Peter Pilz vor seiner Abwahl
Peter Pilz“: Es gilt, den vorhandenen Leerstand zu nutzen und durch geschickte Raum- und Stadt-planung den Bedarf an Wohnraum zu decken, damit keine weiteren Grünflächen mehr geopfert werden müssen.“

"Viele haben das Vertrauen in die Politik verloren"

Die Diskussion rund um den Klimaschutz beschäftigt die Innenpolitik seit Monaten und ist auch ein wichtiges Thema für die Nationalratswahl. Wie sehen Ihre Pläne in Sachen Klimaschutz aus?

Klimapolitik gelingt nur, wenn alle politischen Kräfte jenseits der Klientelpolitik zusammenarbeiten. Wir müssen gemeinsam Maßnahmen setzen, damit unsere Welt auch für nachfolgende Generationen lebenswert bleibt. Statistiken zeigen: Österreich ist noch nicht auf dem richtigen Weg. Deshalb schlagen wir eine klimagerechte Steuerreform unter Einbeziehung folgender Maßnahmen vor:

  • Ausstieg aus fossiler Energie: Der Energieverbrauch muss verringert werden. Dies kann beispielsweise durch konsequente thermische Sanierung von Gebäuden, effizientere E-Geräte und Veränderungen im Konsumverhalten gelingen. Die bereitgestellte Energie muss sinnvoller genutzt und eine ökosoziale Steuerreform umgesetzt werden. Daher ist eine aufkommensneutrale und sozial verträgliche CO2-Steuer eine der wichtigsten Maß-nahmen für den Klima- und Umweltschutz.
  • Ausbau von Ökostrom: Gleichwertig neben der Senkung des Energieverbrauchs und der Erhöhung der Energie-Effektivität steht der Ausbau von Ökostrom. Eine 100%ige Abdeckung durch Ökostrom lässt sich nur erreichen, wenn der Stromverbrauch reduziert wird. Direkte Nutzung von Solarenergie ist die nachhaltigste Form der Ökostromgewinnung, denn nicht jeder Ökostrom-Ausbau verdient den Namen „ÖKO“. In jedem Fall muss der durch den Ausbau gewonnene Energieertrag den dadurch verursachten Umweltschäden objektiv gegenüber gestellt werden.
  • Mobilität: Mobilität muss gesamtheitlich unter Einbeziehung aller Verkehrsmittel betrachtet werden. In diesem Sinne: Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, sodass diese attraktiver werden als der motorisierte Individualverkehr. Hierfür sind neben dem Fahrtkostenpreis eine sinnvolle Streckenführung sowie eine gute Taktung der Öffis entscheidend. Auch der Ausbau von Radwegen muss endlich schneller vorangetrieben wer-den. Zukünftig sollen außerdem nur mehr emissionsfreie Fahrzeuge neuzugelassen und alternative Antriebe für KFZ gefördert werden. Außerdem treten wir für eine Kerosin-steuer ein, da im Flugverkehr derzeit keine Kostenwahrheit vorhanden ist.
  • Begrünung und Entsiegelung von Städten: Gerade in den heißen Sommermonaten zeigt sich, wie wichtig die innerstädtische Begrünung und die Entsiegelung von Flächen ist. Daher gilt es vorhandenen Leerstand zu nutzen und durch geschickte Raum- und Stadtplanung den Bedarf an Wohnraum zu decken, damit keine weiteren Grünflächen mehr geopfert werden müssen.
  • Weitere wichtige Maßnahmen: Drastische Reduktion von Plastikmüll und Einführung eines verpflichtenden Pfandsystems, Abschaffung von klimaschädlichen Subventionen (insbesondere in der Landwirtschaft) sowie Förderung von Biolandwirtschaft.

Welche Maßnahmen planen Sie, um den ländlichen Raum zu stärken?

