Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl und die Gemeindebund-Delegation in Kopenhagen.
Dänemark: Wo Pragmatismus, Vertrauen und „Samfundssind“ den Staat tragen
Vertrauen statt Kontrolle, Pragmatismus statt Perfektionismus – und ein Gemeinsinn, der Staat und Gesellschaft trägt: In Dänemark greift, was vielerorts nur als Schlagwort gilt. Eine Delegation des Österreichischen Gemeindebundes reiste nach Kopenhagen, um zu verstehen, wie das kleine Land an der Nordsee Verwaltung, Klimaschutz, Digitalisierung und Zusammenhalt zu einem funktionierenden Ganzen verknüpft. Die Erkenntnis: Effizienz beginnt dort, wo Vertrauen keine Ausnahme, sondern Prinzip ist.
Vom 15. bis 17. Oktober führte die Fach- und Bildungsreise des Österreichischen Gemeindebundes eine Delegation nach Kopenhagen, in die Hauptstadt des aktuellen EU-Vorsitzlandes Dänemark. Drei Tage lang stand der Blick auf ein Land im Mittelpunkt, das Verwaltung, Klimaschutz, Digitalisierung und gesellschaftlichen Zusammenhalt auf beeindruckend pragmatische Weise verbindet.
Vom „House of Green“ bis CopenHill – Nachhaltigkeit als Kultur
Schon der Auftakt bei State of Green – einer öffentlich-privaten Partnerschaft zwischen vier Ministerien und führenden Wirtschaftsverbänden – zeigte, was Dänemark auszeichnet: Konsequenz und Kooperation. Seit den 1970er-Jahren verfolgt das Land, das weder über Wasserkraft noch über große Energieressourcen verfügt, eine klare Strategie Richtung Energieunabhängigkeit. Heute stammen 44 % der Energie aus erneuerbaren Quellen, bis 2050 will man klimaneutral sein. Staat, Wirtschaft und Finanzindustrie verstehen sich als Partner im selben Projekt – der grünen Wende.
Wie sehr die Dänen ihre Infrastruktur als Teil einer lebenswerten Stadt denken, zeigte CopenHill: Ein hochmodernes Müllheizkraftwerk, das 150.000 Haushalte mit Energie versorgt – und auf dessen Dach eine Skipiste, Kletterwand und Wanderwege entstanden sind. Nachhaltigkeit, Design und Freizeit in einem – mit österreichischer Technologie im Inneren. „Müllverbrennung macht Sinn“, lautet hier die Haltung. Sichtbar, funktional, nützlich – nicht versteckt.
Kommunale Stärke als Rückgrat des Staates
Der zweite Tag führte die Delegation zum dänischen Gemeindeverband „KL – Local Government Denmark“ (Kommunernes Landsforening), der alle 98 Gemeinden des Landes vertritt. Mit durchschnittlich 60.000 Einwohnern pro Gemeinde ist die dänische Kommunalstruktur eine völlig andere als in Österreich – und doch erstaunlich wirksam.
Die Gemeinden verwalten fast die Hälfte des gesamten öffentlichen Budgets und übernehmen nahezu alle Aufgaben des täglichen Lebens: Kinderbetreuung, Pflege, Bildung, Arbeitsmarktpolitik, Umwelt und Naturschutz. Regionen kümmern sich um Krankenhäuser und Verkehr, der Staat um Hochschulen und Infrastruktur.
„Je näher man am Geld ist, desto besser verwaltet man es“, erklärte ein KL-Vertreter und brachte damit die dänische Dezentralisierung auf den Punkt. Gleichzeitig gilt: Klare Budgetobergrenzen, jährliche Finanzverhandlungen mit Sanktionen bei Überschreitungen und ein hoher Grad an Eigenverantwortung sichern Disziplin und Vertrauen.
