
Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind nicht nur Funktionsträger, sondern Menschen - und engagieren sich oft bis zur Erschöpfung.
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Bürgermeister unter Druck: Vertrauenspersonen mit Grenzen
Sie organisieren, vermitteln, reagieren. Sie gestalten Nahversorgung, Schulbau und Pflegeangebote – und stehen gleichzeitig an der Spitze, wenn Krisen über Nacht hereinbrechen. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister tragen das Fundament unserer Gemeinden – oft unter Bedingungen, die an persönliche Grenzen führen. Warum sie trotzdem weitermachen? Die Antwort liegt zwischen Vertrauen, Verantwortung und der Überzeugung, dass das Leben vor Ort zählt.
Die Gemeinderatswahlen 2025 in Niederösterreich, Vorarlberg und der Steiermark haben es bestätigt: Bürgermeisterinnen und Bürgermeister genießen hohes Ansehen. Zwei Drittel der Steirerinnen und Steirer gaben in einer Wahlstudie an, „sehr“ oder „ziemlich“ zu vertrauen – mehr als jeder Landes- oder Bundespolitiker erreicht.
„Mit steigender Nähe zwischen politischer Ebene und Bürgern steigt auch das Vertrauen in die Politik“, wie Peter Filzmaier und Christian Glantschnigg in ihrer Wahlanalyse schreiben.
Vertrauen als Kapital – und als Last
Diese hohe Vertrauensbasis ist zweifellos ein demokratisches Kapital – aber sie hat ihren Preis. Wer so stark im Zentrum steht, trägt auch die Hauptverantwortung für alles, was funktioniert – oder eben nicht. Enttäuschung trifft in der Gemeindepolitik nicht bloß ein anonymes System, sondern konkrete Menschen. Wenn etwas nicht klappt, richten sich Enttäuschung und Ärger unmittelbar gegen die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister – und das oft sehr persönlich.
Damit hat dieses Vertrauen eine Kehrseite: Wer geschätzt wird, wird auch gefordert – ständig, umfassend, persönlich. Bürgermeister:innen sind die erste Anlaufstelle, die letzte Hoffnung, das Gesicht der Gemeinde. Und oft auch der Blitzableiter.
Zufriedenheit, die Druck macht
Was auf den ersten Blick erfreulich klingt, erhöht auf den zweiten die Fallhöhe. Die Menschen sind mit ihrer Gemeindepolitik weit zufriedener als mit höheren Ebenen – besonders bei Nahversorgung, Kinderbetreuung, öffentlichem Verkehr. „77 Prozent der Steirerinnen und Steier sind mit der Nahversorgung zufrieden, über zwei Drittel auch mit der Gesundheitsversorgung.“
Diese Werte bedeuten Rückenwind – aber sie erhöhen auch den Druck. Denn in Zeiten von Teuerung, Fachkräftemangel und wachsenden Verwaltungsauflagen, Preissteigerungen und Energiekosten sollen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister mit begrenzten Mitteln ein steigendes Maß an Service sichern. Und das nicht abstrakt – sondern im Alltag der Menschen. „Der Bürgermeister wird’s schon richten“, meint dazu Sonja Ottenbacher, Bürgermeisterin a.D. und Psychotherapeutin im Interview – dieser Satz klingt freundlich. Aber er bringt viele an ihre Belastungsgrenze.
Eine Studie der FH Kärnten, die 2024 unter Leitung von Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle erstellt wurde, bestätigt diesen Trend: „Die angespannte Finanzlage in den Gemeinden wird zum Topthema“, meinte Kathrin Stainer-Hämmerle im Vorjahr. Erst seit ein paar Wochen wissen wir, wie sehr sie ins Schwarze getroffen hat.
Der Mensch im Ausnahmezustand
Was vielen nicht bewusst ist: Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind nicht nur Funktionsträger – sondern Menschen. Menschen, die reagieren müssen, wenn ein Kind stirbt, ein Hochwasser alles wegreißt oder ein plötzlicher Suizid die Dorfgemeinschaft erschüttert. Denn, „für solche Momente ist niemand vorbereitet. Bürgermeister sind keine Katastrophenpsychologen“, meint Sonja Ottenbacher.
In solchen Augenblicken stehen sie vor Mikrofonen, bei Einsatzkräften, vor Angehörigen – oft, ohne sich selbst eine Minute zum Atmen gönnen zu können.
