
„Prinzipiell ist das Amt ein wunderbarer und interessanter Beruft“, ist Sonja Ottenbacher trotz aller Herausforderungen überzeugt. Hier im Bild auf dem Podium des Kommunalwirtschaftsforum mit KOMMUNAL-Chefredakteur Hans Braun.
© Jürg Christandl
Das Vertrauen der Menschen wird oft zur Bürde
Bürgermeisterinnen und Bürgermeister erfüllen eine Rolle, die viele Facetten hat – und eine enorme emotionale Wucht. Was das mit ihrer psychischen Gesundheit macht, wird selten thematisiert. Dabei wäre es dringend an der Zeit. KOMMUNAL sprach darüber mit Sonja Ottenbacher, langjährige (Ex)-Bürgermeisterin von Stuhleck und Psychotherapeutin
Vertrauen ist eine schwere Last: Die Gemeindewahlen 2025 in Niederösterreich, Vorarlberg und der Steiermark haben erneut ein starkes Signal ausgesendet: Die Menschen vertrauen ihrer Bürgermeisterin oder ihrem Bürgermeister – weit mehr als Landes- oder Bundespolitiker:innen. Zwei Drittel der Befragten in der Steiermark gaben an, „sehr“ oder „ziemlich“ zu vertrauen. Ein schöner Vertrauensvorschuss, ohne Zweifel.
Laut der Gemeinde-Wahlanalyse von Peter Filzmaier und Christian Glantschnigg herrscht in der Bevölkerung weitgehende Zufriedenheit mit den Leistungen der Gemeinden – sei es bei Nahversorgung, Kinderbetreuung oder dem Zusammenleben von Jung und Alt. Diese positive Wahrnehmung ist ein gutes Signal, aber sie erhöht auch den Druck auf kommunale Entscheidungsträger:innen, dieses hohe Niveau zu halten oder gar zu steigern.
Das sogenannte „Split-Ticket-Voting“ zeigt: Die Menschen denken differenziert und schreiben der Gemeindepolitik mehr Lösungskompetenz zu als höheren politischen Ebenen. Doch wenn etwas nicht klappt, richten sich Enttäuschung und Ärger unmittelbar gegen die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister – und das oft sehr persönlich.
Aber auch ein gewaltiger Druck. Denn mit dem Vertrauen kommt die Erwartung: „Der Bürgermeister wird’s schon richten.“ Und genau das bringt viele an ihre Belastungsgrenze. Wer dauernd liefert, kann sich kaum erlauben, einmal nicht zu funktionieren.
Wenn Tragödien den Alltag unterbrechen
Doch was passiert, wenn die Gemeinde selbst zur Krisenzone wird? Wenn ein Kind auf dem Zebrastreifen ums Leben kommt. Wenn ein Hochwasser Straßen wegreißt, Menschen verletzt oder Existenzen vernichtet. Wenn nach einem Lawinenabgang Trauer in der Gemeinde liegt – und der Bürgermeister plötzlich neben den Rettungskräften steht, Interviews gibt, Angehörige tröstet, organisiert.
Diese Szenarien sind kein Worst-Case aus dem Lehrbuch. Sie sind real. Und sie passieren regelmäßig – in ganz Österreich.
Was viele vergessen: Für solche Momente ist niemand wirklich vorbereitet. Bürgermeister:innen sind keine Katastrophenpsychologen. Sie sind meist mitfühlende Menschen, die sich durch ihre Ortskenntnis und ihr Engagement ins Amt gebracht haben – nicht durch eine Ausbildung im Umgang mit Trauma, Verlust und Ohnmacht.
Einsamkeit im Amt
„Man sitzt oft buchstäblich zwischen den Stühlen“, erzählt eine, die es weiß: Sonja Ottenbacher war lange Jahre Bürgermeisterin von Stuhlfelden im Salzburgischen (eine der ersaten überhaupt in Salzburg) , war die erste Vizepräsidentin des Österreichischen Gemeindebundes – und sie ist ausgebildete Psychotherapeutin. KOMMUNAL traf sie im Vorfeld des Kommunalwirtschaftsforum in Saalfelden.
