Ausfahrtschild zu Soft oder Hard Brexit
Mittlerweile ist klar, dass sich die britische Regierung vor dem Referendum mit den Folgen eines möglichen EU-Austritts tatsächlich nicht auseinandergesetzt hat. Foto: Shutterstock/northallertonman

Die Auswirkungen des Brexits auf Englands Kommunen

Nicht die Neuordnung der Abfallwirtschaft, nicht die Umsetzung der EU-Regionalpolitik und schon gar nicht die Zukunft Europas sind die Themen, auf die ich in Österreich angesprochen werde. Nein, alle wollen News vom Brexit!

Zugegeben, ein sehr spannendes Thema, weil der Brexit die EU in eine völlig neue, noch nie dagewesene Lage versetzt. Bis dato ging es immer um Beitritte. Jetzt geht es um den Austritt. Und was so einfach aus dem Bauch heraus entschieden wurde, ist in der Realität doch recht komplex und kompliziert in der Umsetzung.



Mittlerweile ist klar, dass sich die britische Regierung vor dem Referendum mit den Folgen eines möglichen EU-Austritts tatsächlich nicht auseinandergesetzt hat. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man sich die Europaberichterstattung der britischen Regenbogenpresse in Erinnerung ruft. Anscheinend stellte sich niemand die Frage, wie sich jahrzehntelange Negativberichterstattung in einem Volksentscheid auswirken kann.

Briten müssen mehrere Szenarien entwickeln



Die britische Regierung kämpft auch Monate nach dem Referendum mit dem Aufbau von Expertise, von internen Streitigkeiten einmal ganz abgesehen. Mittlerweile muss sie sogar mehrere Szenarien parallel entwickeln, nämlich für einen ungeregelten Austritt mit 29. März 2019, ein zweijähriges Übergangsregime und den rechtzeitigen Abschluss der Verhandlungen bis Anfang 2019. Nicht nur die medial im Zentrum stehenden Fragen der Bürgerrechte oder des Rechnungsabschlusses sind dabei zu beachten, es geht auch um Flugverkehrssicherheit, EURATOM und Fischereirechte.

Positionspapier zur Zukunft der Regionalpolitik



Doch während die britische Regierung langsam in die Gänge kommt, positionieren sich diverse Interessensvertreter bereits als Experten. So auch der englische Kommunalverband LGA (Local Government Association), der mit einem detaillierten Positionspapier zur Zukunft der Regionalpolitik wichtige Impulse lieferte, wie ein nationales Nachfolgeprogramm der EU-Kohäsionspolitik aufgestellt sein muss. Immerhin fließen in der Förderperiode 2014 bis 2020 über zehn Milliarden Euro an Strukturfondsgeldern nach Großbritannien. Geld, das in Regionen und Gemeinden dringend gebraucht wird, denn die unter Premier Cameron initiierten Kürzungen der Zuweisungen wirken noch immer nach und insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit liegt – wie auch der kürzlich veröffentlichte 7. Kohäsionsbericht zeigt – in weiten Teilen Großbritanniens bei zehn bis fünfzehn Prozent.



Man wird sehen, ob es nach dem Brexit gelingt, Briten verstärkt in Sektoren wie Gastronomie, Landwirtschaft oder Pflege zu vermitteln, die aktuell auf Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland angewiesen sind. Laut einer Erhebung des LGA stammen etwa sieben Prozent der Pflegekräfte aus EU-Ländern.

Daten über die Auswirkungen den Brexits in den englischen Gemeinden



Um die Auswirkungen des Brexit auf die verbliebenen Dienste der Daseinsvorsorge und auf die kommunale Finanzsituation besser einschätzen zu können, sammelt LGA Daten der Councils, die man in die weitere Debatte einspeisen will. Englische Gemeinden werden nach ihrer Einschätzung zu den Auswirkungen des Brexit auf die lokale Wirtschaftsentwicklung, auf die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen oder auf die Regionalentwicklung gefragt. Vor allem bei den ersten beiden Fragen spielen etwa die Arbeitskräftemobilität, Umbrüche am Arbeitsmarkt, geänderte Nachfrageentwicklungen, Neuregelung der staatlichen Beihilfen und das (EU-)Vergaberecht eine große Rolle.



Man sieht: Allein auf lokaler Ebene gibt es unzählige Bereiche, die von EU-Recht geprägt sind und von EU-Förderungen profitieren. Im Falle Großbritanniens fällt dies einer breiteren Masse erst jetzt auf; die anderen Mitgliedstaaten haben noch Gelegenheit, sich mit der Zukunft Europas auseinanderzusetzen und ihre Bürger wieder mehr ins Boot zu holen.



Eine Irrfahrt im Ärmelkanal ist nämlich niemandem zu wünschen.