© adobe stock photo/jan_S
Europäische Initiative gegen Fake News
Mit welchen Nachrichten wir in die Irre geführt werden
Die EU hat den Kampf gegen "Fake News" aufgenommen und setzt Initiativen, um Behörden, Institutionen und ihre Bürger bis hinab auf die lokale Ebene dabei zu unterstützen, Fake News zu entlarven und deren Wirkung zu minimieren.
Der Begriff „Fake News" ist allerdings ein Buzzword, das gerne für verschiedene Arten von Falschinformationen verwendet wird. Vorab ist es also sinnvoll, sich erst einmal schlau zu machen, worin sich diese Formen überhaupt unterscheiden.
Der Brexit und der US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 haben gezeigt, wie massiv Falschinformationen über soziale Medien demokratische Prozesse beeinflussen können. Das Phänomen selbst ist keineswegs neu – schon mit den ersten Zeitungen tauchten erfundene Geschichten auf. Was sich geändert hat, ist die Geschwindigkeit und Reichweite der Verbreitung.
Die Verbreitung sozialer Medien hat das Problem verschärft. Falschinformationen erreichen heute in kürzester Zeit ein Millionenpublikum und können demokratische Prozesse massiv stören. Besonders betroffen sind Gesellschaften mit niedriger Medienkompetenz und ungefestigten demokratischen Strukturen. Dort werden falsche Informationen häufig genutzt, um Oppositionelle zu diskreditieren, Korruption zu verschleiern oder zivilgesellschaftliche Organisationen in Verruf zu bringen. Für Gemeinden und ihre Vertreter bedeutet dies eine konkrete Herausforderung: Sie müssen nicht nur selbst korrekt kommunizieren, sondern auch ihre Bürger dabei unterstützen, Wahrheit von Manipulation zu unterscheiden.
Die drei Gesichter der Manipulation
Der Begriff Fake News verschleiert mehr, als er erklärt. Dahinter verbergen sich drei grundlegend verschiedene Formen der Informationsunterordnung: Fehlinformation, Desinformation und Malinformation. Wer diese Unterschiede kennt, kann gezielter reagieren und die richtigen Gegenmaßnahmen ergreifen.
Fehlinformation: Der gutgläubige Irrtum
Fehlinformation beschreibt falsche Informationen, die ohne böse Absicht verbreitet werden. Der Urheber glaubt selbst an die Wahrheit dessen, was er weitergibt, und will niemandem schaden. In der kommunalen Praxis könnte das so aussehen: Ein Gemeinderat liest in einem Online-Forum, dass ab nächstem Monat neue EU-Vorschriften für die Müllentsorgung gelten, und jeder Haushalt eine zusätzliche Tonne anschaffen muss. Empört über die vermeintliche Bürokratie teilt er die Information auf seiner Facebook-Seite. Tatsächlich handelte es sich aber um eine Falschmeldung, die aus einem satirischen Beitrag entstanden war. Der Gemeinderat wollte seine Mitbürger warnen – hatte aber nicht erkannt, dass die Quelle unseriös war.
Das Tückische an Fehlinformationen: Sie verbreiten sich oft besonders schnell, weil sie von Menschen geteilt werden, denen andere vertrauen. Wenn der Nachbar, die Kollegin oder eben der Gemeinderat etwas postet, schenkt man dem mehr Glauben als anonymen Quellen. Studien zeigen, dass Menschen dazu neigen, Informationen unkritischer zu betrachten, wenn sie mit ihren eigenen Überzeugungen übereinstimmen. Eine Meldung über überbordende Bürokratie passt ins Weltbild vieler Menschen und wird deshalb weniger hinterfragt als eine positive Nachricht über die EU.
Für Kommunalpolitiker ist der Umgang mit Fehlinformationen eine Gratwanderung. Einerseits wollen sie nicht bevormundend wirken, andererseits haben sie eine Verantwortung für die korrekte Information ihrer Bürger. Die Herausforderung liegt darin, Richtigstellungen sachlich und ohne Schuldzuweisung zu formulieren. Wer einen Bürger öffentlich bloßstellt, weil dieser eine Fehlinformation geteilt hat, erreicht meist das Gegenteil: Verhärtete Fronten statt Einsicht.
Desinformation: Die bewusste Täuschung
Desinformation ist eine andere Kategorie. Hier werden gezielt falsche Informationen erzeugt und verbreitet, um Personen, Organisationen oder Institutionen zu schaden. Die Urheber wissen genau, dass ihre Behauptungen falsch sind, setzen sie aber strategisch ein, um bestimmte Ziele zu erreichen.
