müssen in regionale Strategien und polyzentrische Entwicklungspläne integriert werden, um nachhaltige Entwicklungseffekte zu erzielen.
Vorbildliche Nachnutzungen
Die österreichische Praxis zeigt eindrucksvoll, wie vielfältig und erfolgreich Industriebrachen revitalisiert werden können. Eine systematische Betrachtung nach Bundesländern offenbart unterschiedliche Ansätze und Schwerpunkte.
In Wien gilt das international beachtete Gasometer-Projekt in Simmering als Paradebeispiel für die adaptive Wiederverwertung großer Industriedenkmäler. Die vier historischen Gasbehälter wurden zu einem lebendigen Stadtteil mit 600 Wohnungen, Einkaufszentrum, Veranstaltungsräumen und Büros umgewandelt.
Das Projekt zeigt, wie denkmalgeschützte Industriearchitektur mit zeitgemäßen Nutzungsanforderungen harmonisch verbunden werden kann. Kleinere, aber nicht weniger bedeutsame Projekte wie die Remise Kreuzgasse oder der Markhof demonstrieren, wie auch innerstädtische Bestandsbauten – ehemalige Remisen und Druckereien – durch Multifunktionsnutzungen mit Handel, Wohnen und Sozialangeboten neues Leben erhalten.
In Oberösterreich hat sich die Tabakfabrik Linz als österreichisches Leuchtturmprojekt etabliert. Die großflächige Umnutzung des historischen Industriekomplexes zu einem Kreativ- und Wirtschaftscampus vereint Start-ups, Kultur und Forschung unter einem Dach. Die kontinuierliche Revitalisierung wurde mit mehreren Architekturpreisen ausgezeichnet und zeigt exemplarisch, wie große Industriekomplexe zu wertvollen urbanen Quartieren entwickelt werden können.
Das Graumann-Viertel in Traun geht einen anderen Weg: Die ehemalige Bandfabrik wird zu einem autofreien Stadtquartier umgewandelt und zeigt neue Ansätze für nachhaltige Mobilität in revitalisierten Industriearealen.
In Salzburg zeigt das Gusswerk in der Landeshauptstadt die erfolgreiche Umwandlung einer ehemaligen Glockengießerei in eine multifunktionale Nachnutzung für Büros, Events und Kultur.
Der Lakeside Science & Technology Park in Klagenfurt beweist, wie ehemalige Industrie- und Gewerbeflächen durch die Nähe zur Universität zu einem internationalen Technologie- und Forschungspark entwickelt werden können – ein Beispiel für wirtschaftsgetriebene Nachnutzung mit starker Vernetzung.
Vorarlberg punktet mit durchdachten Bestandsumnutzungen: Das Steinebach-Areal in Dornbirn wurde zu einem gemischten Gewerbestandort, die Seifenfabrik Lauterach beherbergt nach Generalsanierung Musikschule und soziale Angebote. Die ehemalige Wäscheproduktion in Bregenz fand als JUFA-Hotel eine touristische Nachnutzung.
In Niederösterreich demonstriert der Zukunftspark+ in Tulln, wie aus der ehemaligen Goldmann-Druckerei ein moderner Gewerbepark mit eigener Stromerzeugung entstehen kann. Das Projekt belegt das Potenzial für regionale Wertschöpfung durch kluge Nachnutzung bestehender Infrastrukturen.
In Mödling ist das Areal einer aufgelassenen Tankstelle im Stadtzentrum ein aktuelles Beispiel für eine typische Gewerbebrache, die vormals als Schandfleck galt und nun für eine enorme Aufwertung der Umgebung sorgt, indem sie nach einem Bürgerbeteiligungsprozess zu einem Park umgewandelt wurde.
Ein denkmalgeschütztes Bestandsgebäude integrierte man einfach. Für das ebenfalls denkmalgeschützte ehemalige Leiner-Zentrallager direkt an der Südbahn schmieden die Mödlinger nun die nächsten Pläne.
Kika/Leiner-Nachnutzungen
Die Insolvenz der Möbelhauskette Kika/Leiner hat österreichweit eine Welle von Nachnutzungsüberlegungen ausgelöst. Die großflächigen Handelsimmobilien in oft peripherer Lage stellen Kommunen vor neue Planungsaufgaben.
Diskutierte Lösungsansätze umfassen Mischnutzungen in Form einer Kombination aus Lebensmittelhandel, Nahversorgung und Wohnbau, Gewerbe- und Logistiknutzungen für wirtschaftliche Standorte, Dienstleistungs- und Freizeitnutzungen zum Stärken lokaler Zentren oder Mobilitätskonzepte wie z. B. Parkhäuser. Die konkrete Umsetzung erfordert meist Widmungsänderungen und intensive kommunale Abstimmung, zeigt aber auch das Potenzial für innovative Nachnutzungskonzepte.
