Politikwissenschaftler Peter Filzmaier im Gespräch mit KOMMUNAL-Chefredakteur Hans Braun
„Es ist ja absurd: Stellen sie sich vor, ihr Arzt hätte nicht Medizin studiert, dann wären sie in Panik. Und ausgerechnet bei Politikerinnen und Politikern löst es Verwunderung aus oder wird belächelt, wenn sie eine Aus- und Fortbildung machen.“ Politikwissenschaftler Peter Filzmaier im Gespräch mit KOMMUNAL-Chefredakteur Hans Braun.

Wie Gemeinden erfolgreich durch ein intensives Wahljahr navigieren

2024 verspricht für die österreichischen Gemeinden ein wahres Feuerwerk politischer Ereignisse zu werden. Mit zwei nationalen Wahlen, zwei Landeswahlen und zwei Gemeinderatswahlen, einer erst kürzlich erfolgten Wahlrechtsreform und damit zusammenhängenden Steuerrechtlichen Änderungen stehen die Kommunalpolitiker vor einer beispiellosen Herausforderung.

Der Spagat zwischen den Anforderungen einer nationalen Wahl und den lokalen/regionalen Bedürfnissen der Gemeinderats- und Landtagswahlen (EU-Parlament wird im Juni, der Nationalrat im September/Oktober, Gemeinderäte im März in Salzburg und im April in Innsbruck sowie Landtage im Oktober in Vorarlberg und im November in der Steiermark gewählt) stellt die Kommunalpolitik immer wieder vor eine enorme Herausforderung.

Gemeindepolitiker sind gefordert, sowohl auf regionaler als auch auf lokaler Ebene präsent zu sein und sich den unterschiedlichen Dynamiken der Wahlkämpfe anzupassen. Dies erfordert nicht nur eine effektive Organisation, sondern auch eine kluge Ressourcenverteilung, um die Interessen der Gemeinde wirksam zu vertreten. Die politischen Schwerpunkte müssen geschickt gewählt werden, um die Bedürfnisse der Gemeinde mit den übergeordneten Themen der nationalen Wahlen in Einklang zu bringen.

Die politische Landschaft ist während eines Wahljahres besonders aufgeheizt. Unterschiedliche Parteien setzen auf unterschiedliche Strategien, um die Wähler zu überzeugen. Für die Gemeinden bedeutet dies, dass sie sich verstärkt mit politischen Themen auseinandersetzen müssen, die von übergeordnetem Interesse sind. Eine kluge Positionierung zu diesen Themen wird entscheidend für den Erfolg im Wahlkampf sein.

Politikwissenschaftler Peter Filzmaier meint im KOMMUNAL-Gespräch über die Erwartungen und Herausforderungen, dass „die Gemeinden befürchten müssen, dass sie Flankentreffer eines sehr intensiven und vielleicht auch schmutzigen Nationalratswahlkampf abbekommen. In jenen Bundesländern, wo auch auf Landesebene gewählt wird, werden sie auch den Landtagswahlkampf abbekommen. Man merkt ja schon in der Vorwahlkampfphase mit den Untersuchungsausschüssen, dass die Parteien die jeweils anderen Parteien unter den Generalverdacht stellen, am Rande der Korruption zu agieren.“ 

Imagepflege und Nachwuchsförderung

Während eines intensiven Wahljahres ist die Imagepflege entscheidend. Gemeindepolitiker müssen nicht nur ihre persönliche Reputation im Blick behalten, sondern auch das Image der Gemeinde insgesamt schützen. Dies erfordert eine transparente Kommunikation, Offenheit für die Anliegen der Bürger und einen proaktiven Umgang mit möglichen Kontroversen.

Gleichzeitig ist die Nachwuchsförderung von großer Bedeutung. Der Wahlkampf bietet eine Plattform, um junge Menschen für die politische Teilnahme zu begeistern. Programme zur Förderung junger Talente und Initiativen zur politischen Bildung können dazu beitragen, die Zukunft der Gemeindepolitik zu sichern.

Filzmaier bestätigt diese Einschätzung: „Für die Gemeindepolitik ist es wichtig, sich nicht darauf zu verlassen, dass das eigene Image besser ist als das der Bundes- oder der EU-Ebene. Das ist zwar zahlenmäßig richtig, aber nur zu sagen, dass der andere noch schlechter dasteht, ist zu wenig. Denn ein besseres Image heißt noch lange nicht, dass man nicht auch Treffer abbekommt.“

Viele Gemeindepolitikerinnen und -politiker im Amt sind natürlich gleichzeitig auch Wahlkämpfer Ihrer Partei. Manchen stehen vielleicht sogar auf der Nationalratswahlliste. Das führt aber mancherorts dazu, dass man das im Wahlkampf sich kaum verbessernde Image der Politik auch abbekommt. Schon jetzt kämpft man ja in den Gemeinden um den Nachwuchs für die Politik. Das geht schon lange so. Und gerade die Besten haben meist viele andere Beschäftigungsmöglichkeiten. Da heißt es dann „Lass mich doch mit der Politik in Ruhe!“. 