Ein kommunales Beispiel macht die Mechanismen deutlich: Drei Monate vor der Bürgermeisterwahl tauchen in einer Gemeinde plötzlich anonyme Flugblätter auf, die behaupten, der amtierende Bürgermeister habe Fördergelder für ein Straßenbauprojekt auf ein privates Konto umgeleitet. Die Anschuldigungen sind völlig aus der Luft gegriffen, aber sie werden über Wochen in sozialen Medien wiederholt und variiert. Mal heißt es, er habe das Geld für seinen Hausbau verwendet, mal für einen Luxusurlaub. Die Urheber – möglicherweise politische Gegner oder wirtschaftliche Konkurrenten – wissen, dass die Vorwürfe falsch sind. Aber sie kennen auch die Psychologie: Eine Anschuldigung haftet, selbst wenn sie später widerlegt wird. "Wo Rauch ist, ist auch Feuer", denken viele Menschen.
Die Raffinesse solcher Desinformationskampagnen liegt in ihrer Inszenierung. Oft werden die falschen Behauptungen so formuliert, dass sie schwer zu widerlegen sind. Sie enthalten gerade genug Details, um glaubwürdig zu wirken, aber bleiben vage genug, um nicht juristisch angreifbar zu sein. Zudem wird der Zeitpunkt strategisch gewählt: Kurz vor Wahlen oder wichtigen Entscheidungen bleibt wenig Zeit für gründliche Aufklärung. Bis die Wahrheit sich durchsetzt, hat die Desinformation ihre Wirkung bereits entfaltet.
Für Gemeinden ist Desinformation die gefährlichste Form der Manipulation, weil sie das Vertrauen in demokratische Institutionen untergräbt. Selbst wenn die falschen Anschuldigungen aufgeklärt werden, bleibt bei vielen Menschen ein diffuses Misstrauen zurück. Die emotionale Wirkung einer skandalösen Behauptung ist stärker als die nüchterne Richtigstellung. Desinformation zielt nicht nur darauf ab, eine Person zu schädigen, sondern das gesamte System diskreditierbar zu machen.
Malinformation: Die Waffe aus Wahrheit
Die dritte und subtilste Form ist Malinformation. Sie basiert auf wahren Informationen, die aber gezielt aus dem Zusammenhang gerissen oder instrumentalisiert werden, um zu schaden. Das macht sie besonders perfide: Die Fakten stimmen, aber ihre Präsentation ist manipulativ.
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Eine Gemeinderätin hat vor fünfzehn Jahren an einer Demonstration gegen ein Infrastrukturprojekt teilgenommen. Sie war damals Studentin und engagierte sich in der Umweltbewegung. Heute, als erfahrene Kommunalpolitikerin, vertritt sie differenziertere Positionen und setzt sich für nachhaltige, aber praktikable Lösungen ein. Kurz vor einer wichtigen Abstimmung über ein Gewerbegebiet tauchen plötzlich alte Fotos von der damaligen Demonstration auf, verbunden mit der Unterstellung, sie sei eine "radikale Projektgegnerin" und "wirtschaftsfeindlich". Die Information – ihre Teilnahme an der Demonstration – ist wahr. Aber sie wird in einen völlig anderen Kontext gestellt, um ihre heutige Glaubwürdigkeit zu untergraben.
Ein anderes Beispiel: Ein Bürgermeister hat in seiner Amtszeit mehrfach an Fortbildungen im Ausland teilgenommen, die von der Gemeinde bezahlt wurden. Das ist völlig legal und üblich, schließlich sollen sich Führungskräfte weiterbilden. Doch ein politischer Gegner veröffentlicht die Reisetätigkeiten in einer Auflistung, die suggeriert, der Bürgermeister würde ständig auf Kosten der Steuerzahler Urlaubsreisen unternehmen. Die Zahlen stimmen alle, aber durch die Art der Darstellung – ohne den Kontext der Fortbildungsziele zu erwähnen – entsteht ein falscher Eindruck.
Malinformation nutzt einen psychologischen Mechanismus aus: Menschen verarbeiten emotionale Botschaften schneller als sachliche Richtigstellungen. Wenn jemand zunächst ein dramatisch aufbereitetes, wahres Detail erfährt ("Der Bürgermeister war zehnmal im Ausland!"), bleibt dieser erste Eindruck haften, selbst wenn später der Kontext erklärt wird. Die Wahrheit wird zur Waffe, indem sie selektiv eingesetzt und dramatisiert wird.
