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„Wir ernten heute, was wir gesät haben“
Feldkirch ist nach Dornbirn nicht nur die größte Stadt Vorarlbergs, es wird auch die „heimliche Hauptstadt“ genannt. Und es hat eine Besonderheit: Es war in sogenannte Fraktionen unterteilt, die man wegen der Verwechslungsgefahr mit den gleichnamigen politischen Zusammenschlüssen heute lieber Ortsteile nennt. In einem dieser Ortsteile, in Altenstadt, begann die Geschichte von Wolfgang Matt.
Als Jugendlicher stand bei ihm Sport an erster Stelle. Aktiv betrieben hat er alle möglichen Sportarten, außer Boxen, wie er anmerkt. Ob Fußball oder Tennis, beides auf Landesliga-Niveau, oder auch Eishockey: „Bei allem, was mit Bällen oder Ähnlichem zu tun hatte, fühlte ich mich zu Hause und deshalb auch in den jeweiligen Vereinen wohl“, erinnert sich der 67-Jährige zurück.
Er hat sich in den Vereinen engagiert. „Wenn einem das Ganze nicht egal ist, übernimmt man Verantwortung, wächst in diese hinein und kommt dabei zwangsläufig mit der kommunalpolitischen Ebene immer mehr in Kontakt.“ Dabei konnte er oft den Mund nicht halten. Vieles konnte ihm nicht schnell genug gehen. Schließlich sagte man ihm: „Wenn du eh so gescheit bist, dich überall einmischst und Wortführer spielst, dann engagier dich doch einmal richtig!“ Das tat Matt auch.
Seit 30 Jahren politisch aktiv
Seit 1990 engagierte er sich in seinem Stadtteil auch politisch, wurde 1995 Ortsvorsteher und blieb es bis 2003, als ihn der Bürgermeister in die Funktion eines Stadtrates hievte. Fortan war der gelernte Bankkaufmann für Finanzen und Wirtschaft referatsverantwortlich.
Als viele Jahre später die Vizebürgermeisterin spontan in die Landesregierung berufen wurde, übernahm Matt den Posten des Vizebürgermeisters dazu – und damit in weiterer Folge auch die Nachfolge des langgedienten Alt-Bürgermeisters Wilfried Berchtold, der nur ein halbes Jahr später aus dem Amt schied.
Es war keine Generationennachfolge, als der damals 64-jährige Matt im März 2019 neuer Stadtchef wurde. Daher ist er mit dem Bekenntnis angetreten, eine Verjüngung durchzuführen. „Das haben wir im Stadtrat mittlerweile auch gemacht. Der jüngste der ÖVP-Stadträte ist 27, der älteste 43 Jahre alt. Und ich bin die nächste Funktion, die verjüngt werden muss. Nun ist es meine Aufgabe, auch hierfür die Nachfolge zu regeln.“
Allgemein gesprochen schätzt Matt, dass es in Zukunft schwieriger werden wird, Menschen zu finden, die bereit sind, diese Verantwortung zu übernehmen. Das funktioniere auch nur, wenn von zu Hause die nötige Rückendeckung und das nie enden wollende Verständnis der Familie vorhanden sei. Ohne seine Frau, betont Matt ausdrücklich, wäre alles miteinander nicht möglich gewesen. „Wenn man zeitlich etwas wegnimmt, nimmt man es immer der Familie weg, und wenn man dann dafür noch Anfeindungen einstecken muss, dann ist das doppelt bitter.“
Extrem viel aushalten musste seine Familie auch nach dem Wirbel um seine Covid-Impfung und seinen Auftritt bei Armin Wolf in der ZIB 2. „Ich bin damals von falschen Voraussetzungen ausgegangen und dachte mir, ich will mich nicht drücken und stelle mich für das, was ich gemacht habe, hin. Auch wenn es zehnmal gescheiter gewesen wäre, es bleiben zu lassen, das gebe ich im Nachhinein zu. Es hätte meiner Familie und meinem gesamten Umfeld mehr genützt als geschadet.“
Auch im Wahlkampf, bei dem es um den Erhalt der Stadtmetzgerei ging, hätte er kommunikativ anders vorgehen sollen, reflektiert Matt selbstkritisch: „Ich bin kein geborener Kommunikationsmensch und habe der Kommunikation lange zu wenig Bedeutung zugemessen. Mir wurde oft vorgeworfen, dass ich den Bleistift zu stark spitze und mich zu oft in kleinen Themen verrenne. Wenn ein Nachfolger kommt, würde ich ihm daher raten: Mach weniger Buchhaltungsarbeiten und lege viel mehr Wert auf Kommunikation!“
Die Stärken des Zahlenmenschen Matt kamen Feldkirch dafür auf andere Weise zugute. Nach über 30 Jahren in der Stadtvertretung ist er auch in der Lage, jene Früchte zu ernten, die er einst selbst mitgesät hat. „Wobei wir jetzt, bildlich gesprochen, nicht alles abernten dürfen, sondern vielmehr die Balance von Ernten und wieder Säen halten müssen, sodass auch nachfolgende Generationen ernten können. Das gelingt uns und macht mich stolz. Ich komme von der betriebswirtschaftlichen Seite und da stehen wir als Feldkirch ganz hervorragend da.“ Auch in den schwierigsten Problemjahren sei es den Feldkirchern stets gelungen, das Schiff nicht nur auf Kurs zu halten, sondern die Stadt weiterzuentwickeln, wie auch der Stadtentwicklungsplan zeigt, der aus den 1990ern stammt und regelmäßig evaluiert wird. „Wir haben uns entlang dieser Richtschnur entwickelt und es ist größtenteils so eingetreten, wie wir das geplant haben, und das ist ein unwahrscheinlich schönes Gefühl“, freut sich der Bürgermeister und nennt als Beispiel die Bodenpolitik.
