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Migration

Asylland Österreich - stolze Tradition oder lästige Verpflichtung?

Die Flüchtlingsfrage wirft in Österreich immer mehr Fragezeichen auf. Während der Bund auf der Suche nach Quartieren in den Gemeinden einiges an Porzellan in den grundsätzlich hilfsbereiten Gemeinden zerbricht, verweigern manche Ortschefs und -chefinnen jede Kooperation. KOMMUNAL wagt sich an eine Standortbestimmung.

„Die Asylanträge nehmen zu, Bund verdoppelt Plätze.“ So lautet die Schlagzeile einer eher kurzen Meldung in der „Presse am Sonntag“ vom 19. Oktober. Der Beitrag sprach auch davon, dass sich die Zahl der Asylanträge von 1300 bis 1700 monatlich zu Beginn des Jahres 2014 auf 2200 im Juli bis auf 3300 im September erhöht hatte. Dieser Trend ist in ganz Europa merkbar, und es ist auch aufgrund der Krisen im Nahen und Mittleren Osten mittelfristig keine Abnahme zu erwarten.

Ein paar Tage nach dieser Meldung verkündete Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser via ORF-Teletext, dass der Bund keine Einquartierungen in Gemeinden mehr vornehmen solle, sondern dass sich die Länder darum kümmern wollen. 3300 Menschen monatlich also derzeit (vermutlich werden es mit Fortdauer des Krieges im Nahen Osten mehr werden), die in die Asylbetreuung übernommen wurden und in Quartiere gebracht und versorgt werden müssen. Nach österreichischen Standards und nicht nach anderen.

Die Regierung verweist laufend darauf, dass die meisten Länder ihre Quoten nicht erfüllen. Das stimmt zwar, aber man muss auch dazu sagen, dass sich die Quoten laufend – nach oben hin – verändern. Anfang Oktober erschien dann die erste Schlagzeile, in der verlangt wurde, dass die Gemeinden freiwillig mehr Flüchtlinge aufnehmen sollten.

 Laut Innenministerium waren Anfang Oktober 3200 Kriegsflüchtlinge in Bundesbetreuung, 24.500 wurden von den Ländern betreut. In „nur“ 515 Gemeinden werden Asylwerber beherbergt. In welchen Gemeinden, diese Zahlen hat das Innenministerium nicht, weil dessen Ansprechpartner die Länder sind.

Tatsächlich hat die Vorgangsweise in einzelnen Fällen massive Proteste wegen der Unausgewogenheit der Belastung einzelner Gemeinden gebracht, von der Unzufriedenheit der Gemeinden mit Großlagern wie Traiskirchen und Thalheim ganz zu schweigen.

Besonders ins Rampenlicht gezogen wurde die Gemeinde Spital am Semmering, genauer die Katastralgemeinde Steinhaus, ein 380-Einwohner-Ort. Hier befindet sich seit 1988 ein – damals von der Gemeinde freiwillig eingerichtetes – Flüchtlingsquartier mit rund 35 Plätzen. Heuer im Sommer hat die Gemeinde diese Zahl auf rund 70 verdoppelt und ein zweites Quartier gestellt.

Beide Landeseinrichtungen wurden im Einvernehmen mit der Bevölkerung eingerichtet, die auch große Hilfsbereitschaft gezeigt hat. So wurden viel Kleidung gespendet und Kinderspielzeug. Wenn das Handy zweimal klingelt ... Es muss nicht immer der Postmann sein, und es muss nicht immer klingeln: „Und dann kam am 8. September der Besuch eines Mitarbeiters des Innenministeriums, der mir mitgeteilt hat, dass der Bund eine Hotelanlage in Steinhaus mit 250 Betten auf 15 Jahre gepachtet hat, in dem künftig (,in den nächsten Tagen‘) Flüchtlinge untergebracht werden,“ erzählt Reinhard Reisinger, Bürgermeister von Spital am Semmering. „Er hat uns gesagt, dass, sobald das Land Steiermark die Quote erfüllt, dieses Massenquartier wieder geschlossen wird.“

An dem Tag war zufällig am Abend auch eine Gemeinderatssitzung, in dem der Gemeinderat mit der Situation vertraut gemacht wurde. Fast klingt ein bisschen Mitleid beim Bürgermeister mit, als er sich an diese Sitzung und den folgenden „Ausdruck des Unwillens des Gemeinderates gegenüber dem Ministeriumsmitarbeiter erinnert und meint, dass „das ja auch nur ein Beamter ist, der seine Arbeit macht“.

