Walter Leiss vom Gemeindebund
Walter Leiss: „Muss man alles verbieten, wie jüngst im Nationalpark Cinque Terre, wo Touristen nur mit Schlapfen an den Füßen auf Schnee und nassem Untergrund unterwegs sind, und bedarf es derartiger Verbote auch in den österreichischen Bergen, um die Wanderer und Besucher vor sich selbst zu schützen?“

Kuhattacken mit Folgen

Kuhattacken in der freien Natur sind keine Seltenheit. Fast jeden Sommer können wir in den Medien von der Gefährlichkeit wild gewordener Mutterkühe lesen.

Einige Wanderer in Begleitung ihrer Hunde sind mit so viel Natur offenbar überfordert und wissen nicht mehr, wie sie sich verhalten sollen und dürfen. Die Kühe sind echt, nicht lila, und bewegen sich. Wer kann damit rechnen?

In einigen Fällen kommt es dann zu unliebsamen Begegnungen und einem direkten Kontakt, und da ist die Kuh nun die Stärkere. Dass man selbst die Verantwortung für sein Handeln trägt, ist ja schon außer Mode gekommen und so wird immer ein Verantwortlicher/Schuldiger gesucht. Und auch oft gefunden.

Besondere Aktualität hat die Problematik zuletzt durch ein noch nicht rechtskräftiges Urteil erfahren, mit dem ein Landwirt zu rund 180.000 Euro Schadenersatz und zur Zahlung einer monatlichen Rente von 1500 Euro verurteilt wurde. Der gesamte Streitwert lag bei 490.000 Euro. Die Frau des Klägers war mit ihrer Familie und Hund auf einer Alm unterwegs und wurde plötzlich von Kühen attackiert und zu Tode getrampelt.

Aus für die Almwirtschaft als Alternative?

So bedauerlich dieser Fall ist, zeigt er doch die gesamte Problematik, die mit Wegehalterhaftung und Schadenersatz verbunden ist. Würde die öffentliche Hand im obigen Fall nicht dem Landwirt zur Seite stehen, wäre dessen Existenz wahrscheinlich vernichtet.

Konsequenzen wurden angedacht, um Derartiges in Zukunft zu vermeiden. Keine Almwirtschaft mehr, Einzäunen aller Almen, Betretungsverbote generell oder für Wanderer mit Hunden, eine Versicherungslösung oder Hinweistafeln an jedem Zugang. Der Fall des Hechtbisses im Badeteich lässt grüßen. Alle Varianten hätten gravierende Auswirkungen für die Landwirte, den Tourismus und natürlich auch für die Wanderer.

Zu begrüßen ist, dass sich die Bundesregierung nun des Falles angenommen hat und losgelöst vom Einzelfall eine generelle Lösung angestrebt wird. Das wird allerdings keine leichte Aufgabe.

Immer wieder Prozesse gegen Gemeinden

Das Urteil mag nach der geltenden Rechtsordnung zwar seine Berechtigung haben. Ob der drohenden Konsequenzen hat es zu vielem medialem Unverständnis und dazu geführt, dass sich die Bundesregierung mit der Problematik beschäftigt.

Die Gemeinden kennen die Probleme schon lange. Werden sie doch immer wieder verklagt, weil sie als Verwalter von mehr als 90.000 Kilometer Gemeindestraßen, 43.000 Kilometer Güterwegen und 13.700 Kilometer Radwegen und unzähligen Wanderwegen für deren Zustand verantwortlich sind.

Ein umgestürzter Baum, ein tief hängender Ast oder ein Schlagloch auf dem Weg – potenzielle Gefahrenquellen, die bei einem Unfall rasch den Schuldigen finden lassen. Prozesse werden geführt und bis zum Obersten Gerichtshof durchgekämpft. Zuletzt wurde die Gemeinde Abtenau verklagt, weil eine Mountainbikerin wegen eines Schlaglochs gestürzt und sich die Hand gebrochen hat.

Nun geht es darum, wie groß war das Schlagloch, wann wurde kontrolliert und wie wurde das dokumentiert? Viel Aufwand und eine Menge Bürokratie für die Gemeinden. Was die Gemeinden alles tun können, um mögliche Haftungsfolgen zu vermeiden, wurde schon im Jahr 2016 veröffentlicht. Aber Forststraßen und Wanderwege befinden sich im Gelände oder im Wald und dort herrschen andere Bedingungen als in der Stadt. Jedem Nutzer sollte dies von vornherein bewusst sein.

