Hans Braun
Hans Braun: „Die „Verantwortung der Republik zum Ausdruck bringen“ geht nur mit sachlicher Betrachtung. Quellen offenlegen und nicht einfach Dinge in den Raum stellen, etwas einfach behaupten. So werden von allen Seiten lediglich „Fake News“ produziert.“

2025 wird ein Jahr des Gedenkens und der Erinnerung

Wer seine Vergangenheit vergisst, muss sie wiederholen. Eigentlich: „Wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“ Das Zitat wird dem spanischen Philosophen George Santayana zugeordnet – und verdeutlicht jedenfalls die Wichtigkeit und Betonung der Erinnerungs- und Gedenkkultur.

Das Jahr 1944 war das sechste Jahr des mörderischsten Krieges der Geschichte. Sechs Jahre voller Zerstörung und unermessliches Leid lagen nicht nur hinter Österreich und seinen Menschen, sondern hinter ganz Europa. Was seit ein paar Jahren in der Ukraine passiert, geschah bei uns auch. 

Ende 1944 war nicht nur der Krieg schon lange verloren, die alliierten Armeen standen knapp vor den Grenzen des Dritten Reichs, zu dem Österreich damals als Ostmark gehörte. In Büchern liest man, dass der Rüstungsausstoß des Dritten Reichs 1944 seine höchste Leistungskraft erreichte, aber das beschreibt nicht die Zerstörungen, die diese Wirtschaftskraft anzog. 

Von „kleineren“ Luftangriffen abgesehen, begann der Luftkrieg gegen Österreich ab Sommer 1943, mit schweren Angriffen auf Wiener Neustadt und Ausweichziele in der Umgebung wie Ebreichsdorf. Angriffe auf Innsbruck, Klagenfurt, Steyr, Zell am See, Graz-Thalerhof und wieder Steyr folgten. Ab März 1944 traf es dann auch Wien erstmals, immer wieder Wiener Neustadt, aber auch Bad Vöslau, Fischamend. Eisenbahnziele bei Radkersburg, Melk, Pottendorf, Moosbierbaum und so weiter.

Ziele waren vornehmlich industrielle Anlagen wie das Kugellagerwerk in Steyr, die Flugzeugwerke in Wiener Neustadt oder auch Ölziele in Moosbierbaum – aber Abwehrfeuer, Wolken und Navigationsfehler der Piloten führten zu zahlreichen Fehlwürfen. Die Angriffe gingen bis zum Ende des Krieges praktisch durchgehend weiter – alles aufzuzählen würde hier den Rahmen sprengen. 

Das Ergebnis waren zerstörte Städte und Dörfer und Tausende Tote. Die Bilder, die es heute aus der Ukraine gibt, geben ein leider sehr realistisches Bild, wie eine Stadt, eine Gemeinde aussieht, wenn Bomben niedergehen. 

Insgesamt fielen dem Bombenkrieg der Alliierten bis zu 600.000 Zivilisten im gesamten Deutschen Reich zum Opfer. Schwer verwundete Überlebende der Angriffe waren in der Nachkriegszeit ein Teil der eineinhalb Millionen Kriegsversehrten.

Das Ende der Schreckensherrschaft

Nicht nur die Front rückte Ende 1944 immer näher, auch ein anderer Horror wurde 1944 und 1945 offenbar. Im Sommer 1944 erlitt mit der Vernichtung der Heeresgruppe Mitte die deutsche Wehrmacht – in der auch Tausende Österreicher dienten – die vermutlich schwerste Niederlage ihrer Geschichte. Die sowjetische „Operation Bagration“ führte zum vollständigen Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte und dem Verlust von 28 Divisionen.

Die Verluste an Menschen in dieser Schlacht waren gigantisch: Nach russischen Quellen betrugen die Verluste an Gefallenen, Verwundeten und Vermissten der Roten Armee 765.815 Soldaten. Die Verluste der Wehrmacht durch die „Operation Bagration“ betrugen nach der Forschungsarbeit des Historikers Karlz-Heinz Frieser insgesamt 399.102 Soldaten. 