Dieses Dilemma verschärft sich, so der Politikwissenschaftler. Zudem wurde Im ORF-Report am 14. Jänner eine neue Plattform namens „Love Politics“ vorgestellt. Das Problem dieser Plattformen: Leute, die außerhalb von Parteistrukturen kandidieren, haben kaum Chancen, gewählt zu werden. 

Das Problem bei der Politiker-Ausbildung

Filzmaier hält grundsätzlich die Aus- und Fortbildung für politische Akteure, ganz egal ob Parteipolitik oder NGOs, aber dringend notwendig. Und es sollte viel mehr davon geben. Filzmaier: „Es ist ja absurd: Stellen sie sich vor, ihr Arzt hätte nicht Medizin studiert, dann wären sie in Panik. Und ausgerechnet bei Politikerinnen und Politikern löst es Verwunderung aus oder wird belächelt, wenn sie eine Aus- und Fortbildung machen. Fortbildungsprogramme gibt es verschiedene – und das soll man nicht nur den Parteiakademien überlassen. Wobei die keine schlechte Arbeit leisten, aber es könnte auch andere Angebote geben.

Das Problem: Wenn man sich explizit an „Nicht-Partei-Menschen“ wendet, dann kollidiert das teilweise mit dem Wahlrecht, denn mit Ausnahme der Bürgermeister-Direktwahlen in sechs von neuen Bundesländern haben wir ein Listenwahlrecht. Um auch nur eine Chance auf einen Vorzugsstimmenwahlkampf zu haben, muss man zunächst einmal auf einer Parteiliste stehen. Das gilt auch beispielsweise für Niederösterreich (dort wird im Jänner 2025 der Gemeinderat gewählt, im Juni in der Steiermark und im September in Vorarlberg. Wien und das Burgenland wählen 2025 die Landtage neu), wo es zwar keine Bürgermeister-Direktwahl gibt, aber der Gemeinderat den Bürgermeister wählt.

Vereinbarkeit von Amt und Wahlkampf

Insbesondere in kleineren Gemeinden, in denen Gemeindepolitiker oft auch als Wahlkämpfer fungieren, stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit von Amt und Wahlkampf. Hier sind klare Strukturen und kluge Zeitmanagement-Entscheidungen gefragt.

Gemeindepolitiker müssen sicherstellen, dass ihre Verpflichtungen gegenüber der Gemeinde nicht unter dem Wahlkampf leiden. Dies erfordert möglicherweise die Delegation von Aufgaben, um sicherzustellen, dass sowohl das laufende Gemeindegeschäft als auch der Wahlkampf effizient und verantwortungsbewusst ablaufen. Eine kluge Balance zwischen den beiden Verantwortlichkeiten ist entscheidend, um sowohl als Gemeindepolitiker als auch als Wahlkämpfer erfolgreich zu sein.

Wie entscheiden sich Wähler?

Der ORF hat in seinem Report vom 14. Jänner eine Umfrage publiziert, dass „konkrete Lösungen“ mit 47 Prozent Zustimmung das wichtigste Kriterium für eine Wahlentscheidung der Wähler sind. Dann „Werte und Ansichten“ und erst an sechster Stelle mit sechs Prozent der „Spitzenkandidat“. Von den Medien bekommt man immer vermittelt, dass die Wähler den starken Mann, die starke Frau, wollen.

„Bei dieser Fragestellung“, so Filzmaier, „musste man sich für ein Hauptmotiv entscheiden. Bei so einer Fragestellung will man lieber Klarheit. Und es hängt davon ab, ob der Spitzenkandidat mit den Themen in Zusammenhang steht. Aber richtig ist: Unabhängig von den konkreten Zahlen ist das, was eher negativ nach Wahlversprechen klingt, also Lösungen für die Zukunft, dominanter. Viel dominanter übrigens auch als Leistungsbilanzen.“ 

Einschränkend mahnt Filzmaier, dass es „halt keine dummdreisten Wahlversprechen sein dürfen, sondern es müssen wirkliche Lösungskonzepte sein.“ Man müsse zudem die Politik auch verteidigen: Es ist oft die Sehnsucht nach Sofortlösungen, nach einfachen Patentlösungen für sehr komplizierte Problemlagen, feststellbar. Filzmaier: „Populisten versprechen ja scheinbar einfache Lösungen, die dann oft nicht so einfach funktionieren.“

„Populisten versprechen ja scheinbar einfache Lösungen, die dann oft nicht so einfach funktionieren.“

Und was den niedrigen Wert für den/die Spitzenkandidaten/in betrifft: Zum Zeitpunkt des Gesprächs war noch keine Wahl (die Spitzenkandidaten für die EU-Wahl wurden erst nachher publik), deshalb war der Wert sehr niedrig. Das würde sich noch erhöhen, wenn wirklich Wahlkampf ist.