Noch in dieser Gemeinderatssitzung wurde eine Resolution beschlossen, wo man sich gegen die Vorgangsweise und die Unverhältnismäßigkeit verwahrte.

Auch das Land in Person Sigi Schrittwiesers, seines Zeichens Landeshauptmannstellvertreter und für Flüchtlingsfragen zuständig, wurde nicht übermäßig früh von dem neuen Quartier informiert. Bgm. Reisinger: „Er hat es eine halbe Stunde vor mir telefonisch erfahren.“

Eine Geschichte, die Johann Schnitzhofer, Bürgermeister der Salzburger Gemeinde Abtenau, bestätigt. „Ich war in einer Bürgermeisterkonferenz, als mein Handy geläutet und das Ministerium mir mitgeteilt hat, dass morgen so 110/120 Flüchtlinge bei mir in der Gemeinde einquartiert werden.“

Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer war Zeuge dieses Anrufs, er erzählte in der Redaktionskonferenz, dass Schnitzhofer „auf einmal weiß wie die Wand wurde.“

In Abtenau war es aber nach einem sofort angesetzten Lokalaugenschein mit Landeshauptmann Wilfried Haslauer rasch klar, dass es aufgrund der Bettenlage nicht möglich war, so viele Leute aufzunehmen.

Johann Schnitzhofer
Johann Schnitzhofer: „Meine Gemeindebürger sagen, rechnerisch müsste jede Gemeinde 20 oder 30 Flüchtlinge nehmen. Da hätte ich auch in der Bevölkerung kein Problem, das würden die Leute akzeptieren.“

„Das Quartier, das sich angeboten hatte, verfügte nicht annähernd über die nötigen Betten. Wir hätten die Menschen auf Matrazenlagern unterbringen müssen, das ist unmöglich“, so Schnitzhofer. Ähnlich wie Spital beherbergt auch Abtenau seit vielen Jahren Flüchtlinge, so wurden zwischen 2004 und 2012 meist so um die 40 Leute untergebracht. Aber 2012 hat der Bertreiber aufgehört. „Die Flüchtlinge wurden von der Bevölkerung auch immer akzeptiert. Das waren viele Tschetschenen, Familien darunter, auch Männer alleine, alles gemischt. Später sind viele andere Nationen dazu gekommen, von denen einige sogar geblieben sind und die jetzt noch da sind,“ so Schnitzhofer.

Auch in Spital sind Flüchtlinge aus 18 verschiedenen Nationen untergebracht, rund die Hälfte der Leute sind syrische Kriegsflüchtlinge der Rest aus 17 andere Nationen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die „weinenden Frauen und Kinder“ aus den Kriegsgebieten kann auch Reisinger nicht bestätigen. „Die überwiegenden Zahl sind Männer zwischen 20 und 30 Jahren.“ Und hier scheint auch der Unmut der Bevölkerung begründet zu sein. Es sind eben meist (männliche) Wirtschaftsflüchtlinge, die in der Asylbetreuung sind. Dass diese meist gar nicht hier sein wollen, sondern eigentlich hier nur „gestrandet“ sind, spielt dabei keine Rolle. Johann Schnitzhofer: „Die Flüchtlinge wollen überhaupt nicht bleiben. Ich habe mit den Leuten gesprochen, die wollen alle nach Wien – oder ein paar nach Kanada. Was sollen sie bei uns auch tun?“

Auch im Ministerium ist man sich dieser Tatsache bewusst. „Sobald das Asylverfahren abgeschlossen ist, sind die wieder weg“, so die Auskunft. Das dauert in der Regel zwischen 20 Tagen (Erstbescheid zur Zulassung zum Asylverfahren) und sechs Monaten und zwei bis drei Jahren (Erfahrungswert Bürgermeister Reisinger zum endgültigen Asylbescheid).