In der Schlacht um Budapest, die von Oktober 1944 bis Mitte Februar 1945 dauerte, besiegte die Rote Armee nicht nur die Wehrmacht ein weiteres Mal, sie öffnete auch den Weg nach Österreich. Burgenländische Gemeinden waren 1945 die ersten, die erfahren mussten, was Bodenkrieg wirklich bedeutet. 

Die Rote Armee deckte Ende Juli 1944 endgültig und unwiderlegbar das größte Verbrechen der Nationalsozialisten auf. Das Konzentrationslager Majdanek wurde als erstes der großen deutschen Vernichtungslager befreit. Bedenkt man die Zahl der sogenannten Außenlager, müssen jedoch viele davon gewusst oder es geahnt haben. 

Was die Verluste an Österreicherinnen und Österreichern in diesen Jahren betrifft: Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 wurden bis Kriegsende 1945 nicht weniger als 1,3 Millionen „Österreicher“ als Soldaten zur deutschen Wehrmacht eingezogen. Das waren immerhin rund 40 Prozent der damaligen männlichen Bevölkerung. Von den Soldaten kamen 261.000 nicht mehr nach Hause, 123.700 Zivilisten verloren ebenfalls ihr Leben (Quelle: statista.com).

„Täter und Opfer“ – eine Frage des Gedenkjahres 2025?

Es ist eine unangenehme Wahrheit, dass die Diskussion in Österreich über die Täter- und Opferrolle noch immer nicht erschöpfend geführt ist. Es geht aus meiner Sicht auch nicht darum, jemanden „an den Pranger“ zu stellen. Es geht einfach darum, diese Zeit, die unermessliches Leid über Österreich gebracht hat, ohne Scheuklappen oder „blinde Flecken“ aufzuarbeiten. 

Was es so schwierig macht, ist allein schon die Frage, wann „diese Zeit“ denn begann – selbst das ist schon umstritten. War es 1919, als der französische Staatsmann Georges Clemenceau eine „harte Strafe“ gegen die Verlierer (und Verursacher) des Ersten Weltkriegs forderte? 
War es 1933, als die junge Weimarer Republik einer katastrophalen Fehleinschätzung aufsaß und den Weg für eine rassistische und zutiefst menschenverachtende nationalistische Partei frei machte? War es 1938, als Österreich in einem pseudo-demokratischen Verfahren per Volksabstimmung für den Anschluss an Nazi-Deutschland stimmte?

Im Parlament fand Mitte Oktober 2024 unter dem Titel „Erinnerung und Verantwortung“ die erste Konferenz des 1995 gegründeten Nationalfonds der Republik für Opfer des Nationalsozialismus statt. Im Fokus standen dabei die Zukunft der NS-Aufarbeitung und das Gedenken in Österreich sowie ein Ausblick auf 2025 - das Gedenkjahr anlässlich 80 Jahre Kriegsende und 80 Jahre Gründung der Zweiten Republik. Der Nationalfonds wurde übrigens gegründet, um die besondere Verantwortung der Republik Österreich gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus zum Ausdruck zu bringen. 

Die „Verantwortung der Republik zum Ausdruck“ bringen kann aus meiner Sicht nur gelingen, wenn wir die Opfer-Täter-Frage etwas in den Hintergrund treten lassen, wenn wir diese Zeit sachlich betrachten. Das heißt beileibe nicht vergessen, sondern Emotionen weglassen, die damalige Zeit bedenken und damit im Auge haben, was zu den einzelnen Ereignissen geführt hat, miteinbeziehen, Quellen offenlegen und nicht einfach Dinge in den Raum stellen oder etwas einfach behaupten. So werden von allen Seiten lediglich „Fake News“ produziert.

Der Beitrag von KOMMUNAL wird sein, in jeder Ausgabe 2025 zumindest in kurzen Splittern an die Geschehnisse vor 80 Jahren zu erinnern, an die letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs genauso wie an die ersten Schritte unserer Zweiten Republik.