Wir planen folgende Maßnahmen, um den ländlichen Raum zu stärken:

  • Klein- und Biobauern stärken: Dringend nötig ist eine Reform der landwirtschaftlichen Förderungen, weg von der Flächenförderung hin zu einer stärkeren Förderung von Biobauern.
  • Ab-Hof-Verkauf von Lebensmitteln fördern und diesbezügliche bürokratische Hürden abbauen
  • Durch Kleinprojekte den sozialen Zusammenhalt im Dorf stärken, um Gemeinden für Zuzüge interessant zu machen. Hier spielen insbesondere aktive Vereine, wie Sportvereine und die Freiwillige Feuerwehr, eine zentrale Rolle.
  • Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel
  • Ausbau von Ganztagesschulen und Kinderbetreuungsplätzen
  • Ausbau des Breitbandangebots (siehe nächste Frage)
  • Förderung von lokalen KMU
  • Erneuerbare Energien im ländlichen Raum fördern
  • Einbindung lokaler Akteure in ländliche Entwicklungsprojekte

Ultraschnelle Glasfaserinternetverbindungen sind die Autobahnen von Morgen: Wie wollen Sie den flächendeckenden Ausbau sicherstellen und angehen?

Eine der größten Herausforderungen betrifft die Digitalisierung. Flächendeckend schnelles Internet ist das Mindeste, was österreichische Unternehmen sowie den vielen freiberuflich arbeitenden Menschen geboten werden muss und eigentlich längst Standard sein sollte. Leider gibt es noch immer etliche Regionen in Österreich in denen User wegen mangelnder Infrastruktur (wie fehlendem Glasfaser-Ausbau) mit langsamem Internet zu kämpfen haben.
Der flächendeckende Ausbau von schnellem Breitband-Netz mittels Glasfaser-Kabel muss noch schneller forciert werden. Außerdem muss die Vergabe der Mittel absolut transparent ablaufen. Daneben muss für alle Österreicher und Österreicherinnen gewährleistet sein, dass durch die Einführung von 5G-Netzen keine gesundheitlichen Langzeitfolgen entstehen. Dazu sind intensive Studien notwendig.

Welche Maßnahmen wollen Sie setzen, um gegen den Ärztemangel anzukämpfen?

Wir setzen uns für folgende Maßnahmen gegen den Ärztemangel ein:

  • Mehr Kassenärzte und Kassenärztinnen: Kassenstellen für Allgemeinärzte und -ärztinnen müssen attraktiver werden. Das heißt bessere Honorierung durch die Kasse, Bürokratieabbau, flexiblere Arbeitsmöglichkeiten und neue Angebote für junge Ärzte und Ärztinnen.
  • Landarztstipendien: Insbesondere am Land ist der Ärztemangel akut. Hier könnten nach deutschem Vorbild Landarztstipendien eingeführt werden. Wer ein solches Stipendium bezieht, verpflichtet sich, einige Jahre in der jeweiligen Region zu praktizieren.
  • Ausbildungsoffensive: Die Anzahl der Studierenden der Medizin sollte dringend erhöht werden, um die Pensionierungswelle abzufedern.
  • Verbesserung der Arbeitsbedingungen für junge Ärzte und Ärztinnen: Personen, die in Österreich den Turnus absolvieren sollen durch positive Anreize dazu gebracht werden, in Österreich zu bleiben und hier zu arbeiten. Dazu muss Österreich – insbesondere im Vergleich mit skandinavischen Ländern und Deutschland – als Standort konkurrenzfähiger werden.

Die Reform der Pflege beschäftigt die Politik seit Jahren. Auch die Gemeinden sind gefordert, da sie einen wesentlichen Organisations- und Finanzierungsbeitrag leisten. Wie sehen Sie die Pflege der Zukunft?

Die Pflege ist eines der wichtigsten Zukunftsthemen. Leider wurde die Pflege in den vergangenen Jahren unterfinanziert und Probleme wurden verschwiegen. Es braucht daher konkrete Verbesserungen, wie die Valorisierung des Pflegegelds, die von uns beantragt wurde. Außerdem benötigen wir eine Vision, wie das Pflegesystem der Zukunft aussehen soll, das den Menschen, die Pflege brauchen, die optimale Versorgung und den beschäftigten Pflegekräften einen guten Arbeitsplatz garantiert.

