
Die Technologie ermöglicht einen fließenden Übergang zwischen persönlicher Bedienung und digitalem Zugang.
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Nahversorgung
Hybridmärkte, Digitalisierung und multifunktionale Orte
Angesichts der strukturellen Schwächung klassischer Nahversorger – durch Demografie, Kosten und Nachfolgeprobleme - sucht der Handel nach neuen Wegen. Die Nahversorgerkonferenz des Gemeindebundes zeigte auf, in welche Richtung gearbeitet wird.
Angesichts der strukturellen Schwächung klassischer Nahversorger – durch Demografie, Kosten und Nachfolgeprobleme – entstehen neue, flexible Modelle, die auf Digitalisierung, Automatisierung und multifunktionale Nutzung setzen. Im Mittelpunkt dieser Bewegung steht eine neue Generation von hybriden Märkten, die Präsenz, Selbstbedienung und Technologie intelligent kombinieren.
Ein Schlüsselbegriff der Diskussion war der des „hybriden Markts“ – gemeint sind damit Verkaufsstellen, die zu bestimmten Zeiten konventionell geöffnet sind (mit Personal), aber außerhalb dieser Zeiten durch digitale Zutrittssysteme, Self-Scanning-Technologie und Videoüberwachung weiter zugänglich bleiben.
Elmar Ruth von Nah&Frisch berichtete, dass mittlerweile über 50 Standorte in Österreich mit einem solchen hybriden Modell ausgestattet seien. Dabei betreiben Kaufleute weiterhin einen eigenen Markt, können aber – gerade in kleinen Gemeinden mit beschränkten Ressourcen – ihre Öffnungszeiten massiv erweitern, ohne zusätzliches Personal finanzieren zu müssen.

„Die Technologie ermöglicht einen fließenden Übergang zwischen persönlicher Bedienung und digitalem Zugang – das schafft wirtschaftliche Spielräume, die es vorher nicht gab“, so Ruth.
Auch große Handelsketten wie REWE/BILLA, SPAR und MPreis experimentieren mit hybriden oder sogar vollständig autonomen Formaten. Die MiniM-Containerlösungen von MPreis oder digitale Boxensysteme von BILLA sind bereits in Pilotprojekten im Einsatz – speziell dort, wo keine klassische Verkaufsfläche betrieben werden kann. Robert Nagele von REWE betonte, man habe „viel gelernt“, etwa bei Zutrittssystemen, rechtlicher Zulässigkeit und Kundenakzeptanz.
Besonders wichtig: Die Kundinnen und Kunden müssen sich über eine App oder ein digitales Identifikationssystem registrieren, erhalten dann Zugang via QR-Code oder NFC, scannen Produkte selbstständig und bezahlen bargeldlos – häufig ohne Kassa im klassischen Sinn.
Selbstbedienung & Containerlösungen. Nahversorgung als Infrastruktur
Auch vollautonome Self-Service-Lösungen wurden intensiv diskutiert – etwa in Form von SB-Containern, digital betreuten Regalsystemen oder 24/7-Mini-Märkten auf öffentlichen Plätzen, bei Feuerwehrhäusern, Bankfilialen oder Bushaltestellen.
Die Österreichische Post plant, ihr Netz an solchen SB-Stationen auf bis zu 4.000 Standorte auszubauen. Die Idee: Eine Kombination aus Paketdienst, Postservice, Bankomatfunktion – und lokalen Produkten, etwa durch Kooperationen mit Hofläden oder Bäckereien. Walter Oblin betonte, dass über 32 Millionen Sendungen im Jahr 2023 selbstständig aufgegeben oder abgeholt wurden – der Trend sei eindeutig, die Technologie „bereit für den Rollout“
Recht und Alltag: Wer darf wann und wie einkaufen?
Mit dem Erfolg dieser Modelle stellt sich eine zentrale Frage: Was darf rechtlich als „geöffnet“ gelten – und was nicht? Denn viele hybride oder unbemannte Formate operieren in einer rechtlichen Grauzone. Laut geltendem Öffnungszeitengesetz dürfen Geschäfte sonntags und nachts nicht offen sein – unabhängig davon, ob Personal anwesend ist oder nicht. Das führt zu Situationen, in denen ein autonomer Container zwar betriebsbereit wäre, aber offiziell nicht betreten werden darf, obwohl keine klassische Öffnung im engeren Sinn vorliegt.
„Die gesetzlichen Regelungen stammen aus einer Zeit, in der man von Zutritt via QR-Code noch nichts wusste“, so ein Teilnehmer aus der Handelskammer. Das führe zu Rechtsunsicherheit – und verhindere den flächendeckenden Rollout vieler Pilotprojekte.

Akzeptanz, Chancen – und der Blick nach vorne
Was bei der Konferenz auffiel: Die Akzeptanz hybrider Modelle ist hoch, sowohl bei Konsument:innen als auch bei vielen Bürgermeister:innen. Besonders in kleinen Gemeinden, in denen die Alternative schlicht keine Nahversorgung mehr bedeutet, sind hybride Läden oft der einzige realistische Weg, um ein Mindestmaß an Grundversorgung zu sichern.
„Wir dürfen nicht die perfekte Lösung für Wien-Mitte zur Voraussetzung für ein funktionierendes Modell in der Südsteiermark machen“, so Johannes Pressl, Präsident des Gemeindebundes. Er plädierte für eine differenzierte Regulierung, die zwischen urbanem Vollsortiment und struktureller Grundversorgung unterscheidet. Auch Kombinationen mit mobilen oder temporären Lösungen – etwa Marktwagen, regionale Lieferservices oder Dorfvereine mit Selbstbedienungsabteilungen – wurden diskutiert.
„Gekommen, um zu bleiben. Hybride Märkte und digitale Nahversorgungsformate sind kein technologisches Gimmick, sondern zunehmend eine soziale Infrastrukturmaßnahme, mit der Gemeinden und Händler auf demografische und wirtschaftliche Realitäten reagieren. Sie sind jedoch nur dann tragfähig, wenn auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, Förderprogramme und die digitale Infrastruktur mitziehen.