Schneemann schmilzt
Eine Auswertung von Schneedaten zeigt, dass die Schneehöhen und die Dauer der Schneebedeckung in den meisten Regionen Österreichs langfristig abgenommen haben, besonders in tiefen und mittleren Höhenlagen.
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Klimawandel

Wohin mit dem Winterdienst, wenn der Winter ausfällt?

Winterdienst-Fahrzeuge, die monatelang ungenutzt in der Garage stehen. Berghütten, die im Permafrost versinken. Gemeinden, denen das Trinkwasser ausgeht. Der Klimawandel krempelt die Aufgaben österreichischer Gemeinden fundamental um – und zwingt Bürgermeister zum radikalen Umdenken.

Der Winterdienst-Fuhrpark steht bereit, die Streumittel sind eingelagert, das Personal geschult. Doch die Einsätze werden seltener. Was nach einer guten Nachricht klingt, ist für Österreichs Gemeinden eine massive Herausforderung: Der Klimawandel verändert grundlegend, was kommunale Infrastruktur leisten muss – und was nicht mehr.

Die Zahlen sind eindeutig: Im Winter 2019/20 lag in Wien an einem einzigen Tag eine Schneedecke, die Streufahrten nötig machte. Der langjährige Schnitt liegt bei mehr als 30 Tagen mit geschlossener Schneedecke. In den Niederungen wird der klassische Winterdienst zur Ausnahme. Gleichzeitig kämpfen alpine Gemeinden mit ganz anderen Problemen: instabilen Berghängen, wegbrechenden Wanderwegen und einer touristischen Infrastruktur, die auf Schnee gebaut wurde, der immer seltener fällt.

Paradox: Weniger Schnee, mehr Probleme

„Der Winterdienst wird nicht einfacher, nur weil weniger Schnee fällt", erklärt ein Bürgermeister aus dem Salzkammergut. „Die Einsätze werden unberechenbarer. Statt kontinuierlich über Wochen müssen wir jetzt kurzfristig auf einzelne Schneefälle reagieren." Eine umfangreiche Auswertung von Schneedaten zeigt, dass die Schneehöhen und die Dauer der Schneebedeckung in den meisten Regionen Österreichs langfristig abgenommen haben, besonders in tiefen und mittleren Höhenlagen.

Für die kommunale Planung bedeutet das ein Dilemma: Wie dimensioniert man einen Winterdienst, der einerseits seltener gebraucht wird, andererseits aber bei Bedarf sofort einsatzbereit sein muss? Die teuren Räumfahrzeuge stehen monatelang ungenutzt herum, müssen aber gewartet und finanziert werden. Personal muss vorgehalten werden, auch wenn die Auslastung sinkt.

Die alpine Zeitbombe tickt

Während im Flachland der Schnee ausbleibt, tickt in den Bergen eine ganz andere Zeitbombe. In Regionen mit Permafrost und Gletscherrückgang brechen die Berge eindeutig zusammen, zeigt eine aktuelle Studie in den Stubaier und Ötztaler Alpen. Die Zahlen sind alarmierend: Der Permafrost ist in Österreich auf rund 1.500 bis 2.000 km² verbreitet – das ist die fünf- bis sechsfache Fläche aller Gletscher Österreichs.

Was abstrakt klingt, hat konkrete Folgen für alpine Gemeinden: Stabilität und Sicherheit von Straßen, Seilbahnen, Berghütten und Wanderwegen werden schon teilweise von diesem Umstand beeinträchtigt. Das Hochwildehaus in den Ötztaler Alpen musste 2016 geschlossen werden, der Gamsgrubenweg im Nationalpark Hohe Tauern wurde in Tunnels verlegt. Gemeinden müssen plötzlich Millionen in Schutzbauten investieren, Wanderwege sichern oder sperren, Frühwarnsysteme installieren.

„Früher haben wir uns um den Winterdienst auf den Straßen gekümmert", sagt ein Tiroler Bürgermeister. „Heute müssen wir Felswände überwachen und Steinschlagnetze warten. Das sind völlig andere Dimensionen – auch finanziell."

Tourismus: Weit mehr als 128 Gemeinden betroffen

Die oft zitierten 128 Wintersport-Gemeinden sind nur die Spitze des Eisbergs. Tatsächlich sind hunderte österreichische Gemeinden direkt oder indirekt vom Wintertourismus abhängig – als Zulieferer, Arbeitskräftereservoir oder durch Gäste, die auch die umliegenden Täler besuchen. Von den 128 Gemeinden, die derzeit über bzw. im Übergangsbereich zur natürlichen Schneefallgrenze liegen und in denen im Winter 2009/10 fast 31 Mio. Nächtigungen gezählt wurden, würden bei einer Temperaturerhöhung um ein Grad Celsius nur noch zwei Drittel über einen verlässlichen Schnee verfügen.

Die Auswirkungen sind massiv: Simulationen bis 2050 zeigen einen Rückgang der österreichweiten Nachfrage in Skigebieten von -2,2 Prozent bis -6,7 Prozent sowie eine große räumliche Verschiebung: Während am Alpenrand die Nachfrage bis zu 50 Prozent einbrechen könnte, ist eine Zunahme von 50 Prozent im westlichen Tirol sowie in Teilen Kärntens möglich.

Neue Wege im Schnee – und ohne

Kluge Gemeinden setzen längst auf Diversifikation. Alternative Wintersportarten wie Schneeschuhwandern, Winterwandern, Tourengehen oder Langlaufen benötigen weniger Schnee und werden immer beliebter. Rodelstrecken, beleuchtete Winterwanderwege und Eislaufplätze können auch bei geringerer Schneelage betrieben werden.

