„Viele der Probleme kann kein Nationalstaat alleine lösen“
Sie sind regelmäßig beim Ausschuss der Regionen. Was bewegt Sie, Ihr Mandat persönlich auszuüben und sich nicht etwa durch einen Landesrat oder ein Landtagsmitglied vertreten zu lassen?
Ich bin schon seit meiner Jugend ein glühender Europäer und war damals auch beim Bund Europäischer Jugend. Trotz aller Kritik sehe ich, dass die Europäische Union die am besten funktionierende supranationale Einheit ist. Auf einem Globus, auf dem man große Probleme nur gemeinsam bekämpfen kann, ist eine Einrichtung wie die EU etwas ganz Besonderes.
Die Länderinteressen kam man am effektivsten im Ausschuss der Regionen vertreten. Daher gehöre ich diesem schon seit 2013 an und bin bei etwa 80 Prozent der Termine in Brüssel.
Wie sehen Sie die Rolle des AdR in der Gestaltung der europäischen Politik? Man hat etwas den Eindruck, dass der AdR zwar viele Stellungnahmen abgegeben und Papiere produziert werden, dass aber wenig davon in den Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene einfließt.
Die Gesetzgebung auf europäischer Ebene kann man mit einer sozialpartnerschaftlichen Begutachtung, wie wir sie in Österreich kennen, vergleichen. Das heißt, die Meinungen, die aus den Städten, Gemeinden und Regionen eingebracht werden, sind die, die am nähesten bei der Bevölkerung sind. Und es sind auch diese Ebenen, die mit dem Gesetzeswerk am stärksten konfrontiert sind und die damit leben müssen.
Ich glaube auch, dass bei der Weiterentwicklung der Union die Chance besteht – so sie dem Subsidiaritätsprinzip auch weiterhin verhaftet bleibt –, dass Länder und Gemeinden einen größeren und bedeutenderen Stellenwert bekommen können, beispielsweise dass Stellungnahmen einen verpflichtenden Charakter bekommen, also verpflichtend zu respektieren sind, wenn sie mit einer gewissen Majorität ausgestattet sind.
Wie verlaufen die Diskussionen und Abstimmungen? Wird eher fraktionell abgestimmt oder nach Ländern?
Das ist im AdR tatsächlich gewöhnungsbedürftig, aber auch interessant. Ich hatte hier beispielsweise die Sitzung der sozialdemokratischen Fraktion und dann leitete ich die österreichische Delegation überparteilich. Man stimmt also österreichische regionale Interessen mit politisch ideologischen, inhaltlichen Interessen ab. Dabei haben wir einen relativ hohen Deckungsgrad von 80 bis 90 Prozent.
Wie kann man die Anliegen eines Bundeslandes im AdR einbringen?
Man kann Dinge besonders gut vertreten, wenn man sie in der eigenen Region praktiziert.
Ein konkretes Beispiel sind Kinderschutz und Kinderrechte. Kinderschutz ist in Kärnten unter dem Titel „Wir möchten die kinderfreundlichste Region Europas werden“, ein besonderes Anliegen. Das war auch in meiner Fraktion bekannt. Da ich das Thema immer wieder in meinen Reden erwähne, wurde mir dafür auch eine Berichterstatterfunktion überantwortet. Damit konnte ich hier schon erfreuliche Ergebnisse im Sinne der Kinder erreichen. So gab es bei der auswärtigen Sitzung in Ancona eine über alle unterschiedlichen Parteigrenzen hinweg erzielte einstimmige (!)Beschlussfassung, sodass sie von der zuständigen Vizepräsidentin der Kommission ohne vorherigen AdR-Beschluss übernommen werden konnte. Das zeigt, dass man mit Emotion, mit Engagement und mit vorzeigbaren Best-Practice-Beispielen sehr viel erreichen kann.
Gegen Kinderschutz kann kaum jemand etwas haben. Aber wie ist das Beispiel mit der Wolf-Problematik? Das ist ein kontroverses Thema.
Auch da haben wir über Parteigrenzen hinweg und auf verschiedenen Ebenen – etwa in der Landeshauptleutekonferenz – gemeinsame Positionen erarbeitet.
Kärnten hat als erstes Bundesland ein Gesetzeswerk auf regionaler Ebene gehabt, das auch kritischen Beurteilungen standgehalten hat. Das hat einen Weg aufgezeigt, sodass auch die Kommission einen Schwenk gemacht hat und das Thema zur Berner Konvention delegiert hat. Ich gehe davon aus, dass der Schutzstatus des Wolfes gemildert wird, weil sich objektive Fakten verändert haben.
Weil es jetzt mehr Wölfe gibt?
Ja, weil die Population zugenommen hat und weil man Wölfe nicht mit rein nationaler Gesetzgebung beschränken kann.