Zwischen den Erwartungen der Bevölkerung und den Grenzen in Verhandlungen mit Land oder Bund. Zwischen dem Wunsch zu helfen – und der Realität, dass selbst gut gemeinte Hilfe manchmal nicht reicht. Viele berichten von einem Gefühl der Isolation: Selbst innerhalb der eigenen Fraktion gibt es oft wenig Unterstützung, wenn die Lage schwierig wird.
Wer es schafft, früh ein engagiertes Team zu formen und Projekte zu delegieren, hat bessere Karten. Aber viele tragen die Last allein – Tag für Tag, Beschwerde für Beschwerde. Und dabei noch mit dem Lächeln des Problemlösers.
Emotionale Stärke ist keine Selbstverständlichkeit
Das Bild vom „starken Mann“ oder der „unermüdlichen Bürgermeisterin“ hält sich hartnäckig. Doch es führt dazu, dass Schwäche selten gezeigt – und noch seltener thematisiert wird. Dabei wäre genau das nötig. Denn Kränkungen, Anfeindungen und das Gefühl, nie gut genug zu sein, nagen langfristig an der Seele.
Hinzu kommt: Die Bevölkerung wird kritischer, die Ansprüche steigen, die Ressourcen bleiben knapp. Wer da noch leistet, muss fast Übermenschliches vollbringen – und bleibt doch nur Mensch.
Zahlen, die Hoffnung machen – und gleichzeitig fordern
Die politikwissenschaftliche Analyse von Peter Filzmaier und Christian Glantschnig zeigt: Die Zufriedenheit mit der Gemeindepolitik ist beachtlich hoch. Vor allem bei Themen wie Nahversorgung, Zusammenleben und Kinderbetreuung schneiden Gemeinden deutlich besser ab als Landes- oder Bundespolitik. Gleichzeitig wird klar: Die emotionale Nähe zwischen Bürger:innen und Bürgermeister:in ist ein Erfolgsfaktor – aber auch eine sensible Verbindung. Wird sie enttäuscht, trifft das nicht nur politische Programme, sondern Persönlichkeiten.
Und was hilft, wenn’s zu viel wird? Psychische Gesundheit braucht Raum – auch und gerade in der Kommunalpolitik. Was es braucht, ist kein Wellnessprogramm, sondern echte, professionelle Unterstützung, meint Ottenbacher:
- Supervision und psychologische Begleitung, speziell für kommunale Führungskräfte, müssen Standard werden.
- Krisentrainings und Resilienz-Workshops können helfen, besser mit tragischen Ereignissen umzugehen.
- Ein starkes Team, dem vertraut und Verantwortung übergeben wird, entlastet – und schützt.
- Anlaufstellen wie die HelpLine des Bundesverbandes Österreichischer Psycholog:innen BÖP (Tel. 01/504 8000) bieten kostenlos und anonym Erste Hilfe für die Seele – nur sollte es ähnliche Anlaufstellen vielleicht auch in jedem Bundesland geben.
Und vielleicht braucht es auch ein neues Narrativ: Nicht der oder die Unermüdliche ist der oder die Beste. Sondern der oder die, die sich um sich selbst kümmert – um für andere da sein zu können. Bürgermeister:innen tragen viel. Mehr, als man von außen oft sieht. Sie tragen Verantwortung, Erwartungen, das tägliche Kleinklein – und manchmal auch das große Unfassbare. Damit sie nicht daran zerbrechen, braucht es ein neues Bewusstsein. Für ihre Gesundheit, ihre Rolle – und dafür, dass Menschlichkeit auch an der Spitze einer Gemeinde Platz haben darf.
„Denn prinzipiell ist das Amt ein wunderbarer und interessanter Beruf“, so Ottenbacher. „Vor allem wenn man auf die mentale Gesundheit schaut und sich psychisch und körperlich wohl fühlt. Gerade deshalb wäre es so wichtig und auch notwendig, dass dementsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden.“