Reisinger betont im Gespräch auch immer wieder, dass die Bewohner des kleinen Orts Steinhaus die Kriegsflüchtlinge (die Mehrzahl der bislang vom Land „zugeteilten“ waren Syrer) akzeptiert haben. „Das waren Familien, das ist auch für so einen kleinen Ort verkraftbar.“

Die Bürgerinnen und Bürger der vielen kleinen Orte in Abtenau sind auch dieser Meinung, so Schnitzhofer: „Meine Gemeindebürger sagen, rechnerisch müsste jede Gemeinde 20 oder 30 Flüchtlinge nehmen. Da hätte ich auch in der Bevölkerung kein Problem, das würden die Leute akzeptieren. Ein paar wird’s zwar immer geben, aber das lässt sich sowieso nicht vermeiden ...“

Bürgerversammlung lief aus dem Ruder

In Spital wurde nach dem Bekanntwerden der neuen Zuteilungen eine Bürgerversammlung einberufen, um die Bevölkerung vorzubereiten.

„In meinem Veranstaltungssaal waren noch nie so viele Leute wie damals“, erinnert sich Reisinger. 450 Personen waren dort, rund ein Drittel der Bevölkerung, die Hälfte musste stehen, weil es nicht genug Sessel gab. Der Medienrummel war gigantisch.

Reinhard Reisinger
Reinhard Reisinger, Bürgermeister von Spital am Semmering: „Ein Ministeriumsmitarbeiter hat vorbeigeschaut und mir mitgeteilt, dass in den nächsten Tagen 200 Flüchtlinge kommen.“

„Das Problem waren ein paar fremde Leute, die dabei waren und von denen wir bis heute nicht wissen, woher die gekommen sind. Der ältere Mann, der in die Kamera gesprochen hat, dass ‚Steinhaus keine Flüchtlinge braucht und ganz Österreich auch keine Flüchtlinge braucht‘, das war so einer. Wir wissen nicht, wo der her war. Aber in der ,Zeit im Bild‘ wurde der genüsslich zitiert.“

Dadurch sei die gesamte Gemeinde ins rechte Eck gerückt worden, wie Reisinger kritisiert. „Ab diesem Zeitpunkt – und das geht bis heute so – habe ich hunderte von Anrufen, Briefen, E-Mails von Leuten von auswärts bekommen, die den Beitrag gesehen haben und sich gefragt haben, was das für Leute sind. Das ging bis hin zu ‚brauner Bagage hinterm Semmering‘.“ Ihn schmerzt das umso mehr, weil gerade Spital am Semmering freiwillig schon seit 1988 Flüchtlinge betreut. Aber das wurde in der ZiB verschwiegen – oder hat es einfach nicht ins Bild gepasst?

Die praktische Seite

Schon von der personellen Seite ist man in Spital nicht in der Lage, diese Massen an An- und Abmeldungen zu handhaben. Bürgermeister Reisinger hat in Spital auch das Meldeamt quasi „unter sich“ (er „ist das Meldeamt“).

„Normalerweise habe ich in der Woche zehn bis fünfzehn Meldung zu erledigen, bei 200 Flüchtlingen geht’s dann aber um hunderte An- und Abmeldungen die Woche.“ Das nächste größere Problem sei Kindergarten und Schulpflicht. „Wenn ich im Bundesquartier mit 250 Betten 20 oder 30 Kinder habe, ich habe keinen Platz für sie in der Schule oder in unserem zweigruppigen Kindergarten. Ich habe dort genau einen Platz frei. Wenn ich also auf einmal fünf kindergartenpflichtige Kinder dazu bekomme, wo bring’ ich denn die unter? Ich habe ja auch eine Höchstzahl. Das Problem ist zwar noch nicht akut, da laut Gesetz die Kinder von Asylwerbern in den ersten sechs Monaten weder der Schul- noch der Kindergartenpflicht unterliegen. Aber in einem halben Jahr ...“ „Das ist ein Punkt, an den im Ministerium offenbar niemand gedacht hat“, so Reisinger.

Was diesen Punkt betrifft, hofft man offenbar, dass die Asylfrage wirklich in 20 Tagen entschieden ist. Hier gilt vorerst also das Prinzip Hoffnung. Probleme mit schul- und kindergartenpflichtigen Kinder gab es in Abtenau auch, aber, so Schnitzhofer, „wir haben’s hingebracht.“ Es sei zwar nicht einfach, aber mit ein bisschen Improvisation gehe das schon. Kindergartengeld wird bei den Landeseinrichtungen, die von der Caritas betreut werden, übrigens auch von der Caritas bezahlt. Aber auch wenn nicht, „für ein, zwei Kinder ist das kein Problem, in diesen Fällen hätte ich als Gemeinde auch kein Problem damit, auf das Kindergartengeld zu verzichten“, so Reinhard Reisinger.