Es ist für mich auch klar, dass man nicht nur den Wolf schützen muss, sondern auch Tiere auf der Alm, weil alle Tiere gleich viel wert sind. Das wird auch eine Änderung der Fauna-Flora-Habitatsrichtlinie nötig machen.
Kärnten wurde von der EU-Kommission als „Good Practice“-Modell für Familienpolitik bezeichnet. Wollen Sie, dass andere Regionen davon lernen?
Wir haben schon einige internationale Auszeichnungen für Familien-, Kinder- und Jugendfreundlichkeit bekommen. Ich glaube, dass das ein integrierter Bestandteil zukünftiger Politik sein muss.
Neben dem Burgenland und Wien ist Kärnten das einzige Bundesland, in dem der Kindergarten kostenfrei ist. Mit einer neuen Form der Wohnbeihilfe versuchen wir jetzt Familien mit Kindern größere Förderungen zukommen zu lassen, um Kinderarmut im Keim zu ersticken.
Gibt es auf Ebene des AdR Zusammenarbeit mit Nachbarregionen in Slowenien oder Italien?
Ja, sogar sehr eng und sehr gut abgestimmt. Ich selbst bin Präsident der Euregio „Senza Confini“, an der Friaul, Julisch-Venetien und Kärnten beteiligt sind.
Die Zusammenarbeit hat sich in der Praxis sehr gut bewährt: Ich verweise nur auf die schlimmen Waldbrände im italienischen und im slowenischen Karst, wo es italienischen Löschflugzeugen möglich war, Wasser vom Kärntner Weissensee aufzunehmen und beim Waldbrand im Karst abzuwerfen.
Welche weiteren Schwerpunkte setzen Sie als Mitglied des Ausschusses der Regionen?
Ich bin Mitglied in zwei Fachkommissionen: SEDEC, die sich mit Sozialpolitik, Bildung, Beschäftigung, Forschung und Kultur beschäftigt, sowie ECON, die sich mit Wirtschaftspolitik befasst. Ich versuche, mich dort intensiv einzubringen. So waren wir unter den ersten, die beim European Chips Act – gemeinsam mit dem ja auch in Kärnten tätigem Hersteller Infineon – aktiv tätig waren.
Kärnten ist auch bekannt dafür, dass wir ein gutes Verhältnis zu den Sozialpartnern haben. Sie sind auch zweimal im Jahr Teil einer offiziellen Regierungssitzung des Landes, wo wir auch sehr kritisch unsere Positionen austauschen – beispielsweise beim Koralmtunnel. Dieser ist Teil der Baltisch-Adriatischen-Achse, die durch unser ständiges Bemühen Teil der transeuropäischen Netze geworden ist. Dadurch haben wir für Erweiterungen auch europäische Fördergelder erhalten. Hier sieht man, wie mehrere Ebenen zusammenlaufen.
Wie sehen Sie generell die Zukunft der Regionalpolitik in der EU, insbesondere in Bezug auf Urbanisierung oder Abwanderung?
Viele der Probleme, die wir derzeit haben, kann kein Nationalstaat alleine lösen. Thematiken wie Umweltschutz, Luftverschmutzung oder Klimawandel machen nicht bei Staatsgrenzen oder regionalen Grenzen halt. Daher wird dort die EU als supranationale Einheit an Bedeutung gewinnen. Sie soll Grundsatzorientierungen geben und für wesentliche Bereiche Richtlinien erstellen. Wichtig wäre aber auch, dass es eine Selbstkontrolle hinsichtlich zu hoher Bürokratisierung und Regulierungswut gibt.
Das ist aber nicht unbedingt Regionalpolitik …
Die Probleme sind keine regional spezifischen, sondern betreffen die gesamte Europäische Union.
Ich denke auch, dass man die Tendenz in Richtung Metropolen, in eine Welt der Großstädte, schwer aufhalten kann. Manchmal gibt es da leichte Gegenbewegungen, die aber durch externe Faktoren beeinflusst werden – etwa während der Pandemie. Insgesamt wird es aber zu weiteren Konzentrationen kommen.
Die daraus resultierende Entvölkerung des ländlichen Raumes macht es notwendig, dass man in Landschaftserhaltung und -pflege investiert, beispielsweise durch Schaffung von National-, Natur- oder Biosphärenparks. Ich kann mich noch erinnern, als ich noch ein junger Abgeordneter war, dass es für Bauern vollkommen unverständlich war, dass sie Geld nicht dafür bekommen, dass sie etwas anbauen, sondern dafür, dass sie Kulturlandschaft erhalten. Das war ein völliger Paradigmenwechsel.
Aber wie macht man nun den ländlichen Raum attraktiv?
Was wir brauchen, sind gute Mobilitätsschienen und Mikroverkehre, die die Verkehrssituation im ländlichen Raum verbessern.
Eine Chance ist sicher die Dezentralisierung von Arbeitsplätzen, die durch das Internet möglich wird. Heute ist ja bereits Vieles machbar, ohne dass man in einem Großraumbüro sitzen muss.