Feldkirch - nicht reich, aber vermögend
„Wir sind eine der wenigen Städte, die ein relativ großes Vermögen haben. Wir sind nicht reich, aber wir sind vermögend. Und das lässt gewisse Strategien und Entwicklungen zu“, erzählt Matt und nennt die Bahnhofcity als Beispiel: einen kleinen Stadtteil um den Bahnhof, den die Stadt gemeinsam mit den ÖBB und privaten Investoren entwickelt hat. Wohnungen, Arztpraxen, Verwaltungsgebäude und Betriebsansiedelungen inklusive.
„Wir konnten in der Entwicklungs- und Planungsarbeit nur mitreden, weil wir selbst eigene Grundstücksreserven miteingebracht haben – Baulandreserven, aber auch bebaute Grundstücke.“ Letztere habe die Stadt nämlich auch gekauft. Bis die Gemeinde frei über die Gebäude verfügen konnte, hat es aber Jahrzehnte gedauert. „Ich kann mich noch an das erste Grundstücksgeschäft erinnern. Das war ein Haus mit vier oder fünf Mietwohnungen und einem Frisiersalon im Erdgeschoß. ,Wozu kaufen wir ein Mietshaus mit Frisiersalon?‘, fragte damals vor 25 Jahren die Opposition.“
Im Lauf der Zeit kam das ein oder andere Gebäude in diesem Umkreis noch dazu. „Dadurch konnten wir dann bei der Entwicklung entsprechend mitreden und die Stadtentwicklung auch aktiv steuern. So wichtig die privaten Investoren auch sind, waren wir dennoch nicht abhängig von ihrem Goodwill, sondern haben gemeinsam mit ihnen die Projekte so gestaltet, wie wir in Feldkirch in Zukunft leben wollen.“
Das gilt auch bei Betriebsansiedelungen. Matt kann hier Rücksicht auf die Geschäfte in der Innenstadt nehmen. „Wenn ich private Investoren habe, die von Privaten Grundstücke kaufen, kann ich nichts dagegen tun, dass ich auf der grünen Wiese eine Konkurrenz zu meinen Innenstadtgeschäften erbauen lassen muss, und mich dann nicht wundern darf, wenn der Ortskern stirbt.“
Tatsächlich sind in der Feldkircher Innenstadt in 1A- und 1B-Lagen keine Leerflächen zu finden. Das Stadtzentrum zeigt ein geschlossenes, funktionierendes Bild und der Mix aus Gastronomie, Gewerbe und Handel ist ein Erfolgsgarant für einen lebendigen und lebenswerten Ortskern.
„Auch in den Stadtteilen versuchen wir, durch den Stadtentwicklungsplan geleitet, die jeweiligen Ortskerne lebendig zu halten – ebenfalls durch aktive Bodenpolitik, wenn es sein muss. Wir kaufen Liegenschaften, auch wenn wir nicht gleich wissen, wie wir sie verwenden werden.“ Zu diesen strategischen Reserven steht Matt, damit auch die nachkommende Generation einen starken und aktiven Handlungsspielraum hat.
Personalprobleme
Vor allen Problemen ist Feldkirch dadurch natürlich nicht gefeit – die Personalproblematik in der öffentlichen Verwaltung etwa spürt man auch hier. „Wir sind auch keine Insel der Seligen, aber noch können wir Schritt halten. Für das neue Schuljahr mussten wir über die Ferien in der Elementarpädagogik 31 neue Posten besetzten und haben das letztendlich auch geschafft. Doch irgendwann werden wir hier an Grenzen stoßen und uns ganz neue Wege einfallen lassen müssen, um an die Menschen zu kommen, die bereit sind, in diesem Segment zu arbeiten.“
Es wären sehr viele Menschen bereit, wenn man die beruflichen Anforderungen etwas mehr an der Realität messen würde: „Es muss nicht überall ein akademischer Abschluss dabei sein. Es muss das Herz am richtigen Fleck sein. Das gilt genauso für die Pflege“, meint Matt. Die Herausforderungen sind jedenfalls enorm.
Ausgleich findet der Bürgermeister, der trotz der Einwohnerzahl von über 35.000 Menschen mehr als die Hälfte davon persönlich kennt, im Urlaub. „Luxus ist für mich, ad hoc entscheiden zu können, worauf ich gerade Lust habe. Ich mache das oft im Urlaub, dass ich den nicht von der ersten bis zur letzten Minute plane, sondern schaue, wie das Wetter wird, und spontan entscheide. Zum Grauen meiner Frau sag ich manchmal: ,Mieten wir uns ein Wohnmobil und fahren ins Blaue!‘ Doch das mag sie nicht, denn sie fürchtet, dass sie da nur Arbeit hätte.“
Zur Person
Wolfgang Matt
Alter: 67
Gemeinde: Feldkirch
Einwohnerzahl: 34.998 (2022)
Bürgermeister seit: 2019
Partei: ÖVP