
Blumen für die Mitglieder der Gemeindebund-Delegation beim Besuch des Gemeindekindergartens in der Gemeinde Radziejowice in der Woiwodschaft Masowien.
Polens Kommunen im Aufwind: Modernisierung mit Mut & Weitblick
Polen überrascht: Auf der Fach- und Bildungsreise des Österreichischen Gemeindebundes zeigten sich Gemeinden nahe Warschau als moderne Vorbilder für kommunale Innovationskraft, Investitionsfreude und gelebte Bürgernähe.
Die traditionelle Fach- und Bildungsreise führte eine Abordnung des Präsidiums gemeinsam mit dem Europaausschuss des Gemeindebundes Anfang Mai nach Polen. Am Programm standen Besuche in zwei Gemeinden in der Nähe der Hauptstadt Warschau, zahlreiche Gespräche mit Kommunalpolitikern und ein Treffen mit dem österreichischen Botschafter in Warschau. Ziel war es, die Strukturen, Aufgaben und Herausforderungen der polnischen Kommunen zu erkunden.
„Big Player“ in Europa und wirtschaftlicher „Tiger“
Polen ist mit rund 38 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern eines der größten Länder der Europäischen Union und verzeichnet seit Jahren ein bemerkenswert stabiles Wirtschaftswachstum. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten mehr als verdoppelt – nicht zuletzt aufgrund der starken Rolle der Regionen und Kommunen, die als Motoren für Innovation, Investitionen und Lebensqualität wirken. In Polen gibt es unterhalb der Staatsregierung 16 Woiwodschaften (Regionen oder „Bundesländer“), 380 Land- und Stadtkreise und 2.477 Gemeinden.
Polen ist innerhalb Europas ein wirtschaftlicher „Tiger“. 3,2 Prozent Wirtschaftswachstum – prognostiziert für 2025 – sind einer der höchsten Werte innerhalb der EU. Polen steigert – auch allein schon wegen der engen Grenzlage zur Ukraine – seine Rüstungsausgaben in diesem Jahr auf fast 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist mit 41 Milliarden Euro ein enorm hoher Wert, der in ganz Europa seinesgleichen sucht.
Arbeitslosigkeit gibt es zumindest in den großen Zentren gar nicht, denn dort herrscht so gut wie Vollbeschäftigung. In den Gesprächen mit den Gemeindevertretern war wenig „Jammer-Stimmung“ spürbar. Debatten ums Geld stehen eher im Hintergrund.
Interessant war auch, dass Österreich in Polen nach wie vor einen enorm hohen Stellenwert als Vorbild in vielen Fragen der Gemeindeentwicklung hat. Voller Stolz haben uns einige Gesprächspartner gezeigt, was sie sich von Österreich abgeschaut haben. Auch in Sachen Digitalisierung der Verwaltung konnten wir beim Austausch mit der Stadtverwaltung Warschau einige interessante Aspekte mitnehmen.
Kontakt mit den Gemeinden im Vordergrund
Im Fokus der Reise stand der Besuch in den Gemeinden Grodzisk Mazowiecki und Radziejowice in der Woiwodschaft Masowien. Grodzisk Mazowiecki, eine dynamisch wachsende Stadt mit mehr als 50.000 Einwohnern im Großraum Warschau, gilt als Vorzeigemodell für gelungene kommunale Entwicklung. Bürgermeister Tomasz Krupski präsentierte der Delegation im neu errichteten Sportzentrum die Vielfalt der kommunalen Projekte seiner Gemeinde.
Etwa 25 Prozent des kommunalen Haushalts werden jährlich für Investitionen aufgewendet. Die Stadt positioniert sich als Innovations- und Wirtschaftsstandort. Mit einem Innovationszentrum sollen Start-ups und innovative Unternehmen gefördert werden. Der Bürgermeister verwies dabei auf erfolgreiche Beispiele aus Österreich, von denen sich die Stadtgemeinde auch einiges abgeschaut hat.