Dafür ist die Dolmetschfrage in Wirklichkeit laut Bürgermeister Reisinger kaum ein Problem. Fast alle Asylwerber sprechen Englisch und die Kinder, ob Kindergarten oder Volksschule, lernen unsere Sprache irrsinnig flott, „das geht so schnell, das sollte man nicht glauben. Nach kürzester Zeit können die Kinder Deutsch.“

Eine Erfahrung, die auch Johann Schnitzhofer bestätigt. Warum die Information nicht klappt Reinhard Reisingers Erfahrung bei den Landesquartieren ist, dass das Land die Einquartierung rechtzeitig angekündigt hatte. Er hatte Zeit genug zur Information der Bevölkerung. Ein Punkt, den er dem Bund ganz offen vorwirft.

Aus dem Büro der Innenministerin war zu erfahren, dass „das Land Steiermark seit Monaten säumig war, was die Schaffung von neuen Unterkünften betrifft. Daher hat das Bundesministerium für Inneres das Angebot des Hotels Haus Semmering angenommen. Damit kann Österreich seiner Verantwortung bei der Hilfe verfolgter Menschen weiterhin gerecht werden. Obdachlosigkeit von Kriegsflüchtlingen kann und darf keine Alternative sein.“

Bürgermeister Reisinger bestätigt diese Sichtweise auch, rechnet aber vor, dass das Hotel bislang 24.000 Nächtigungen pro Jahr hatte und also gut gegangen sei. Die Gesamtnächtigungen pro Jahr in der Gemeinde betrugen 70.000, womit rund 30 Prozent der Nächtigungen in Zukunft ausfallen.

„Das ist für uns, die wir vom Tourismus leben, ein Riesenschaden. Nicht nur, dass wir keine Abgaben für die Nächtigungen (ein Euro pro Nacht, wo anders ist das die Kurtaxe, wovon 70 Prozent an den örtlichen Touris[1]musverband gehen und 30 Prozent ans Land) bekommen, es fallen auch tausende Schikarten weg.“

Auch das Schigebiet selbst, die Gastronomiebetriebe, leiden alle, weil die Wintergäste fehlen. Ein Punkt, der den Bürgermeister Reisinger zusätzlich „magerlt“ ist, dass die Besitzerin die gesamte Hotelanlage für 15 Jahre ans Ministerium verpachtet hat. Sie hat damit jetzt zwar keinen Aufwand und ihr Einkommen fix, aber der Schaden für die Gemeinde ist da.

An der Quote hängt, hin zur Quote drängt doch alles

Bleibt die Frage, warum die meisten Länder die Quote nicht erfüllen. Eine mögliche Begründung von Reinhard Reising scheint schlüssig: „Durch den täglich und wöchentlichen Flüchtlingszustrom ändert sich genau so schnell wie der Gesamtstand der Flüchtlinge auch die Quote der Bundesländer.“

Dadurch sei die Steiermark ins Hintertreffen geraten und derzeit in der Situation, dass 420 (Stand 18. Oktober) Betreuungsplätze fehlen. Sollte aber „morgen“ 1000 neue Flüchtlinge nach Österreich kommen, werden die wieder aufgeteilt, die Quote ändert sich und das Spiel beginnt von vorne. Jetzt können 420 Betten für ein Land wie die Steiermark eigentlich keine große Sache sein, aber das Problem liegt auch hier wo anders. „Bisher hat das Land“, so Reisinger, „immer die Quartiere im Einvernehmen mit den Gemeinden gesucht.“ Was sich nicht so einfach gestaltet haben dürfte, da „viele meiner Bürgermeisterkollegen und -kolleginnen Vorbehalte gegen Flüchtlinge haben dürften“, wie es Reisinger formuliert. Übrigens: Auch Salzburg erfüllt die Quoten nicht, jedenfalls, so Schnitz[1]hofer, „nicht ganz“.

Die Bürgermeister Reisinger und Schnitzhofer sind unabhängig voneinander einig: Würde jede Gemeinde zwei, drei Flüchtlingsfamilien aufnehmen, dann gäbe es kein Problem.