E-Mountainbikes bringen Konflikte

Verschärft wird die Situation durch den Boom an E-Mountainbikes. „Der Sportartikelhandel jubelt“ titelte zuletzt der „Trend“. Durch die E-Mountainbikes werden neue Käuferschichten erschlossen, und viele ungeübte Fahrer kommen in Regionen und Höhen, die sie vorher nicht erreicht hätten.

Die nächsten Konflikte mit Waldeigentümern und Gemeinden sind programmiert, denn das Gefahrenpotenzial wird durch die neuen technischen Möglichkeiten unzweifelhaft erhöht. Und wenn Unfälle geschehen, muss ein anderer schuld gewesen sein.

Wie wäre es mit Eigenverantwortung?

Weder die gänzliche Sperre noch Versicherungslösungen werden hier den bevorstehenden Konflikt lösen können. Abgesehen von den Nutzungskonflikten, der Ökologie und den möglichen Schäden an Wald und Wild, die zu lösen sind, bedarf es auch hier neuer Regelungen, die die Haftungsfragen behandeln.

Wie wäre es mit mehr Eigenverantwortung? Wer im Gelände im Wald auf Forststraßen, Wanderwegen oder Almen unterwegs ist, muss damit rechnen, dass die natürlichen Bedingungen anders sind als in der Stadt und muss sich ans Gelände anpassen. Und wenn es zu Unfällen kommt, greift die Eigenverantwortung. Kein Schadenersatz bei derartigen Vorfällen, auch wenn es für die Betroffenen hart sein mag.

Gewaltiger Kontrollaufwand für Gemeinden

Und dies sollte auch für Wanderwege gelten. Schon mehrfach kam es zu Urteilen, die Gemeinden wegen morscher Geländer oder Brücken nach Wanderunfällen zu Schadenersatz und auch strafrechtlich verurteilt wurden.

Die Gemeinde ist als Wegehalter verantwortlich, weil die Wanderwege nicht ausreichend gesichert, geprüft und instand gehalten wurden. Den Aufwand, den Gemeinden treiben müssen, um darzulegen, wann sie kontrolliert haben und welche Maßnahmen sie gesetzt haben, stößt schon langsam an seine Grenzen. Baumkataster für den Ortsbereich sollen im Schadensfall die Gemeinde vor einer Verurteilung schützen. Gleichzeitig haben sie Konflikte, wenn sie einen alten oder kranken Baum fällen. Der Baum war doch noch so schön.

Wo anders geht es auch

Andere Länder, andere Sitten oder andere Gesetze. Dabei muss man nicht andere Kontinente betrachten, sondern nur in Länder der Europäischen Union reisen.

In Irland sind die Klippen von Mohair eine besondere Touristenattraktion oder in Portugal und Spanien Leuchttürme, die den westlichsten Punkt Kontinentaleuropas markieren. Allen gemeinsam: keine Geländer, keine besondere Sicherung. Jeder sieht und kennt die Gefahr, die von den hohen Klippen ausgeht, und wer sich trotzdem besonders weit nach vorne wagt, tut dies auf eigenes Risiko.

Vielleicht manchmal sogar bewusst, wie Statistiken zu Todesfällen durch Selfies zeigen. Muss man alles verbieten, wie jüngst im Nationalpark Cinque Terre, wo Touristen nur mit Schlapfen an den Füßen auf Schnee und nassem Untergrund unterwegs sind, und bedarf es derartiger Verbote auch in den österreichischen Bergen, um die Wanderer und Besucher vor sich selbst zu schützen? Soll dann vielleicht auch die Gemeinde derartige Verbote überwachen und wird sie haftbar, wenn sie nicht einschreitet?

All das gilt es zu lösen. Ich gebe schon zu, dass das nicht einfach ist. Versicherungslösungen sind ein erster Schritt. Sie schützen aber nicht vor einer allfälligen strafrechtlichen Verantwortung. Ein Verhaltenskodex mag ebenso nützlich sein, wie mehr Hinweisschilder. Aber das Ziel, mehr Eigenverantwortung zu verankern und die Wegehalterhaftung generell zu reformieren, sollte im Vordergrund stehen.