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Migration

Woran die Unterbringung von Flüchtlingen scheitert

Ende Oktober bis Mitte November war die Aufregung um die Zahlen der Asylwerber groß. Eine Frage war, warum es in einem Land wie Österreich nötig ist, knapp vor dem Winter Zelte aufzustellen, damit Menschen wenigsten ein provisorisches Dach über dem Kopf haben. Zusätzlich hat sich herausgestellt, dass bei der Thematik „Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine“ und „Asylwerber“ viele Dinge vermischt werden. KOMMUNAL hat mit Andreas Achrainer, Chef der BBU, der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gesprochen.

Das „Flüchtlingsgroßquartier in Schwarzach kommt nicht“ titelte der ORF Vorarlberg am 22. November, als die Entscheidung gefallen war. Die Aufregung in der Gemeinde war dennoch groß, Vorwürfe, dass niemand vorher informiert wurde, machten die Runde. Zugleich stellte sich heraus, dass das geplante Gelände rechtlich als Flüchtlingsquartier gar nicht genutzt werden dürfe. Bürgermeister Thomas Schierle sprach davon, dass sich „die Gemeinde ihrer Verantwortung bewusst“ sei und daher überlege, ein altes Flüchtlingsquartier zu renovieren, zusätzlich seien Wohnungen angeboten worden. 

Das Schema kommt einem bekannt vor. Als 2014 die Flüchtlingswelle anrollte (und damals Österreich am falschen Fuß erwischte) gab es ähnliche Vorwürfe wie heute. Bürgermeister Reinhard Reisner, Spital am Semmering, bekam damals ein Quartier für 200 Flüchtlinge. „Ein Ministeriumsmitarbeiter ist vorbeigekommen und hat mir mitgeteilt, dass in den nächsten Tagen 200 Flüchtling kommen“, beschwerte sich Reisinger damals im Gespräch mit KOMMUNAL damals. 

Die Kapazitäten sind ausgeschöpft

So einfach ist die Erklärung, die Andreas Achrainer von der BBU auf die Frage, warum die Situation wieder so eskaliert ist, gibt. Es ist im Grunde eine ganz eine einfache Rechnung.

Achrainer: „Wir haben in Bundes-Quartieren derzeit in 28 Einrichtungen 8000 Menschen untergebracht. Wir haben keine weiteren Einrichtungen mehr. Von diesen 8000 Menschen sind rund 5400 so weit, dass sie in die Grundversorgung und damit an die Länder und Gemeinden übergeben werden könnten. Diese 5400 sind Menschen, die zum Asylverfahren bereits zugelassen sind.“

Bundeseinrichtungen sind, so Achrainer, gedacht, um die Menschen in Empfang nehmen zu können. „Dort sollen die Menschen einmal zur Ruhe kommen können. Dort werden sie medizinisch untersucht, werden mit den wichtigsten Dingen wie Kleidung, Hygiene-Paketen und so weiter versorgt, erhalten Impfungen, werden informiert, welche kulturellen Standards in Österreich gelten und so weiter. Viele kommen ja nur mit dem, was sie am Körper tragen. In der Zwischenzeit wird vom BFA (Bundesamt für Fremden- und Asylwesen) geprüft, ob die Person zum Asylverfahren in Österreich zugelassen wird. Ist das der Fall, sollte es eigentlich weitergehen in die Länder und die Gemeinden“, so Achrainer.

Das sind auch besagte „Großquartiere“ für Gruppen ab 100 Personen, denn kleinere wären für die BBU, wie Achrainer meint, nicht administrierbar. Kleinere Quartiere sind in Ländern und Gemeinden.

Länder erfüllen Quoten nicht

Hier fängt das Dilemma an. Die Erstaufnahme ist nur eine Zwischenstation, dann sollte es für die Menschen weiter in die Obhut der Länder gehen, die sich auf eine gewisse Quote geeinigt hatten. Derzeit ist es aber so, dass nur Wien und das Burgenland diese Zahlen erfüllen, alle anderen Länder lassen, wie es in einem Bericht in „Der Presse“ vom 22.11. hieß „den Bund im Regen stehen“. Sie setzen die Vereinbarung von Wohnen über Kostenersatz für die Unterbringung bis hin zu Arbeitsmarktlösungen teils einfach nicht um.

Und genau da liegt ein weiterer Haken. Achrainer: „Man hat mit Abflauen der der Flüchtlingskrise (nach 2014/2015, Anm. d. Red.) die Anstrengungen runtergefahren und folgerichtig jetzt einfach nicht genügend Kapazitäten. Viele der vorhandenen Kapazitäten sind auch durch Flüchtlinge aus der Ukraine belegt.“ Was gleich zur nächsten Verwirrung beiträgt.