Die Stadt verfolgt auch ambitionierte Projekte zur Anpassung an den Klimawandel. Im Rahmen des Projekts „Investitionen in grüne und blaue Infrastruktur“ wurden Maßnahmen wie die Umgestaltung des Plac Wolności mit wasserdurchlässigen Belägen, die Schaffung von Retentionsbecken und die Pflanzung von Blühflächen umgesetzt. Besonders beeindruckend war die neue Sporthalle, die für Schulen und Events genutzt wird und am Dach auch ein Planetarium beherbergt.
Auch die ländlich geprägte Gemeinde Radziejowice mit etwa 6.500 Einwohnern rund 40 Kilometer südwestlich von Warschau überzeugte mit innovativen Ansätzen in der Regionalentwicklung. Hier zeigte sich, wie durch gezielte Investitionen in Bildung, Tourismus und Nahversorgung nicht nur Abwanderung gestoppt, sondern neue Lebensqualität geschaffen werden kann.

Beim Besuch des neuen Kindergartens erfuhr die Delegation einiges über die Kinderbetreuung in Polen. So sind fünf Stunden Betreuung gebührenfrei und die Nachmittagsbetreuung kostet 350 Złoty, umgerechnet etwa 83 Euro im Monat. Es gibt keine Kindergartenpflicht und die Kinderbildung bzw. -betreuung erfolgt getrennt nach Altersgruppen. So hat der Kindergarten in Radziejowice mit 180 Kindern je zwei Gruppen für Drei-, Vier-und Fünfjährige. Interessant war auch die digitale Zutrittskontrolle im Kindergarten, wo Eltern ihre Kinder beim Zutritt aus- und einchecken, damit auch eine genaue Abrechnung der Betreuungsleistungen erfolgen kann.
Stichwort Tourismus: Der Bürgermeister der Gemeinde ließ es sich nicht nehmen, auch das beeindruckende Schloss Radziejowice herzuzeigen. Im 17. Jahrhundert war es ein bedeutender Treffpunkt des polnischen Adels und beherbergte Könige wie Sigismund III. Wasa und Władysław IV. Wasa. Heute dient das Schloss als Kulturzentrum mit Museum und Ausstellungsräumen.
Warschau: Symbol für Unabhängigkeit und Wiederaufbau
Die Hauptstadt Polens wurde im Zweiten Weltkrieg nahezu vollständig zerstört – bis zu 85 Prozent der Innenstadt lagen in Trümmern. Der Wiederaufbau der „Altstadt“ in den 1950er-Jahren gilt als ein beispielloser Akt kollektiven Gedächtnisses und nationaler Selbstbehauptung. Für die Gemeindebund-Delegation stand in Warschau auch ein Besuch des „Museums der Geschichte der Juden in Polen | POLIN“ am Programm: ein beeindruckendes und gleichzeitig bedrückendes Museum, das gerade am Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkriegs umso ergreifender war. Ein Besuch in diesem Museum ist für jeden Warschau-Besucher empfehlenswert. Zur Abrundung des Programms statteten wir auch der Berufsfeuerwehr Warschau mit ihrem Feuerwehrmuseum einen Besuch ab.
Die Bildungsreise hat deutlich gezeigt: Polens Gemeinden befinden sich in einem dynamischen Wandel – getragen von Innovationsgeist, Bürgernähe und zukunftsorientierter Standortpolitik. Besonders hervorzuheben sind der Mut zur Modernisierung mit gezielten Investitionen in Digitalisierung und moderne Verwaltungsprozesse und die Offenheit für grenzüberschreitende Zusammenarbeit und damit das „Lernen von anderen Ideen“.

5 zentrale Punkte zu Polens kommunalen Strukturen
1. Polen gliedert sich in Woiwodschaften (Regionen), Powiats (Landkreise) und Gminas (Gemeinden)
2. Insgesamt gibt es in Polen 2.477 Gemeinden, davon rund 302 urbane, 718 urban-rurale und 1.459 rurale Einheiten.
3. Die durchschnittliche Bevölkerungszahl pro Gmina liegt bei rund 7.000 Einwohnern.
4. Es existieren 380 Landkreise (Powiats), darunter 66 Städte mit „Powiat-Status“.
5 Polen ist in 16 Woiwodschaften gegliedert – vergleichbar mit Bundesländern bzw. Regionen.