Die fließenden Grenzen
In der Praxis verschwimmen die Grenzen zwischen diesen drei Formen häufig. Aus einer bewusst gestreuten Desinformation wird oft eine Fehlinformation, wenn gutgläubige Menschen die falsche Nachricht weiterverbreiten. Malinformation kann Ausgangspunkt für Desinformationskampagnen sein, wenn wahre Details mit erfundenen Elementen kombiniert werden. Ein Gemeinderat, der tatsächlich einmal einen Interessenkonflikt hatte, wird durch Desinformation zum angeblichen Serientäter stilisiert.
Die Komplexität zeigt sich auch darin, dass dieselbe Information je nach Kontext unterschiedlich einzuordnen ist. Wenn ein Journalist recherchiert, dass ein Bürgermeister in seiner Jugend wegen einer Bagatelle vorbestraft war, und dies im Rahmen einer ausgewogenen Berichterstattung erwähnt, ist das legitimer Journalismus. Wenn aber ein anonymer Account diese Information kurz vor der Wahl ohne jeden Kontext viral verbreitet, wird aus dem wahren Fakt eine Malinformation.
Für Kommunalpolitiker bedeutet diese Komplexität, dass pauschale Gegenstrategien nicht funktionieren. Jede Form der Manipulation erfordert eine spezifische Antwort: Fehlinformationen brauchen geduldige Aufklärung, Desinformationen müssen entschieden zurückgewiesen werden, und Malinformation erfordert die Kontextualisierung von Fakten. Wer alle drei in einen Topf wirft und pauschal von "Fake News" spricht, wird dem Problem nicht gerecht.
Wenn Wahrheit zur Verhandlungssache wird
Die systematische Verzerrung von Informationen untergräbt demokratische Grundprinzipien auf mehreren Ebenen. Politiker nutzen zunehmend die Beschuldigung, Medien würden Falschnachrichten verbreiten, um kritische Berichterstattung zu delegitimieren. Gleichzeitig setzen sie selbst auf emotionale Manipulation statt sachlicher Argumentation. Dieses Phänomen beschränkt sich nicht auf autoritäre Regime, sondern zeigt sich zunehmend auch in etablierten Demokratien.
Besonders problematisch ist die Entstehung postfaktischer Gesellschaften, in denen objektive Fakten weniger Einfluss auf die Meinungsbildung haben als Emotionen und persönliche Überzeugungen. Menschen geben ihre Stimme nicht mehr denjenigen, die die besten Argumente haben, sondern jenen, die ihre Gefühle am geschicktesten ansprechen. Populistische Bewegungen nutzen diesen Mechanismus systematisch: Sie polarisieren die Gesellschaft, stigmatisieren Gegner im Namen einer vermeintlichen moralischen Mehrheit und arbeiten mit vereinfachten Narrativen, die komplexe Probleme auf Sündenböcke reduzieren.
Die Zivilgesellschaft gerät dabei unter Druck. Nichtregierungsorganisationen werden beschuldigt, "ausländische Agenten" zu sein, mit der Opposition zusammenzuarbeiten oder nur eigenen Interessen zu dienen. Durch solche Diffamierungskampagnen, die mit Desinformationen, Fehlinformationen und Malinformationen arbeiten, soll ihre Glaubwürdigkeit zerstört werden. Das Ziel ist, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen und den Handlungsspielraum demokratischer Akteure einzuschränken.
Strategien der Gegenwehr
Die Bekämpfung von Informationsunordnung erfordert einen mehrschichtigen Ansatz. International haben sich zwei Hauptstrategien herauskristallisiert: die systematische Überprüfung von Fakten und die Stärkung der Medienkompetenz in der Bevölkerung.
Die Rolle der Faktenüberprüfung hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Während früher Redaktionen die Aufgabe hatten, Informationen vor der Veröffentlichung zu verifizieren, übernehmen heute zunehmend spezialisierte Organisationen die nachträgliche Überprüfung bereits publizierter Inhalte. Sie kontrollieren politische Aussagen von Führungspersonen und bewerten die Qualität von Medienberichten. Dieser Prozess geht über die bloße Feststellung von wahr oder falsch hinaus: Faktenüberprüfer analysieren den Kontext, die Einbettung und die Gründe, warum Informationen auf bestimmte Weise präsentiert werden.
Noch fundamentaler ist die Förderung von Medienkompetenz. Eine medienkompetente Person versteht nicht nur, wie Medien funktionieren, sondern kann auch Manipulationstechniken erkennen, Quellen kritisch bewerten und Informationen in ihren gesellschaftlichen Kontext einordnen. Diese Fähigkeit ist nicht intuitiv, sondern muss systematisch erlernt werden – idealerweise als Teil des Bildungssystems vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung. Medienkompetenz befähigt Menschen, Daten zu sammeln, Informationen zu verarbeiten, Wissen aufzubauen und letztlich zu mündigen Bürgern zu werden, die fundierte Entscheidungen treffen können.