Ukraine-Flüchtlingen fallen nicht in den Asyl-Bereich, sondern sind „Vertriebene“ nach der EU-Massenzustromsrichtlinie. Bei ihnen muss die Zulassung zum Verfahren nicht geprüft werden, sie können deshalb direkt in die Landesgrundversorgung kommen. “Die BBU hat in diesem Bereich eine koordinierende Funktion und vermittelt Ukraine-Flüchtlinge in die Bundesländer.  „Für Ukrainer stelle die Quartierfindung aber auch kein Problem dar“, wie Achrainer ausführt.

Warum werden leerstehende Hotels nicht genutzt?

Warum nicht leerstehende Hotels oder nicht benutzte Messehallen als Quartier werden können – eine Frage, die immer wieder gestellt wird – liegt daran, dass „die BBU über das BMI das Einvernehmen mit den Bundesländern herzustellen hat. Die BBU geht auf Suche, schlägt die gefundene Quartiermöglichkeit dem BMI vor und das BMI muss mit dem Land ein Einvernehmen finden.“ Wenn aber das Land Nein sagt, dann ist es Nein. Auch wenn die ständige Akquise der BBU noch so viele geeignete Quartiere findet.

Und dieses Spiel geht, so Achrainer, dann auf der Landesseite weiter. Ein Landesquartier liegt ja notwendigerweise in einer Gemeinde – hier schließt sich der Kreis. Beschwerden der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister an den Bund zu richten, ist also nicht wirklich der richtige Weg.

Wenn Achrainer einschränkt und meint, dass wir eigentlich „gar nicht über neue Bundesquartiere nachdenken sollten“, meint er: „Die Länder erfüllen ihre Quotenvereinbarung nicht. Aber bevor niemand einen Schritt setzt, muss der Bund einspringen und die Menschen betreuen.“ Das sind jene 5400 Menschen, von denen Eingangs die Rede war.

Eine Statistik Achrainers besagt in dem Zusammenhang, das 877 der 2093 österreichischen Gemeinden noch keinen einzigen Flüchtling untergebracht haben. Rechnet man das gegen, müsste jede dieser Gemeinden sechs Menschen unterbringen.

Kommunikationsproblem Bund – Land – Gemeinde

Im Grunde ist es ganz einfach. Der Bund nimmt die Menschen „in Empfang“, registriert sie und stellt ihren Status fest. Dann kommen die Leute in die Grundversorgung der Länder, die sich mit dem Bund auf einen gewissen Schlüssel geeinigt haben und stellen Quartiere zur Verfügung. Diese Quartiere sind in einer Gemeinde. Dafür gibt es den 1,5-Prozent-Schlüssel. Der besagt, dass die Zahl der Flüchtlinge pro Gemeinde 1,5 Prozent der Bevölkerungsgröße betragen soll, also bei einer durchschnittlichen Bevölkerungszahl von 3000 Einwohner 45 Flüchtlinge. Laut Achrainers Zahlen erfüllen rund 1800 Gemeinden diesen Schlüssel nicht.

Andreas Achrainer
BBU-Chef Andreas Achrainer im Gespräch mit KOMMUNA-Chefredakteur Hans Braun: „Die Länder erfüllen ihre Quotenvereinbarung nicht. Aber bevor niemand einen Schritt setzt, muss der Bund einspringen und die Menschen betreuen.“

Die Schwierigkeiten liegen oft bei Ängsten der Bevölkerung vor „Horden junger Männer“, die Probleme machen. Immer wieder ist zu hören, dass Quartiere für geflohene Familien aus der Ukraine bereitstehen – nur Flüchtlinge will keiner haben. Junge Männer, ganz andere Kultur – die Gründe sind bekannt.

In der Tat sind der Großteil der Schutzsuchenden, wie Achrainer lieber sagt, junge Männer, die Herkunftsländer sind hauptsächlich Syrien, Afghanistan, der Irak, Indien und Pakistan (siehe auch die Zahlen der Asyl-Statistik aus dem BMI auf der folgenden Seite). Im Gegensatz zu den Menschen aus der Ukraine treffen hier völlig andere kulturelle Hintergründe aufeinander. Und was soll passieren, wenn doch einmal was passiert?

