
Die Teilnehmer an der Nahversorgungskonferenz des Gemeindebundes.
Handel
Nahversorgung ohne Nahversorger?
Vier Gemeinden, vier Wege – vier Bürgermeister quer durch Österreich berichten, wie sie mit Herz, Mut und Erfindungsgeist gegen das Verschwinden der Nahversorgung ankämpfen.
„Kein Platz für Kleine – wie der Handel die Dörfer abhängt“ – oder „Vom zähen Versuch, einen Nahversorger zu retten – und dem bitteren Abschied von der Hoffnung
Anton Kasser (Allhartsberg, NÖ): „In meiner Kindheit gab es im Ortszentrum ein Spar-Geschäft, das dann aber geschlossen wurde. Viele Jahre gab es dann kein Geschäft im Ort, und der Ruf nach einem Nahversorger wurde immer größer. Unter großer Beteiligung der Bürger und mit Hilfe der Dorf- und Stadterneuerung wurde eine Studie gemacht, um festzustellen, was für eine Art von Geschäft benötigt wird.
Die Gemeinde errichtete ein Gebäude, und so gelang es, dass wir 2005 ein Nah&Frisch-Geschäft bekommen haben. Dieses wurde dann durch einen Adeg abgelöst, der dann wiederum wieder von einem Nah&Frisch abgelöst wurde. Mittlerweile habe ich keine Hoffnung mehr, dass wir wieder einen Nahversorger bekommen uns habe das auch der Bevölkerung kommuniziert. Inzwischen gibt es im Umkreis von zwei bis fünf Kilometern mehrere große Supermärkte und Einkaufszentren. In diesem Umfeld hat ein Geschäft mit maximal 300 m2 keine Chance.

Der Handel will natürlich möglichst viel Verkaufsflächen haben, und in den letzten Jahren sind die Verkaufsflächen enorm gestiegen, sodass es derzeit viel zu viel gibt. Auf Landesebene ist es uns bisher nicht gelungen, die Verkaufsflächen einzuschränken, denn sobald man da ein restriktives Gesetz machen würde, käme sofort der Ruf aus den Gemeinden, dass man Geschäfte braucht. Kleine Geschäfte sind durch diese Entwicklung unter die Räder gekommen. Die großen Ketten Billa-Rewe, Hofer und Spar spielen ihr Spiel, wir als Gemeinden sind da nur Beiwagerln.
Es ist ja nicht so, dass die Bevölkerung nicht versorgt würde, denn die meisten Menschen sind mobil und können ein paar Kilometer fahren. Aber es geht darum, Leben in die Gemeinde zu bekommen, weil ein Geschäft immer auch ein Treffpunkt ist. Das gesamte Lebensgefühl im Ort ändert sich, wenn es ein Geschäft gibt.“
Foodcoop, Bürgerbus und Selbstbedienung – ein Dorf erfindet sich neu – oder „Wie St. Koloman mit Kreativität, Kooperation und Mut zur Digitalisierung seine Nahversorgung sichert“
Herbert Walkner, St. Koloman (Salzbg.): „St. Koloman ist eine etwas abseits gelegene Gemeinde, in der es kaum ein Gewerbe gibt. Die meisten Menschen müssen pendeln.
2019 hat sich die örtliche Lagerhausgenossenschaft aufgelöst. Die Gemeinde hat das Areal erworben und für fünf Jahre an den Raiffeisenverband Salzburg verpachtet. Dieser Standort wurde mittlerweile ebenfalls geschlossen.
Wir hatten auch keinen Nahversorger, sondern nur eine „Notverkaufsstelle“ im Lagerhaus, wo man Grundnahrungsmittel kaufen konnte.

Wir haben einen Agenda-21-Prozess gestartet, der dazu geführt hat, dass örtliche Landwirte sich zu einer Foodcoop zusammengeschlossen haben und Nahrungsmittel anbieten. Bis Dienstagabend kann bestellt werden, damit man am Freitag geliefert werden kann. Die Gemeinde hat einen Raum zur Verfügung gestellt, wo die Waren abgeholt werden können. Das wird vor allem von Jüngeren gut angenommen, denen es wichtig ist, lokal einzukaufen.
Für die ältere Generation haben wir unseren Kindergartenbus zu einem „Bürgerbus“ umfunktioniert: Wer in die Nachbargemeinde Kuchl einkaufen möchte, kann sich bis Freitag beim Gemeindeamt anmelden und wird dann in der Woche darauf zu den Geschäften gebracht. Diese gemeinschaftlichen Einkaufsausflüge werden vor allem von Frauen, die keinen Führerschein haben, gerne genutzt. Die Fahrten sind gratis.
Gut eingeführt ist auch, dass Bäcker oder Metzger in den Ort kommen und dort ihre Produkte anbieten.
Ab 1. Juni nimmt auch das Lagerhaus seinen Betrieb – wenn auch mit einem verkleinerten Sortiment – wieder auf. Der Pächter hat schon vorher den Postpartner übernommen und will den Nahversorger als weiteres Standbein führen. Es wird ein Selbstbedienungs-Geschäft sein, bei dem der Zutritt mit der Bankomatkarte möglich sein wird und wo man die Preise einscannen muss.
Wir wollen diese Einkaufsmöglichkeit dann zu einem sozialen Treffpunkt ausbauen und dort auch Veranstaltungen – z. B. eine Weinverkostung – durchführen. Auch die Schaffung einer Bibliothek ist angedacht, um wieder mehr Leben in die Gemeinde zu bekommen.“
Wenn ein Mosaikstein fehlt, wankt das Ganze – oder „Der stille Rückzug der Infrastruktur und der Kampf einer Gemeinde um soziale Dichte.“
Josef Ofner, Hüttenberg (Kärnten): „Hüttenberg hat rund 1.300 Einwohner in 21 Ortschaften. Bis vor zwei Jahren hatten wir drei Lebensmittelgeschäfte in den drei größeren Orten. Mittlerweile sind es nur mehr zwei. Eines davon wird mittlerweile von einem Verein betrieben, der das ehemalige Kaufhaus übernommen hat. Als Gemeinde wollen wir dieses Projekt unterstützen, was aber rechtlich schwierig ist, weil die Aufsichtsbehörde sagt, dass es nicht Aufgabe der Gemeinde ist, die Abgänge zu decken.