Ottenbacher war selbst viele Jahre Bürgermeisterin und kennt beide Seiten: das politische Geschäft und die psychische Belastung. Die Einsamkeit im Amt, die Rolle als Projektleiter:in, Streitschlichter:in, Blitzableiter:in – oft alles in einer Person. Was viele unterschätzen: Diese emotionale Multibelastung hinterlässt Spuren. „Man sitzt oft buchstäblich zwischen den Stühlen – zwischen den Erwartungen der Bevölkerung und den Grenzen in Verhandlungen mit Land oder Bund.“
Die harte Realität sind Zahlen, die aufrütteln. Eine Studie der FH Kärnten aus dem Vorjahr unter Leitung von Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle hat über 450 Bürgermeister:innen befragt. Die Ergebnisse:
- 80,6 Prozent der Männer und 73,3 Prozent der Frauen sehen die finanzielle Lage ihrer Gemeinde als größte Herausforderung.
- Fast zwei Drittel beklagen überbordende Bürokratie.
- Verbale Angriffe und persönliche Anfeindungen haben gegenüber 2022 zugenommen.
- Die Angst vor rechtlicher Verantwortung wächst deutlich.
„Die rechtliche Verantwortung und bürokratische Hürden im Bürgermeister-Amt sind für viele abschreckend“, so Stainer-Hämmerle. Die Folge: Viele denken ans Aufhören. Die Kandidatensuche wird schwerer. Das Rückgrat beginnt zu wackeln.
Zwischen Stärke und Tabu
In der öffentlichen Wahrnehmung sollen Bürgermeister immer stark sein. Immer lösungsbereit. Immer präsent. „Man sitzt buchstäblich zwischen den Stühlen – zwischen Erwartungen und Machbarkeit“, so Sonja Ottenbacher, die hier aus Erfahrung spricht.
Das Bild vom „starken Mann“ oder der „unermüdlichen Bürgermeisterin“ ist tief verankert. Doch gerade diese Vorstellung hindert viele daran, über Belastung zu sprechen. Wer rund um die Uhr funktioniert, darf sich keine Schwäche leisten – so der gesellschaftliche Anspruch. Ottenbacher „Das führt dazu, dass Schwäche selten gezeigt – und noch seltener thematisiert wird.“
Dabei wäre genau das nötig. Supervision, Resilienztrainings, psychologische Begleitung – nicht als „nice to have“, sondern als Teil kommunaler Führungsstrukturen. Die HelpLine des BÖP bietet erste Hilfe – aber es bräuchte regionale Anlaufstellen, speziell auf die Realität kleiner Gemeinden abgestimmt. „Nicht der oder die Unermüdliche ist der oder die Beste. Sondern der oder die, die sich um sich selbst kümmert – um für andere da sein zu können.“
Denn wer nie zeigt, dass es zu viel wird, verbrennt. Und weil psychische Belastung noch immer ein Tabuthema ist, reden viele nicht darüber. Sie machen weiter – bis es nicht mehr geht.
Trotzdem: Sie machen weiter
Trotz der enormen Belastungen setzen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister ihre Arbeit fort. Sie schaffen Vertrauen, wo andere Ebenen es längst verloren haben. Sie sichern das tägliche Funktionieren der Republik – von der Müllabfuhr bis zum Pflegeplatz, von der Kinderkrippe bis zum Katastrophenschutz.
Die Mehrheit bleibt. Nicht aus Kalkül – sondern aus Überzeugung. „Im Grunde wollen wir alle dasselbe: Das Leben für die Gemeinschaft vor Ort gestalten“, wie Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl schon seit seinem Amtsantritt immer wieder betont.
Doch klar ist auch: Dieses Durchhalten darf nicht als Selbstverständlichkeit gesehen werden. Denn was derzeit viele Bürgermeister:innen leisten, ist oft übermenschlich – aber sie bleiben Menschen.
Wer Verantwortung trägt, braucht Schutz
Die kommunale Demokratie steht auf den Schultern von Menschen. Menschen, die nicht nur organisieren und verwalten, sondern auch zuhören, trösten, vermitteln – und anpacken. Sie verdienen nicht nur Vertrauen – sondern Unterstützung in vielfältiger Hinsicht.
Denn wenn wir unsere Bürgermeister verlieren, verlieren wir mehr als politische Führung. Wir verlieren Vertrauen. Und damit das, was unsere Gemeinden stark macht.