Mann deutet Nein
Während ein Nein im privaten Umfeld schwierig sein kann, ist es in der öffentlichen Verwaltung oft unausweichlich.
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Die Kunst des Neinsagens

Bürgermeister stehen oft zwischen den Erwartungen der Bevölkerung und der Einhaltung der Gesetze.

In der Kommunalpolitik ist das Neinsagen oft keine Frage der Wahl, sondern der Pflicht. „Ein Nein ist in unserer Kommunikationswelt eine klare Grenze“, erklärt Cornel Binder-Kriegl­stein, Experte für psychosoziale Themen.

„Es ist ein Versuch, jemandem zu zeigen, dass etwas nicht in Ordnung ist.“ Doch besonders in Österreich, wo die Suche nach Kompromissen tief in der Mentalität verwurzelt ist, wird das Nein häufig umgangen oder verschleiert. Das führt mitunter zu Missverständnissen und Frustration, insbesondere wenn es um heikle Themen wie Bauverbote oder Abrissbescheide geht.

Kommunikation im Amt – Eine Gratwanderung

Cornel Binder-Krieglstein
Cornel Binder-Krieglstein: „Es ist ein schmaler Grat, die Rolle des Durchsetzers und die des Vertrauensmannes zu vereinen.“

Während ein Nein im privaten Umfeld schwierig sein kann, ist es in der öffentlichen Verwaltung oft unausweichlich. „Als Bürgermeister muss man Gesetze durchsetzen – auch gegen Widerstände“, so Binder-Krieglstein. Dabei spielt die Größe der Gemeinde eine wesentliche Rolle: In kleineren Orten kennt man einander persönlich, was Entscheidungen zusätzlich emotional aufladen kann. In größeren Städten übernehmen oft Magistratsabteilungen die Kommunikation. Dennoch, gerade in kleinen Gemeinden, wo „jeder jeden kennt“, wie Binder-Krieglstein betont, sind persönliche Beziehungen mitunter eng verwoben und erschweren eine klare Abgrenzung zwischen Amt und Privatleben.

„Ein Bescheid, der beispielsweise den Abriss eines Wochenendhauses in der Grünzone fordert, wird selten ohne umfassendes Verfahren erstellt“, sagt Binder-Krieglstein. Dennoch fühlen sich Betroffene oft überrumpelt. Hier sieht er Handlungsbedarf: „Eine nachvollziehbare Kommunikation und das Einbinden der Betroffenen in den Prozess können helfen, Eskalationen zu vermeiden.“

Wenn das Nein zur Krise wird

Besonders in emotional aufgeladenen Situationen können psychologische Unterstützungsmaßnahmen sinnvoll sein. „Viele Tragödien entstehen, weil Konflikte über Jahre hinweg ungelöst bleiben und sich aufstauen“, warnt Binder-Krieglstein. Es sei essenziell, Anzeichen von Überforderung oder Aggression frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig Fachkräfte einzubeziehen. In kleinen Gemeinden fehlen oft die Ressourcen für psychosoziale Betreuung, doch auch hier ließe sich durch bessere Zusammenarbeit mit übergeordneten Stellen viel bewirken.

Die Verantwortung des Bürgermeisters

Ein Bürgermeister ist in erster Linie eine Schnittstelle zwischen den Bürgern und der Verwaltung. Gleichzeitig ist er aber auch „einer von uns“, vor allem in ländlichen Gemeinden. Dieses enge Verhältnis macht Entscheidungen wie Bauverbote oder Abrissbescheide für die Betroffenen oft persönlich. „Es ist ein schmaler Grat, die Rolle des Durchsetzers und die des Vertrauensmannes zu vereinen“, so Binder-Krieglstein.

Doch die Realität zeigt auch, dass viele Bürgermeister weit über ihre offizielle Arbeitszeit hinaus für ihre Gemeinde arbeiten – oft ohne ausreichende Wertschätzung. „Die Menschen merken meist nur, wenn etwas fehlt, und nicht, wie viel Arbeit dahintersteckt“, erklärt Binder-Kriegl­stein. Diese Diskrepanz erschwert die Kommunikation und den Umgang mit Konflikten zusätzlich.

Alarmglocken erkennen und Konflikte entschärfen

Ein wichtiges Thema ist die Eskalation von Konflikten, die in Gewalt umschlagen können. „Gewalt gegen Bürgermeister ist kein neues Phänomen, aber sie nimmt zu, wenn das Vertrauen in die Politik schwindet“, so Binder-Krieglstein. Besonders besorgniserregend seien Fälle, in denen über Jahre hinweg Frust aufgebaut wurde, ohne dass es Möglichkeiten gab, Dampf abzulassen. „Wenn man rechtzeitig interveniert, könnte man viele Eskalationen vermeiden.“

Bürgermeister stehen damit vor der Aufgabe, nicht nur Gesetze durchzusetzen, sondern auch als Vermittler und Moderator in ihrer Gemeinde zu wirken. „Das bedeutet nicht, dass sie Sozialarbeiter sein müssen“, betont Binder-Krieglstein, „aber sie sollten die Fähigkeit haben, Konflikte frühzeitig zu erkennen und zu kanalisieren.“ 

Zur Person

Cornel Binder-Krieglstein ist Psychologe, Notfallpsychologe und Psychotherapeut. Er verfügt über langjährige Erfahrung mit freiwilliger Tätigkeit im Rettungsdienst und leitet unter anderem die mobile Krisenintervention und die Kummernummer im Roten Kreuz Niederösterreich fachlich.

Er ist Autor mehrerer Bücher, wie beispielsweise „Analyse signifikanter Unterschiede zwischen Pflegeeinrichtungen der 3. Generation (herkömmliche Pflegeeinrichtungen) und Pflegeeinrichtungen  der 4. Generation (Wohngemeinschaftsmodell) hinsichtlich der Bewohnerzufriedenheit und der Ökonomie der Betriebsführung“ (2009) oder „Auswirkungen von Ungewissheit auf das psychische Erleben und wie Ungewissheit bewältigt werden kann“, in „Ungewissheit und Unsicherheit durchleben“ (Hogrefe Verlag, Göttingen, 2022).

2019 erschien im Forum Verlag „School-Shooting“, ein Sicherheitshandbuch für Bildungseinrichtungen, 2015 im Hogrefe Verlag „Aus der Sicht der Notfallpsychologie. Krisenkompetenz für Führungskräfte“ und 2013 im Goldegg Verlag das Buch „Ich will leben“ über menschliche Extremsituationen.