Die Zivilgesellschaft nimmt in diesem Kampf eine Schlüsselrolle ein. Im Gegensatz zu staatlichen Stellen, die bei der Regulierung von Informationen schnell in Konflikt mit der Meinungsfreiheit geraten, kann die Zivilgesellschaft durch Bildung und Aufklärung demokratiekonforme Wege gehen. Transparenz erweist sich dabei als wirkungsvollstes Gegenmittel: Organisationen, die offen über ihre Finanzierung, Ziele und Methoden kommunizieren, nehmen Verschwörungstheorien und Diffamierungen den Wind aus den Segeln.
Was Gemeinden konkret tun können
Für heimische Kommunalpolitiker ergeben sich aus dieser Analyse spezifische Handlungsoptionen, die an die lokalen Gegebenheiten angepasst sein müssen. Das internationale Modell spezialisierter Faktencheckorganisationen lässt sich nicht einfach auf die Gemeindeebene übertragen – hier sind andere Ansätze gefragt.
Der wichtigste Hebel ist konsequente Transparenz in der eigenen Kommunikation. Gemeinden sollten über alle relevanten Kanäle regelmäßig, verständlich und proaktiv informieren. Beschlüsse, Budgets, Projektfortschritte und auch Rückschläge gehören sachlich dargestellt. Wenn Falschinformationen über ein Gemeindeprojekt kursieren, hilft eine zeitnahe, faktenbasierte Richtigstellung über die offiziellen Kanäle – ohne polemischen Unterton, aber klar in der Sache.
Kommunalpolitiker sollten selbst mit gutem Beispiel vorangehen und ihre eigene Medienkompetenz schärfen. Das bedeutet: Quellen prüfen, bevor Informationen geteilt werden, auf sozialen Medien verantwortungsvoll agieren und sich der Reichweite und Wirkung der eigenen Aussagen bewusst sein. Gerade in kleinen Gemeinden, wo jeder jeden kennt, haben Bürgermeister und Gemeinderäte als Meinungsbildner eine besondere Verantwortung.
Die Förderung von Bildungsinitiativen zur Medienkompetenz ist ein langfristig wirksamer Ansatz. Gemeinden können Volkshochschulkurse unterstützen, Vorträge organisieren oder mit Schulen kooperieren, um jungen Menschen den kritischen Umgang mit Informationen zu vermitteln. Solche Initiativen sollten niederschwellig sein und konkrete Hilfestellungen bieten: Wie erkenne ich unseriöse Quellen? Welche Warnsignale deuten auf Manipulation hin? Wo finde ich verlässliche Informationen?
Entscheidend ist dabei immer, die Meinungsfreiheit zu wahren. Der Kampf gegen Manipulation darf niemals zum Vorwand werden, unbequeme Kritik zu unterdrücken oder alternative Sichtweisen mundtot zu machen. Die Grenze verläuft dort, wo aus legitimer Meinungsäußerung gezielte Täuschung wird – und diese Grenze zu ziehen, erfordert Augenmaß und demokratische Reife.
Die Herausforderung durch Fehlinformationen, Desinformationen und Malinformationen ist real und wächst. Doch sie ist keine unabwendbare Naturgewalt. Mit Transparenz, Bildung und einem geschärften Bewusstsein für die Mechanismen der Manipulation können Gemeinden einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Demokratie leisten. Der Schutz beginnt dort, wo Menschen lernen, kritisch zu hinterfragen und informierte Entscheidungen zu treffen – und das fängt auf der lokalen Ebene an, im direkten Austausch zwischen Bürgern und ihren gewählten Vertretern. Sie können sich dabei auf die Rückendeckung des EU-Parlaments verlassen.
Das EU-Parlament als Wingman der Kommunen
Um der Fülle an Angriffen auf Fakten, Vertrauen und demokratische Entscheidungsfreiheit entgegenzuwirken, hat das Europäische Parlament das European Democracy Shield (EUDS) eingerichtet – einen Sonderausschuss, der Desinformation und politische Einflussnahme untersucht. Der Ausschuss analysiert bestehende EU-Maßnahmen, bewertet neue Gefahren – von staatlicher Propaganda bis hin zu privat betriebenen Plattformen – und entwickelt Vorschläge, wie Europas Antwort auf Desinformation wirksamer und gemeinschaftlicher werden kann.