Die Frage zielt natürlich auf die Vorfälle in Linz Ende Oktober ab, Achrainer dazu: „Was in Linz passiert, ist eine furchtbare Geschichte, wo der Rechtsstaat mit aller Härte durchgreifen muss. Dennoch ist Faktum: Die Menschen sind da und wir müssen sie jetzt unterbringen.“

Auch das gab es schon, die Frage, ob Menschen legal oder illegal sind.  Der 2017 verstorbene Politikwissenschaftler Benjamin Barber, Autor des Buches „Wenn Bürgermeister die Welt regieren“, meinte einst zu dem Thema im Interview mit KOMMUNAL: „Die Logik von Staaten ist von Grenzen bestimmt. Staaten sagen, wir haben Millionen illegaler Immigranten. Nach wirtschaftlichen Aspekten sind sie nicht illegal, sie sind Arbeitsuchende. Aber wenn es darum geht, die Regeln der neuen globalen Zusammenarbeit  zu erkennen, sind die Bürgermeister besser. Die sagen ganz pragmatisch, die Menschen sind hier – legal oder illegal – und wir müssen mit ihnen leben.“

Viele Fragen bei Videokonferenz mit dem Innenminister

Generell ist der Umgang mit Flüchtlingen eine „Frage des Rechtsstaats“. Anfang November gab es eine Videokonferenz von Innenminister Karner und Gemeindebund-Chef Alfred Riedl mit rund 300 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern.

Viele der Fragen bezogen sich auf Frontex, die Asylsuchende schon an den EU-Außengrenzen zurückweisen soll, oder dass Leute an Österreichs Grenzen abgewiesen werden sollen. „Diese „Pushbacks“ sind ganz klar nicht rechtsstaatlich“, wie Achrainer sagt. „Wenn Österreich ein Rechtsstaat ist, die EU ein Gebilde aus Rechtsstaatlichkeit, dann sind Pushbacks nicht möglich. Wir müssen zuerst feststellen, sind die Menschen Vertriebene, Kriegsflüchtlinge, legal Asylsuchende oder illegal Asylsuchende. Dann muss eine Entscheidung getroffen werden und der Staat muss reagieren.“ Aber generell ist die Überprüfung der Grenzen auch Aufgabe des Rechtsstaats.

Oft tauchte bei der Videokonferenz auch die Frage auf, warum die Situation immer knapp vor dem Winter „eskaliert“. 2015 nahm die Flüchtlingswelle auch im Spätherbst Fahrt auf und brachte die Zielländer in die Bredouille, auf „die Schnelle“ Unterkünfte bereitstellen zu müssen. Laut Achrainer bricht aber der Zustrom im Winter eher ein. Diesmal scheint es so zu sein, dass unter anderem der visafreie Zugang für Flüchtlinge in Serbien an der steigenden Zahl der Ankünfte in Österreich schuld sein könnte. Aber hier wurde, wie Achrainer sagt, politisch schon reagiert.

Dann gibt es da den Unterschied zwischen Asylsuchende und Vertriebene wie aus der Ukraine, die den Schutz der Genfer Menschenrechtskonvention genießen. Von den 92.000 Menschen in der Grundversorgung sind 56.000 Vertriebene aus der Ukraine.

Drei Fragen aus den Gemeinden

  • Frage 1: „Ich habe Quartiere angeboten, aber nicht einmal eine Reaktion bekommen.“ Prinzipiell ist der Weg zum Land der Richtige für Bürgermeister, die Quartiere haben – aber falls kein Feedback kommt, kann die BBU auch als Vermittlung auftreten. Der Wunsch wäre nur, dass Angebote nicht nur für Ukrainer kommen, sondern für alle Schutzsuchenden.
     
  • Frage 2: „Warum werden Flüchtlinge, die keine Chance auf Asyl haben, nicht gleich an der Grenze zurückgewiesen?“ Diese sogenannten Pushbacks sind nicht möglich, weder für Österreich noch für die EU, wollen wir uns als Rechtsstaat betrachten. Zudem betrachten viele Österreich mittlerweile als Durchzugsland. Vor allem Inder wollen weiter beispielsweise nach Spanien um dort als Erntehelfer arbeiten, oder nach Großbritannien – das hat teilweise auch historische Gründe. Deswegen sind auch bis zu 60 Prozent der negativen Bescheide nicht zustellbar, weil die Leute schon wieder weg sind, auch wenn diese Verfahren oft nur Tage dauern. Aber werden diese Menschen dann irgendwo in Europa wieder aufgegriffen, landen sie nach Dublin III wieder bei uns.
     
  • Frage 3: „Wieso können wir den Menschen nicht gleich Arbeit geben, wenn uns doch an allen Enden und Ecken Personal fehlt?“ Hier greift der Unterschied zwischen legaler und illegaler Migration. Legale Migranten haben die rot-weiß-rot-Card, sind ausgebildet und haben schnell Zugang zum Arbeitsmarkt. Ukrainer bekommen als Vertriebene eine blaue Karte.

Illegale Migranten wie beispielsweise viele der Inder haben oft nicht einmal eine Schulbildung. Zudem muss man, wie Achrainer betont, auch sehen, was der Arbeitsmarkt braucht.