Filzmaier: „Noch etwas zum Vergleich der Spitzenkandidaten: Die Wählerinnen und Wähler wissen, dass es bei einem Großteil der Wahlen in Österreich keine Direktwahl von Personen gibt. Auch, wenn manche Spitzenkandidaten so tun wollen, als ob. Wir wählen nicht den Kanzler, wir wählen nicht den Landeshauptmann, die Landeshauptfrau. Und in drei Bundesländern nicht einmal den Bürgermeister. Dass die Person ein starkes Wahlmotiv ist, ist eigentlich nur bei zwei Typen von sinnvoll: Erstens bei der Bundespräsidentschaftswahl und zweitens in sechs Bundesländern bei der Bürgermeisterwahl.“

Wunschtraum „mehr Fehlerkultur in der Politik“

Wo keine Fehler gemacht werden, wird nichts getan. Das gilt für jeden beruflichen Bereich und sollte selbstverständlich genauso für die Politik gelten. Tut es aber offenbar nicht. Zudem haben die meisten anderen Berufsgruppen das Glück, dass ihre Fehler nicht vor Millionen Augen passieren.

Peter Filzmaier
Peter Filzmaier: „Fehlerbewältigung mündet oft in der Forderung nach ‚Rübe ab‘.“

Filzmaier: „Ja, das ist bei Politik und Medien natürlich anders. Und das ist auch im Sinne der Transparenz gut so. Das Problem ist nicht, es zugeben, sondern eine Fehleranalyse und was ich daraus lerne. Fehler passieren. Die Frage ist, was kann ich daraus lernen? Diese Selbstreflexion ist in der Politik geringer ausgeprägt. Das hat aber auch mit der öffentlichen Kommunikation darüber zu tun: Fehlerbewältigung mündet oft in der Forderung nach ‚Rübe ab‘.“ Er meine damit aber einfache inhaltliche Fehler, nicht strafrechtliche Verstöße. 

Bei inhaltlichen Fehlern sollte es ja auch primär darum gehen, wie man aus diesen Fehlern lernt. „Man muss mit dem Eingeständnis von Fehlern auch ‚erwachsen‘ umgehen. Es braucht eine Fehleranalyse und den Willen zum Lernen, was beim nächsten Mal besser gemacht werden kann“, so der Politikwissenschaftler. „Die Praxis sieht aber leider so aus, dass meistens „Hurra, Rübe ab“-geschrien wird oder fix ist, dass man „den Fehler ich im nächsten Wahlkampf auf jeden Fall gegen dich verwendet“. Eine solche Fehlerkultur fehlt in der Politik, und es wird ein bisschen kindisch, wenn jede Partei sagt, die jeweils andere sei schuld. 

Wozu dienen U-Ausschüsse?

Das sieht man ja auch bei den Untersuchungsausschüssen. Die sind kein Gerichtsprozess, es gibt kein Verfahren, kein Urteil, es gibt keine Angeklagten, es gibt nicht einmal Zeugen, sondern nur Auskunftspersonen. Trotzdem werden schon bei der Bezeichnung der Ausschüsse Titel gewählt, die ein strafrechtliches Delikt unterstellen. Beim Covid-Ausschuss geht es auch darum, wie man es beim nächsten Mal besser machen kann. Wir wissen ja nicht, ob es eine neue Mutation von Covid gibt oder irgendeine andere Pandemie oder welche Krisensituation auch immer schon auf dem Weg ist. Aus den Fehlern, die gemacht wurden, kann man ja etwas lernen. 

Filzmaier: „Es gibt simple Beispiele, die wohl niemand bestreitet: Als die Pandemie ausbrach, gab es ein oberstes, zuständiges Gremium, den Obersten Sanitätsrat. Der war aber jahrelang unbesetzt, also nicht handlungsfähig. Wenn ich das nicht als Fehler einsehe, dann fehlt wirklich jede Fehlerkultur, das wäre zudem Realitätsverleugnung.“

Die Frage ist auch, was man aus Fehlern lernt. Jede halbwegs größere Firma hat ein Krisenkommunikationshandbuch. In der Politik könnte man damit verhindern, dass „ein Landeshauptmann und ein Gesundheitsminister zeitgleich in Pressekonferenzen das genaue Gegenteil sagen – etwa ob es einen Lockdown gibt oder nicht,“ wie Filzmaier erinnert. Krisenkommunikation hat genau diesen Sinn, dass man lernt, wie derartiges nicht nochmal passiert. 

Die Rolle der Medien und der sozialen Plattformen

In der heutigen Zeit spielen Medien und soziale Plattformen eine entscheidende Rolle in Wahlkämpfen. „Auch Gemeindepolitiker müssen sich bewusst sein, dass ihre Handlungen und Aussagen genau beobachtet werden. Eine gezielte Kommunikationsstrategie ist unerlässlich, um das eigene Bild in der Öffentlichkeit positiv zu gestalten“, so Filzmaier.

In diesem anspruchsvollen Wahljahr gilt es für die Gemeinden, flexibel und proaktiv auf die Herausforderungen zu reagieren. Filzmaier. „Die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft werden nicht nur durch die Ergebnisse der Wahlen, sondern auch durch die gelebte Gemeindepolitik gestellt. Es ist die Chance, das Vertrauen der Bürger zu stärken und eine nachhaltige Grundlage für eine aktive und engagierte Gemeinschaft zu schaffen.“