Oder, wie ein dänisches Sprichwort sagt: „En regel gælder, indtil en bedre regel kommer“ – Eine Regel gilt, bis eine bessere kommt.
Strukturreformen mit Weitblick
Die heutige Stärke der Gemeinden ist Ergebnis jahrzehntelanger Reformpolitik. Schon 1970, im Zuge der ersten großen Gemeindereform, entstand KL aus dem Zusammenschluss dreier Verbände – damals schrumpfte die Zahl der Gemeinden von 1.336 auf 275. Die zweite große Reform folgte 2007: Aus 271 Gemeinden wurden 98.
Die neuen Gemeinden zählten im Durchschnitt 20.000 Einwohner mehr, als ursprünglich vorgesehen, was zeigt, dass Zusammenlegungen hier als Chance verstanden wurden. Auch die fünf Regionen gingen aus dieser Reform hervor und lösten 14 Kreise ab. Aktuell bereitet Dänemark bereits den nächsten Reformschritt vor – mit Kompetenzbereinigungen im Gesundheits- und Sozialwesen.
Digitalisierung mit Hausverstand
Beim Besuch des Citizen Service Centre in Lyngby erlebte die Delegation, wie Digitalisierung im Alltag funktioniert: Wer einen Pass beantragt, erledigt den Großteil online – das persönliche Vorsprechen ist nur mehr formaler Akt. Schon seit über zehn Jahren ist der gesamte Schriftverkehr mit Behörden in Dänemark standardmäßig digital.
Doch Technik ist hier kein Selbstzweck, sondern Werkzeug. „Es wird nicht gesagt, was nicht geht, sondern getan, was geht“ – dieser Satz fiel mehrfach während der Reise und beschreibt den dänischen Pragmatismus besser als jedes Strategiepapier. Fehler werden erlaubt, wenn sie zum Lernen führen. Fortschritt entsteht aus Mut, nicht aus Perfektionismus.
„Samfundssind“ – der Geist des Gemeinsinns
Ein Wort fiel immer wieder: „Samfundssind“ – schwer zu übersetzen, aber zentral für das dänische Selbstverständnis. Es bedeutet Gemeinsinn, Verantwortungsbewusstsein, gesellschaftlicher Geist. Es beschreibt jene Haltung, die das Land trägt: Vertrauen in Institutionen, Verantwortlichkeit der Bürgerinnen und Bürger und der Wille, Herausforderungen gemeinsam zu lösen.
Ob in der Politik, der Verwaltung oder beim Thema Gleichstellung – von Unisex-Toiletten bis zu integrativen Stadtvierteln wie Nordhavn zeigt sich, dass Gleichberechtigung, Pragmatismus und Ästhetik kein Widerspruch sind.
Lebensgefühl: Freiheit und Verantwortung
Beim Empfang des österreichischen Botschafters Andreas Riecken erzählten junge Auslandsösterreicherinnen, wie selbstverständlich Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Dänemark gelebt wird. Kinderbetreuung kostet, ist aber flächendeckend vorhanden. Arbeitszeiten sind flexibel, Vertrauen ist hoch.
Mit einer Staatsverschuldung von nur 31 %, einer 25 %-Mehrwertsteuer und einem klaren Bewusstsein für Leistung und Gegenleistung zeigt Dänemark, dass wirtschaftliche Stabilität und soziale Balance einander nicht ausschließen müssen.
Vielleicht liegt das Erfolgsgeheimnis tatsächlich im historischen Selbstverständnis dieses Seefahrervolkes: Mutig, gemeinschaftlich, selbstbewusst – und immer auf der Suche nach neuen Horizonten.
Fazit. Die Reise nach Dänemark war mehr als ein Blick über die Grenzen – sie war eine Inspiration. Für eine Verwaltung, die Verantwortung zulässt. Für Politik, die auf Vertrauen baut. Und für eine Gesellschaft, in der Gemeinsinn nicht Schlagwort, sondern Alltag ist.