Aufgrund der ganzen Aufregung hat, so Reisinger, der steirische Landeshauptmann Franz Voves die Bürgermeister nochmals aufgefordert, für Quartiere zu sorgen, sonst würde er auch ohne Zustimmung der Gemeinden Flüchtlinge zuteilen. Nachsatz: In einem Ausmaß, das verträglich und bewältigbar ist. Zudem gibt es seit 2005 eine 15a-Vereinbarung, aus der sich die vielzitierte Quote ergibt. Zu dieser 15a-Vereinbarung haben sich alle Bundesländer bereiterklärt, die Flüchtlinge „im Verhältnis zur Bevölkerung“ auf die Länder aufzuteilen. Aber „das hat bis jetzt nicht funktioniert, deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass die neue Regelung mit den „266 zu 1“ funktioniert“, so Reisinger.

„Angst essen Seele auf“

Johann Reisinger: „Vor ein paar Tagen in einer Bürgermeister-Regionalkonferenz bin ich mit einer Kollegin ins diskutieren gekommen, die sie fürchterlich beschwert hat, dass in ihre 1800-Einwoh[1]ner-Gemeinde 15 Asylwerber kommen sollen. Da versteh’ ich die Welt nicht mehr. 15 Menschen, das kann doch kein Problem sein.“ „Leider hat man in Österreich in den vergangenen zehn Jahren eine komplett verfehlte Asylwerberpolitik betrieben, hat sich von der FPÖ laufend geißeln lassen. Dort wird ja ständig gegen Ausländer gehetzt. Und dann liest man Zahlen, dass 80 Prozent Wirtschaftsflüchtlinge sind – dadurch ist das Klima in der Bevölkerung größtenteil ,net wirklich positiv‘ geworden,“ so Reisinger.

Besonders wichtig ist vor allem den Bürgermeistern, dass genügend Zeit ist, die Gemeindebürger vorzubereiten. Und sie wünschen sich etwas mehr Fingerspitzengefühl bei der Zuteilung der Menschen. Familien sind willkommen, gegen Männer ist man skeptisch.

„Es ist ein Unterschied, ob auf der Straße eines Mini-Ortes eine Familie mit Kindern geht oder 20, 30 fremde junge Männer verschiedenster Nationalität“, so Reisinger. Und weiter: „Im Ortsteil Semmering gibt’s einen kleinen Lebensmittelladen. Auf einmal sind da 30, 40 fremde Männer hineingegangen – die Verkäuferin hat eine Panikattacke bekommen und die Polizei gerufen. Da ist nichts Böses passiert, aber hilfreich für die Stimmung ist sowas auch nicht.“

Gar nicht hilfreich sei auch, das bestätigen Reisinger und Schnitzhofer, dass die Gemeinden (und die Länder offenbar auch nicht) bei der Zusammensetzung der Flüchtlingsgruppen nicht mitreden können.

„Jedem muss klar sein, dass Spannungen entstehen können, wenn ich beispielsweise Tschetschenen und Russen in ein Quartier stecke. Oder wenn ich Schiiten mit Sunniten mische“, so Reisinger. Er hat aber wenig Hoffnung, dass sich daran was ändert. „Also, ich sitze als Gemeindebediensteter seit 1981 hier, aber auf das ist noch nie Rücksicht genommen worden. Sinnvoll wäre das. Während des Bosnien-Krieges waren schon bis zu 200 Flüchtlinge bei uns untergebracht, aufgeteilt auf mehrere Häuser in Spital und in Steinhaus. Da war aber die Stimmung eine andere. Das waren Menschen aus einem Nachbarstaat und es waren durch die Bank Kriegsflüchtlinge. Das war überhaupt keine Diskussion.“

Conclusio

Den österreichischen Gemeinden vorzuwerfen, sie würden sich nicht um Flüchtlinge kümmern, zeigt im Grunde von „wenig Wissen“. Gerade in den Gemeinden werden Flüchtlinge meist mit offenen Armen aufgenommen, die Menschen kümmern sich, sie spenden Kleidung und alle notwendigen Dinge des täglichen Gebrauchs. In den Gemeinden ist auch die Erinnerung noch lebendig, wie es in Österreich in den Jahren nach 1945 zugegangen ist. Auch aus diesem Grund werden Flüchtlinge – insbesondere Familien – meist freundlich aufgenommen.

Es ist vermutlich auch jedem klar, dass der Bund mit enormen Herausforderungen kämpft, die Flüchtlingsströme „in Empfang zu nehmen“, die Erstversorgung durchzuführen und so weiter. Und irgendwo dazwischen liegt die Antwort auf die Frage verborgen, ob Österreich seine Vergangenheit als offenes Land für Flüchtlinge als stolze Tradition sieht oder ob das nur mehr lästige Verpflichtung ist.