Schon heute kämpft der Arbeitsmarkt mit Personalmangel, vor allem im gehobenen Dienst der Gesundheits- und Krankenpflege. Um auch in Zukunft würdevolles Altern zu ermöglichen, fordern wir deutlich mehr Geld für die Pflege und wollen damit folgende Maßnahmen finanzieren:

  • Ausbildungsoffensive, die sich am praktischen Bedarf orientiert. Dabei ist es wichtig, unterschiedliche Ausbildungsschienen zu berücksichtigen, also sowohl die Hochschulausbildung als auch jene an Pflegefachschulen. Auch eine Pflegelehre ist vorstellbar, allerdings mit einem Volleinstieg erst ab 17 Jahren, um Jugendlichen nicht bereits ab 15 Jahren den täglichen Kontakt mit dem Leiden und Sterben ihrer Patientinnen und Patienten zuzumuten.
  • Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege: Notwendig sind adäquate Personalschlüssel, eine spürbare nachhaltige Erhöhung des Einkommens, die realistische zeitliche Bemessung unterschiedlicher Pflege- und Betreuungstätigkeiten und das Einpreisen der Zeit für menschliche Kontakte in der Pflege, der Abbau von Bürokratie sowie die Evaluierung von Dokumentationspflichten.
  • Stärkung der Pflege zu Hause: Die meisten Menschen wollen zu Hause gepflegt werden und vielfach entspricht dies auch dem Wunsch der pflegenden Angehörigen. Es ist daher dringend an der Zeit mobile Pflegedienste zu stärken und auszubauen. Unabhängig da-von, ob diese Betroffene allein oder gemeinsam mit Angehörigen pflegen. Außerdem muss die Situation pflegender Angehöriger verbessert werden, sodass diese sich auf gesellschaftliche und politische Unterstützung verlassen können.

All diese Maßnahmen ließen sich beispielsweise über einen Pflegefonds finanzieren, der aus Vermögenssteuern gespeist wird.

Der Gemeindebund fordert– untermauert durch ein Gutachten – eine Aufgaben- und Kompetenzentflechtung im Bildungssystem und wünscht sich, dass das Personal in einer Hand vereint ist. Wie sieht für Sie das Bildungssystem der Zukunft aus?

Die Arbeitswelt entwickelt sich immer mehr weg vom Industriezeitalter hin zum Wissenszeitalter – diesen neuen Herausforderungen muss sich auch unser Bildungssystem endlich stellen. In diesem Sinne fordern wir:

  • Neubewertung des Fächerkanons mit Fokus auf die Förderung von Kreativität und Innovation
  • Neugestaltung der Wissensvermittlung, in der Kreativität, Lösungsorientierung und soziale Kompetenzen als fächerübergreifende Leitprinzipien der Bildung verstanden werden. So werden Schüler und Schülerinnen ermächtigt, angstfrei und gerne zu lernen.
  • In diesem Sinne benötigt es ein System, in dem Fehler gemacht werden dürfen und sollen und in dem lernende Menschen entsprechend ihrer Bedürfnisse individuell und ganzheitlich gefördert werden. Vom Kindergarten bis zur Universität.
  • Frühzeitige und motivierende Auseinandersetzung mit Naturwissenschaften und Technik, um mehr Menschen für die Forschung zu begeistern
  • Stärkere Förderung von Kommunikation und Kooperationsfähigkeit anstatt reine Fixierung auf Leistung und Konkurrenz
  • Das Bildungssystem der Zukunft versteht neue Informationstechnologien als Medium und Werkzeug um kreative Gedanken umzusetzen
  • Um dies zu erreichen, müssen auch die Verhältnisse von lehrenden zu lernenden Menschen neu überdacht und die Lerngruppen konsequent verkleinert werden. Vom Kindergarten bis zur Universität.
  • Außerdem ist es notwendig, den Lehrberuf attraktiver zu gestalten und gesellschaftspolitisch aufzuwerten. Nur so können engagierte Lehrkräfte gefunden werden, die ihren Beruf mit Leidenschaft ausüben. Dies soll für alle Pädagogen und Pädagoginnen gelten, also wiederum vom Kindergarten bis zur Universität.
  • Im Hinblick auf die Neubewertung des Fächerkanons und die Neugestaltung der Wissensvermittlung ist natürlich auch die universitäre Ausbildung von Lehrkräften dement-sprechend anzupassen.
  • Der von Ihnen angesprochenen Entwirrung der Aufgaben- und Kompetenzverflechtung im Bildungssystem stehen wir positiv gegenüber. Es sollten für alle lernenden und lehrenden Menschen in Österreich dieselben Rahmenbedingungen gelten.

