Europaflagge, Samen und Baumsymbole
Ist es nötig und verhältnismäßig, exakte Klimaschutz-Zielvorgaben für jede Gemeinde zu verankern? Foto: Shutterstock/Tolikoff Photography

Verhältnismäßigkeit ist das Zauberwort

Das Subsidiaritätsprinzip ist in aller Munde. Es ist allerdings nur eines von drei Prinzipien zur Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Union und Mitgliedstaaten.

Neben dem weithin bekannten Grundsatz, dass die Union nur dann tätig werden soll, wenn die entsprechenden Ziele weder auf zentraler noch regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können (Subsidiarität), gelten auch der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung und das Verhältnismäßigkeitsprinzip.



Der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung besagt, dass die Union ausschließlich in Bereichen tätig werden kann, die ihr von den Mitgliedstaaten übertragen wurden. Die EU kann also keine neuen Aufgaben an sich ziehen, sondern nur auf Basis der vertraglich festgelegten Kompetenzverteilung agieren.



Aus Gemeindesicht besonders interessant ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip, weil es tiefer geht als die beiden anderen Grundsätze. Denn selbst wenn die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens unbestritten ist und die Kompetenzordnung dies zulässt, kann es in den entsprechenden Legislativvorschlägen doch zu unverhältnismäßigen Detailregelungen kommen.

Beispiele gefällig?


  1. Siedlungsabfall ist ein äußerst greifbares und jedermann bekanntes Problem. Sehr lokal. Rechtlich gesehen aber bilden europäische Richtlinien die Grundlage für die Definition der Abfallarten, Recyclingvorschriften und so weiter. Im Zuge der Revision der Abfallrahmenrichtlinie stellte sich die Frage, wie detailliert EU-Recht sein darf, um bewährte Systeme nicht auf den Kopf zu stellen, Nachzüglern aber auch genug Anreiz zu geben, aufzuholen. Ein schwieriger Spagat.

    Die kommunalen Verbände meinten, Detailregelungen dort, wo Vergleichbarkeit das Ziel ist, etwa  bei einheitlichen Berechnungsmethoden. Die Einführung eines Mengenkriteriums zur Definition haushaltsähnlicher Siedlungsabfälle wurde jedoch strikt abgelehnt.

    Derartiges kann man auch auf nationaler – oder, wie in Österreich, regionaler – Ebene einführen, eine Festlegung bereits in der Richtlinie hätte sämtliche Handlungsspielräume zerstört und wäre weit über das zur Erreichung des gewünschten Ziels erforderliche Maß hinausgeschossen. Also nicht verhältnismäßig.

  2. Mit Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens bekräftigten die Mitgliedstaaten das gemeinsame Engagement zum Klimaschutz, die EU-Kommission legte daraufhin ein umfassendes Energiepaket vor. Aus kommunaler Sicht bedeutsam sind darin die Bereiche erneuerbare Energie und Energieeffizienz, da die Ziele letztendlich vor Ort zu erreichen sind.

    Ist es aber nötig und verhältnismäßig, exakte Zielvorgaben für jede Gemeinde im Richtlinientext zu verankern? Ist das überhaupt umsetzbar? Mit diesen Fragen wurden die Europaabgeordneten von einer Allianz kommunaler Verbände vor der Abstimmung im Plenum konfrontiert, das Abstimmungsergebnis ist erfreulich.

  3. Auch im Bereich der Digitalisierung sind alle Ebenen zunehmend gefordert. Die EU hat Aufholbedarf, weshalb die Kommission den digitalen Binnenmarkt für Unternehmen und Bürger zu einer Priorität erhoben hat. Gängige Behördenwege zu vereinfachen und elektronisch zugänglich zu machen ist sicher der richtige Ansatz, einiges davon betrifft die Gemeinden direkt.

    Aber ist es nicht besser, unterschiedliche Vorarbeiten der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen und Spielräume für nationale Lösungen offen zu lassen? Muss der europäische Rechtstext wirklich alle „zuständigen Behörden“ verpflichten oder wäre nicht ein Verweis auf „die Mitgliedstaaten“ verhältnismäßiger? Ein gemeinsames Ziel vorgeben, das in der Verantwortung des zuständigen Ministeriums umzusetzen ist? Die Antwort darauf steht noch aus.






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Der Gemeindebund und seine kommunalen Schwesterverbände behalten all dies im Auge. In Europa gibt es fast 100.000 Gemeinden und Städte, in allen Größenklassen, mit unterschiedlicher Finanzausstattung, unterschiedlichen Kompetenzen und nicht vergleichbaren Ausgangssituationen. Oft reicht es, ein bis zwei Begriffe im Richtlinien- oder Verordnungsvorschlag zu ändern, um den Spielraum auf nationaler Ebene zu erhöhen.

Aber Achtung



Einem positiven Ergebnis auf europäischer Ebene folgt die Bewährungsprobe in Wien. Das beliebte Vergolden von EU-Recht hat schon so manchen kommunalen Erfolg wieder zunichte gemacht. Aber auch hier wird alles besser. „Kein Gold-Plating bei der Umsetzung von EU-Recht“ steht im Regierungsprogramm. Wir behalten auch das im Auge.