Herausforderungen des Flächenrecyclings
Das sogenannte Flächenrecycling – die nutzungsbezogene Wiedereingliederung ehemaliger Industriestandorte in den Wirtschafts- und Naturkreislauf – stellt Kommunen vor erhebliche Herausforderungen.
Alte Bebauung, Fundamente und Leitungen erfordern oft aufwendigen Rückbau oder Abriss. Industriell bedingte Altlasten verschärfen diese Problematik zusätzlich und können zu unkalkulierbaren Sanierungskosten führen. Der unübersichtliche Sanierungsbedarf und die damit verbundenen Haftungsrisiken schaffen Planungsunsicherheiten, die private Investoren abschrecken können. Vielfach ungünstige Grundstückszuschnitte erschweren eine optimale Nachnutzung.
Die Wahl der Revitalisierungsstrategie hängt sowohl von den örtlichen Gegebenheiten als auch von den stadtentwicklungspolitischen Zielsetzungen ab: Soll neuer Wohnraum entstehen? Sind Mischnutzungen mit Gewerbeeinheiten geplant? Oder fehlen Grün- und Freizeitflächen?
Innovative Finanzierungskonzepte
Die Finanzierung von Industriebrachen-Projekten erfordert kreative Ansätze, die öffentliche und private Ressourcen kombinieren. Öffentlich-private Partnerschaften (PPP) haben sich als besonders geeignet erwiesen, da sie die Expertise und Risikobereitschaft privater Investoren mit den langfristigen Entwicklungszielen der öffentlichen Hand verbinden.
Erfolgreiche Projekte zeichnen sich durch solide Finanzierungskonzepte aus, die bereits in der Planungsphase auf ihre Machbarkeit geprüft werden. Dabei spielen auch EU-Förderprogramme wie das Interreg-Programm eine wichtige Rolle bei der Kofinanzierung von Pilotprojekten.
Erfolgsfaktoren aus der österreichischen Praxis
Die Analyse österreichischer Nachnutzungsprojekte zeigt wiederkehrende Erfolgsmuster. Projekte wie die Tabakfabrik Linz oder die Wiener Gasometer beweisen: Die Kombination aus Wohnen, Gewerbe, Kultur und Nahversorgung sichert sowohl Wirtschaftlichkeit als auch gesellschaftliche Akzeptanz. Diese Mischnutzung reduziert Risiken und schafft lebendige Quartiere.
Entscheidend ist die rechtzeitige Klärung von Widmungsfragen, Mobilitätskonzepten und Infrastrukturanpassungen. Viele aktuelle Herausforderungen – wie bei den Kika/Leiner-Standorten – hängen genau an diesen planungsrechtlichen Aspekten. Pop-up-Konzepte, Kulturnutzungen oder Co-Working-Spaces können Leerstände entschärfen und Hemmschwellen für permanente Nachnutzungen abbauen. Dieses Instrument wird in österreichischen Revitalisierungen zunehmend strategisch eingesetzt.
Potenzialräume für innovative Stadtentwicklung
Die österreichischen Beispiele zeigen: Industriebrachen sind keine städtebaulichen Hindernisse, sondern Potenzialräume für innovative Stadtentwicklung. Von großstädtischen Leuchtturmprojekten bis zu regionalen Gewerbestandorten – mit dem richtigen Konzept können aus industriellen Altlasten lebendige Quartiere entstehen, die ökonomische, ökologische und soziale Mehrwerte schaffen.
Entscheidend für den Erfolg ist ein integrierter Planungsansatz, der die Lehren aus bereits realisierten Projekten berücksichtigt und frühzeitig alle relevanten Akteure einbindet. Die umfangreiche Dokumentation in der österreichischen Best-Practice-Sammlung des Brachflächen-Dialogs bietet dabei wertvolle Orientierung für zukünftige Projekte.
Typische Strategien für Nachnutzung
- Adaptive Re‑Use / Umnutzung des Bestands: Bestehende Hallen, Tragwerke oder Industriebauten werden entkernt, saniert und für neue Nutzungen adaptiert.
- Teilabriss + Neubau mit Mischnutzung: Wo Gebäude nicht sanierbar sind, erfolgt ein geplanter Abriss und Neubau.
- Renaturierung/Freiraumnutzung: Ehemalige Industrieflächen werden zu neuen Grünräumen; oft als Zwischennutzung.
- Mixed-Use-Quartiere: Kombination von Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Dienstleistungen – mit kurzen Wegen und guter Anbindung.
- Plattform/Datenbank anlegen: Nachnutzung lässt sich fördern, wenn Gemeinden eine systematische Erfassung (Inventarisierung) von Brachflächen betreiben und Eigentümer und Nachnutzer zusammenbringen.