Probenentnahme aus einer Kläranlage
Wenn ein Mensch aus 10.000 infiziert ist (und damit Viren ausscheidet), sieht man das im Abwasser.
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Puzzlestücke für das Pandemie-Management

Das Institut für Wassergüte und Ressourcenmanagement an der TU Wien ist an einem österreichischen Forschungsprojekt beteiligt, mit dem versucht wird, anhand von Abwasseranalysen zu erkennen, wie viele Corona-Fälle es in einem Gebiet gibt. Prof. Norbert Kreuzinger erklärt, wie das gemacht wird und wie man die Erkenntnisse nutzen kann.

Wie werden die Proben, die Sie analysieren, gezogen?

Norbert Kreuzinger: Die Proben, die wir verwenden, stammen aus den Standard-Proben, die regelmäßig aus den Kläranlagen gezogen werden, um die Reinigungsleistung zu prüfen. Das heißt, für den Kläranlagen-Betreiber entsteht kein zusätzlicher Aufwand.

Die Proben werden dann drei bis vier Stunden zentrifugiert. Das ist relativ aufwändig und kann auch in einem Labor des jeweiligen Bundeslandes gemacht werden. Die so vorbereiteten Proben werden dann weitergeschickt für die RNA-Extraktion und die Sequenzierung.

Wie viele Menschen müssen betroffen sein, damit eine Probe aussagekräftig ist?

Von der ursprünglichen Variante des Coronavirus, die bis Dezember dominant war, ist ein einziger Fall unter 10.000 sicher nachweisbar. Bei größeren Kläranlagen und bei günstigen Bedingungen kann es sogar sein, dass ein Fall unter 20.000 erkannt wird.

Was genau finden Sie da? Sind das quasi einzelne Viren? Die Abwässer eines einzelnen Menschen könnten ja, bildlich gesprochen, gerade in einer anderen Ecke der Kläranlage sein.

Das auf die Kläranlage zufließende Abwasser mit den Viren wird über 24 Stunden mit einem automatischen Probenehmer gesammelt. Der Probenehmer gewährleistet, dass einige Liter Tagesmischprobe gesammelt werden, die von den Inhaltsstoffen dem über den gesamten Tag zugeflossenen Abwasser entspricht. In dieser Zulaufmischprobe wird das Virus analysiert.

Wenn einer aus 10.000 infiziert ist (und damit Viren ausscheidet), sehen wir das wie gesagt im Abwasser. Das heißt, die von dieser Person ausgeschiedene Virenmenge reicht aus, dass wir im Zulauf der Kläranlage ein Signal bekommen, selbst wenn diese Ausscheidung vom Abwasser von 9.999 anderen „gesunden“ Menschen verdünnt wird. Methodisch wird das Erbgut der Viren (RNA) untersucht. Aus der Anzahl der gefundenen viralen RNA-Moleküle kann auf die Anzahl der Viren geschlossen werden, da 1 RNA Molekül = 1 Virus.

Kann man alle Mutationen erkennen?

Im Rahmen des Forschungsprojektes haben wir uns zuerst im Sommer 2020 und dann noch vor Weihnachten angesehen, ob sich die RNA, die wir extrahieren und mit der wir unsere Untersuchungen machen, auch sequenzieren lässt. Zu unserer Überraschung hat das gut funktioniert. Man kann also erkennen, welche Varianten des Virus in der Gesamt-RNA vorhanden sind.

Man kann mittels eines Target-Screenings gezielt nach einer bestimmten Mutation suchen – also beispielsweise nach der britischen oder der südafrikanischen Variante des Virus. Oder aber man untersucht, welche Varianten überhaupt in der Probe vorhanden sind.

Norbert Kreuzinger
Norbert Kreuzinger: „Man kann mittels eines Target-Screenings gezielt nach einer bestimmten Mutation suchen – also beispielsweise nach der britischen oder der südafrikanischen Variante des Virus.“

Die Kollegen um Heribert Insam von der Uni Innsbruck konnten zeigen, dass in einer Kläranlage bis zu acht verschiedene Varianten des Corona-Virus vertreten sind. Derzeit sind vor allem eben die britische und die südafrikanische Mutation interessant, weil das die ansteckendsten sind.

Funktioniert das auch bei kleineren Kläranlagen?

Kläranlagen haben ein Einzugsgebiet von wenigen Menschen bis zu zwei Millionen. Anlagen für weniger als 10.000 Menschen zu untersuchen ist nicht so sinnvoll. Allerdings hängt es natürlich davon ab, was man herausfinden will. Wenn man etwa wissen will, ob es in einem Ort Auffälligkeiten gibt, dann kann es auch bei einer kleineren Kläranlage sinnvoll sein, Proben zu untersuchen.

Will man jedoch einen Überblick über die Corona-Situation in einem Bundesland oder in ganz Österreich, dann man muss sich auf große Anlagen fokussieren.

Wenn man aber weiß, dass es in einer Gemeinde einen Corona-Hotspot gibt, kann man anhand der Abwässer sehen, was genau los ist?

Das wäre möglich. Noch wichtiger ist es aber, wenn man gar noch nicht weiß, dass man einen Hotspot in der Gemeinde hat.

Können alle Gemeinden Ihre Dienste in Anspruch nehmen und eine Abwasseranalyse beauftragen?

Das ist leider nicht möglich. Die Analysen, die wir derzeit machen, sind Teil eines Forschungsprojektes, bei dem wir herausfinden wollen, welche Möglichkeiten und Grenzen es gibt. Um reale Daten dafür zu bekommen, untersuchen wir die Abwässer von 27 Kläranlagen in ganz Österreich. Die AGES in Graz versucht aus den Daten ein Prognosemodell zu entwickeln. Aber einzelne Bundesländer haben bereits – oder sind dabei, ein breiteres Monitoring über mehrere Kläranlagen zu implementieren.

Die Gesundheitsbehörden haben erkannt, dass wir Informationen liefern können, die bisher nicht zur Verfügung standen. Immerhin können wir – unabhängig von Corona-Tests – eine sehr große Zahl von Menschen erfassen. Damit können wir Puzzlestücke für das Pandemie-Management liefern.

Was ist das Ziel des Forschungsprojektes?

Letzten Sommer waren die Infektionszahlen sehr niedrig, und viele haben gehofft, dass die Pandemie vorbei ist. Auch in den Abwässern waren nur wenige Viren nachweisbar. Anfang September konnten wir aber bereits feststellen, dass die Zahl der Infektionen wieder im Steigen war.

Andererseits sieht man, wenn man einen lokalen Lockdown hat, wie etwa im Bereich von St. Wolfgang letzten Sommer, dass die Fallzahlen nach zwei Wochen auch im Abwasser zurückgehen. Damit weiß man, dass die Maßnahmen, die gesetzt wurden, tatsächlich gegriffen haben.

Infos zum Projekt

www.coron-a.at