55 Prozent der Teilnehmer an einer EU-weiten Umfrage fanden, dass Entscheidungen der EU-Regionalpolitik primär auf lokaler und regionaler Ebene fallen sollten.
© Fotos: European Union / Guerdin Solenn / Fred Guerdin

Europa

Nicht auf die Regionen und die Gemeinden vergessen

Die „19. Europäische Woche der Regionen und Kommunen“ ging Mitte Oktober in Brüssel über die Bühne. Sie ist die größte in Brüssel stattfindende Veranstaltung zum Thema Regional- und Kommunalpolitik in Europa. Gerade in Zeiten von Covid-19 und dem Kampf um einen Weg zurück in die Normalität darf nicht auf die Leistungen vergessen werden, die die EU für Europa vollbracht hat und die vor allem auch die Gemeinden Europas für die Menschen vollbracht haben.

Schon richtig, die EU hat so gut wie keine Kompetenzen in puncto Gesundheitspolitik, das ist vornehmlich Sache der Mitgliedstaaten. Aber der Unterstützung der EU ist es zu verdanken, dass mehr als ausreichend Impfstoff in relativ kurzer Zeit zur Verfügung stand. Und der EU ist es zu verdanken, wenn eine riesige Summe an Geld zur Verfügung stand und weiter steht. War es vor einem Jahr noch der echte Kampf gegen Covid, ist es heute mehr die Finanzierung des Wegs zurück in die Normalität. 

Normalität heißt in dem Zusammenhang aber auch, dass die lokale Ebene oft etwas zu kurz kommt. Oder, wie es Apostolos Tzitzikostas, seit 2020 Präsident des Ausschusses der Regionen (AdR) und Gouverneur der Region Zentralmakedonien und Vorsitzender des Verbands griechischer Regionen, etwas drastisch formuliert: „Manche Mitgliedstaaten vergessen auf ihre Regionen und Hilfe kommt deshalb manchmal nicht dort an, wo es sein sollte.“ Das bezieht sich vor allem auf den Weg zur Erholung, wo Gemeinden und Städte aus Sicht des AdR-Präsidenten viel zu wenig mit eingebunden sind. „Die 90.000 Städte und Gemeinden Europas waren beim Kampf gegen die Pandemie an vorderster Front, ohne sie hätten wir keine solchen Erfolge haben können. Es wäre sehr wichtig, dass sie nun auch für den Weg zur Erholung mehr mitreden können.“ Etwas, was laut Tzitzikostas nicht oder zu wenig passiert.

Apostolos Tzitzikostas
Apostolos Tzitzikostas, Präsident des AdR (oben), hielt eine bewegende Rede für mehr Gewicht der lokalen und regionalen Stimme in Europa. 

Lokale Ebene immer noch unterrepräsentiert

Die Präsentation des aktuellen „EU-Barometers 2021“ für die lokale und regionale Ebene legte deshalb den Fokus auf die Kommunikation zwischen Bürgern und der EU. Fast 3.300 Fragebögen wurden ausgefüllt und der Abschlussbericht, 27 nationale Informationsblätter und die Rohfassung sind seit dem 12. Oktober 2021 auf 170 Seiten öffentlich.

Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Fast zwei Drittel der Kommunalpolitiker (64 Prozent) sind der Meinung, dass der Einfluss der Regionen, Städte und Gemeinden in der EU-Politik nicht ausreicht.
  • Von den neun Themen, die während der Konferenz zur Zukunft Europas diskutiert wurden, fanden 61 Prozent der lokalen Politiker „eine stärkere Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit und Arbeitsplätze“ und „Klimawandel und Umwelt“ (59 Prozent) am wichtigsten, gefolgt von „Bildung, Kultur, Jugend und Sport“ (50 Prozent).
  • Zum Bekanntheitsgrad der „Konferenz zur Zukunft Europas“ und ihrer Beteiligung an antwortete die Hälfte der Politiker, dass sie sich des nicht ausreichenden Einflusses an EU-Entscheidungen bewusst sind (51 Prozent) gegenüber 46 Prozent, die sich dessen überhaupt nicht bewusst sind, während nur ein kleiner Teil aktiv tätig ist (drei Prozent).
  • Hinsichtlich der Zukunft der europäischen Demokratie stimmen zwei Drittel der Kommunalpolitiker zu, dass sie über ausreichende Informationen darüber verfügen, wie Demokratie auf EU-Ebene funktioniert – 66 Prozent gegenüber 32 Prozent, die anderer Meinung sind. Auf die Frage, was die Demokratie auf EU-Ebene verbessern könnte, antworten die meisten lokalen Politiker mit „Informationen über demokratische Systeme auf EU-, nationaler und subnationaler Ebene“ (90 Prozent), gefolgt von einer Stärkung der „Einbindung der subnationalen/lokalen Regierungsebenen in die EU-Entscheidungsfindung“ (86 Prozent) und von „Elementen der partizipativen Demokratie wie Versammlungen oder Ausschüsse“ („assemblies or panels“, 75 Prozent).
  • Schließlich befürworten die meisten Kommunalpolitiker im Hinblick auf ein bürgernäheres Europa die Unterstützung von „Partnerschaften zwischen Regionen und Städten zur Erleichterung von Bürgerkontakten“ durch die EU (52 Prozent), gefolgt von „Partnerschaften zwischen regionalen/lokalen Räten“ (46 Prozent) und „Informationen für bzw. Ausbildung lokaler Politiker“ (45 Prozent).

Aber die Gesundheitspolitik war nicht der einzige Punkt, um den es in dieser Woche ging. Auch der Green Deal, die Stärkung der „grünen Wirtschaft“ und der Kampf gegen die fortschreitende „digitale Entzweiung“ (digital divide) zwischen Land und Stadt waren Thema – und werden es weiter sein.

Die für Kohäsion und Reformen zuständige Kommissarin Elisa Ferreira erklärte: „Die Kohäsionspolitik stand während der Notphase der Pandemie im Vordergrund und ist erneut eine der wichtigsten Politiken für den Wiederaufbau in der EU. 

Die Instrumente der Kohäsionspolitik haben den Bürgern die notwendige Gesundheitsausrüstung zur Verfügung gestellt und kleinen Unternehmen überlebenswichtige Unterstützung gebracht und einen entscheidenden Beitrag zum digitalen und grünen Übergang der gesamten EU geleistet. Ich freue mich, dass diese Errungenschaften auch von den europäischen Bürgern zunehmend anerkannt werden. Territorium und Menschen müssen weiterhin im Mittelpunkt der Sanierungsbemühungen der Mitgliedstaaten stehen.“

19th European Week of Regions and Cities

Die „Woche der Regionen und Städte“ in Brüssel hat sich zu einer einzigartigen Kommunikations- und Networkingplattform entwickelt, die Regionen und Städte aus ganz Europa sowie deren politische Vertreter, Beamte, Experten und Wissenschaftler zusammenbringt.

Heuer waren es rund 12.000 Teilnehmer, die vor Ort oder via Livestreams mit den rund 1.000 Experten und Expertinnen in mehr als 300 Sessions debattierten, diskutierten  und in Workshops über erfolgreiche Wege und Projekte sprachen, um Europa wieder aufzubauen – wie es das Motto der Woche ausdrückt: „Together for recovery“ (Zusammen für Erholung).

Angelika Poth-Mögele
RGRE-Direktorin Angelika Poth-Mögele war nur eine der vielen Expertinnen und Experten, die bei der „Woche der Regionen“ sprachen und Stellungnahmen abgaben.