Eine entscheidende Strategie für die Zukunftssicherheit ist, die Abhängigkeit vom Winter zu reduzieren durch vermehrte Investition in den Sommertourismus. Klettergärten, Bikeparks, Sommerrodelbahnen – viele alpine Gemeinden haben erkannt, dass die Zukunft ganzjährig sein muss.

„Wir haben unsere komplette touristische Infrastruktur neu gedacht", berichtet eine Salzburger Tourismusverantwortliche. „Gondelbahnen für Mountainbiker im Sommer, Winterwanderwege statt nur Skipisten, Events für Familien das ganze Jahr über. Das kostet, aber es sichert unsere Zukunft."

Der Osten: Hitzestress statt Schneestress

Während in den Alpen der Schnee schwindet, kämpft Ostösterreich mit dem gegenteiligen Problem: Zu viel Hitze, zu wenig Wasser. Während es Anfang des 20. Jahrhunderts in Österreich durchschnittlich zwei Tage mit über 30 Grad im Jahr gab, sind es 2019 bereits 15. Dieser Wert wird sich bis 2030 voraussichtlich verdoppeln und bis Ende des Jahrhunderts auf 50 Tage pro Jahr ansteigen.

Die Folgen für Gemeinden im Flachland: Im ungünstigen Szenario könnten bis 2050 statt derzeit 5,1 Milliarden m³ nur noch 3,9 Milliarden Quadratmeter Grundwasser zur Verfügung stehen, das entspricht einer Abnahme um bis zu 23 Prozent. Besonders brisant: Mehr als die Hälfte der 471 von Wasserknappheit bedrohten Gemeinden – nämlich 288 – liegen in Niederösterreich.

Statt Winterdienst müssen diese Gemeinden in Hitzeaktionspläne, Trinkwassersicherung und Bewässerungssysteme investieren. Der Fokus verschiebt sich vom Winter zum Sommer.

Winterdienst der Zukunft: Flexibel, digital, anpassungsfähig

Was bedeutet das alles für den klassischen Winterdienst? Experten sehen mehrere Entwicklungen:

1. Digitalisierung und Präzision: Moderne Wetterprognosen und KI-gestützte Systeme können Einsätze punktgenauer planen. Sensoren an kritischen Stellen melden Glätte automatisch. Das spart Ressourcen und erhöht die Effizienz.

2. Flexiblere Personalkonzepte: Statt festangestelltem Winterdienst-Personal setzen immer mehr Gemeinden auf flexible Modelle – Mitarbeiter aus anderen Bereichen, die im Winter einspringen, oder Kooperationen mit privaten Anbietern.

3. Interkommunale Zusammenarbeit: Kleinere Gemeinden teilen sich Winterdienst-Fahrzeuge und Personal. Was in Tirol noch gebraucht wird, kann in Kärnten schon stehen – durch koordinierte Planung können Ressourcen optimal genutzt werden.

4. Prioritäten neu setzen: Nicht mehr jeder Feldweg muss binnen Stunden geräumt sein. Klare Kategorisierung nach RVS 12.04.12 hilft, Ressourcen auf wichtige Verkehrswege zu konzentrieren.

5. Ganzjahres-Equipment: Fahrzeuge, die im Winter räumen und streuen, können im Sommer für Straßenerhaltung oder Grünflächenpflege eingesetzt werden.

KLAR! als Wegweiser

Unterstützung finden Gemeinden beim KLAR!-Programm des Klima- und Energiefonds. Aktuell werden 93 österreichische Regionen mit 743 Gemeinden und knapp 2,2 Millionen Einwohner dabei unterstützt, Schäden durch Klimafolgen zu vermindern und sich ergebende Chancen zu nutzen. Das Programm bietet finanzielle Förderung für Anpassungskonzepte und begleitet Gemeinden bei der Umsetzung konkreter Maßnahmen.

Die Salzburger Region „KLAR! Pongau“ umfasst beispielsweise 14 Gemeinden, die „KLAR! Pinzgau“ 28 Gemeinden. Ihre Erfahrungen zeigen: Anpassung funktioniert am besten regional und koordiniert.

Investieren statt Abwarten

Die Botschaft an Österreichs Gemeinden ist klar: Der Klimawandel ist keine ferne Bedrohung mehr, sondern kommunale Realität. Ob seltener Schnee im Tal, bröckelnde Berge in den Alpen oder Wassermangel im Osten – die Herausforderungen sind unterschiedlich, aber überall präsent.

Gemeinden, die jetzt handeln, können die Transformation gestalten. Wer abwartet, wird von der Entwicklung überrollt. Der Winterdienst der Zukunft wird anders aussehen – flexibler, digitaler, klimaangepasst. Und in manchen Gemeinden wird er vielleicht zur historischen Fußnote, während ganz andere Aufgaben in den Vordergrund rücken.

Die gute Nachricht: Die Werkzeuge für die Anpassung existieren bereits. Jetzt geht es darum, sie zu nutzen.

Klimawandel in Zahlen

  • In Österreich ist die Temperatur seit 1880 um fast 2 °C angestiegen, im globalen Mittel waren es nur 0,9 °C
  • Bei einer Erwärmung um 3 °C verschiebt sich die Schneesicherheit in den Zentralalpen um 300 m, in den Voralpen um 500 m nach oben
  • Der Wasserbedarf für landwirtschaftliche Bewässerung kann sich bis 2050 annähernd verdoppeln
  • Gegen Ende des 21. Jahrhunderts werden die Alpen so gut wie eisfrei sein