In vielen Gemeinden wird es immer schwieriger, geeignete Menschen zur Kandidatur für den Gemeinderat oder das Bürgermeisteramt zu gewinnen. Welche Ansätze haben Sie, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?

Hier ist das Grundproblem, dass viele Menschen das Vertrauen in die Politik verloren haben. Das ist aufgrund der zahlreichen Korruptionsskandale der letzten Jahre ja auch verständlich. Als weitere Gründe für die „Politikverdrossenheit“ sehen wir:

  • Das Gefühl vieler Menschen, dass sie an der „schlechten Politik“ eh nichts ändern können.
  • Die hohe Arbeitsbelastung und die schwere Vereinbarkeit von Beruf und Familie führen dazu, dass viele Menschen schlichtweg keine Zeit haben, sich politisch zu engagieren.

Unsere Ansätze dieser Entwicklung entgegenzuwirken sind:

  • Einführung von politischer Bildung als eigenes Schulfach: So können junge Menschen ermutigt und befähigt werden, sich selbständig kritische Meinungen über politische Entwicklungen zu bilden und eigenverantwortlich zu handeln. Außerdem werden junge Menschen dazu ermutigt, die Chancen, welche ihnen politisches Engagement bietet, wahrzunehmen.
  • Förderung von Frauen in der Politik: Die Mehrheit der Wahlberechtigten (nämlich rund 52 %) sind Frauen. Dennoch ist der Frauenanteil im Nationalrat bei nur 34,4%, im Bundesrat bei 36,7 % und auf Gemeindeebene sehen die Zahlen auch nicht besser aus. Österreich hat damit noch einiges aufzuholen.
    Das Problem beginnt oft bereits auf Gemeindeebene, wie auch der angesehene Politologe Peter Filzmaier betont: „Die Krux beginnt ganz unten, beim Engagement in der Gemeinde. Da ist es für Männer viel einfacher, abends zur Partei- oder Gewerkschaftssitzung zu gehen, weil trotz Verbesserungen nach wie vor die Frauen die Hauptlast in Sachen Haushalt und Familie tragen.“
    Dieser Doppelbelastung von Frauen kann durch den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen entgegen-gewirkt werden. Mindestens genauso wichtig ist allerdings, dass die gesellschaftlichen und beruflichen Rahmenbedingungen so angepasst werden, dass Väter vermehrt ihre Betreuungspflichten wahrnehmen wollen und können. Außerdem ist zu beachten, dass Politik lange Zeit eine reine Männerdomäne war und viele Männer dazu tendieren, ihren Geschlechtsgenossen mehr zuzutrauen. Je mehr Frauen in der Politik aktiv werden, desto schneller werden diese veralteten Ansichten verschwinden und umso schneller finden sich kompetente Kandidatinnen für Gemeinderäte und Bürgermeisterämter.

Einbindung der Zivilgesellschaft in politische Projekte: Direkte Demokratie muss nicht zwangsläufig Volksabstimmung bedeuten. Menschen können auch durch eine stärkere, aktive Einbindung in neue politische Projekte für Politik begeistert werden. Projekte auf Gemeindeebene sind hierfür bestens geeignet, da die Bewohnerinnen und Bewohner am besten wissen, welche Projekte für ihre Gemeinde sinnvoll und notwendig sind. Außerdem wird dadurch der persönliche Nutzen von Politik für die Menschen sichtbar.

Was bedeutet „Gemeinde“ für Sie ganz persönlich?

Heimat. Kapfenberg, St. Katharein, Wien.