Nahversorgung ist aber nicht nur Lebensmittelversorgung, sondern auch ärztliche Betreuung, Kindergärten bis zur Gastronomie usw. Immer, wenn ein Mosaiksteinchen wegbricht, dann schadet das der Gemeinde.
Ein Beispiel: Bei uns wurde die Mittelschule geschlossen, weil es zu wenige Schüler gab. Dadurch kauften aber auch die Eltern, die die Kinder in die Schule gebracht haben, nicht mehr bei uns in der Gemeinde ein, sondern dort, wo sich die Schule befindet.
Wir haben versucht, ein Bewusstsein für dieses Problematik zu schaffen und gegenzusteuern, etwa indem wir ein Gemeindetaxi geschaffen haben, mit denen vor allem ältere Menschen zum Einkaufen in das Vereinsgeschäft gebracht werden können. Außerdem stellen wir Einkaufsgutscheine aus, die gerne als Geschenk genutzt werden.
Leider wurde auch unsere Post geschlossen. Die Gemeinde hat dann eine Postpartnerschaft übernommen, aber ich sage ganz offen, dass sich das nicht rentiert und wir zuzahlen müssen. Wie auch bei der Schulschließung meine ich, dass hier nicht mit Weitblick entschieden wurde. Beamte sehen oft nur ihren Bereich und rechnen dann vor, wie viel gespart werden kann. Wenn man aber Infrastruktur schließt, dann greift das in viele Bereiche ein. Dafür braucht es bei den politisch Verantwortlichen eine Bewusstseinsbildung.“
Ein Wirtshaus wie eine Bank: Genossenschaft statt Aufgabe“ – oder: „Wie aus einer Schließung ein lebendiger Ort für alle wurde – organisiert von unten.“
Thomas Heissenberger, Hochneukirchen-Gschaidt(NÖ): „Unser Dorfgasthaus war in einer gemeindeeigenen Immobilie untergebracht. 2020, noch vor der Pandemie, kündigte aber der Pächter seinen Vertrag. Durch die coronabedingte Schließung hatten wir Zeit zu überlegen, wie man ein Wirtshaus in einer ländlichen Gemeinde längerfristig betreiben kann.
Ich habe dazu ein Projektteam gegründet, indem einerseits Gemeinderäte vertreten waren, aber auch Menschen, die Erfahrung in der Gastronomie haben oder die in Genossenschaften tätig sind. Mit Hilfe von LEADER-Mitteln haben wir dann ein Konzept entwickelt.
Wir haben uns gegen eine Vereinsgründung entschieden, weil wir der Meinung waren, dass Vereine sehr stark mit Ehrenamt verbunden sind und es schwierig sein wird, Leute zu motivieren, weil viele ohnehin schon bei der Feuerwehr, beim Musikverein oder beim Sportverein aktiv sind.

Mit Blick auf die örtliche Raiffeisenkasse habe ich mir gedacht: Wenn eine Bank als Genossenschaft funktioniert, warum soll dann nicht auch ein Wirtshaus genossenschaftlich organisiert werden können? Unser Konzept sah dann so aus, dass 1.500 Genossenschaftsanteile zu jeweils 150 Euro gezeichnet werden müssen, damit wir eine Genossenschaft zum Betrieb des Wirtshauses gründen können. Es ist und dann tatsächlich gelungen, die 1.500 Anteile zu platzieren.
Derzeit haben wir 600 Mitglieder. Es gibt einen Vorstand aus neun Personen, ich fungiere als Obmann. Das Konzept funktioniert aber nur, weil auch die anderen Vorstandsmitglieder mit viel Leidenschaft mitarbeiten und auch viel Expertise mitbringen. Die Gemeinde vermietet die Immobilie zu einem fairen Preis und profitiert von den Kommunalsteuereinnahmen. Wir haben sieben Mitarbeiter angestellt. Am Wochenende arbeiten wir mit geringfügig Beschäftigten wie Schülern und Studenten, aber auch ältere Menschen, die sich gerne einbringen.
Wir sind jetzt im zweiten Betriebsjahr und haben zuletzt auch positiv bilanziert. Es wird an uns liegen, die Qualität sicherzustellen, damit sich die Gäste auch langfristig wohlfühlen.“