Kathrin Stainer-Hämmerle und Gerhard Friedrich
Kathrin Stainer-Hämmerle im Gespräch mit Gerhard Friedrich: „Ich glaube nicht, dass es der schmutzigste Wahlkampf aller Zeiten ist, aber er trägt aber auch nicht dazu bei, dass das Vertrauen in die Politik erhöht wird.“
© Jenia Symond

„Mobilisieren kann man vor allem mit Angst“

Bei der LSZ-Behördenkonferenz sprach Moderator Gerhard Friedrich mit der Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle über ihre Sicht des derzeitigen Wahlkampfes und wie man Populismus am besten bekämpft.

Gerhard Friedrich: Ist der Wahlkampf wirklich so dramatisch, wie vielfach getan wird?

Kathrin Stainer-Hämmerle: Natürlich kann sich bis zur Wahl noch einiges bewegen, das hat ja nicht zuletzt „Ibiza“ bewiesen. Aber wer die stärkste Partei und wer Bundekanzler wird, steht praktisch fest.

„Ibiza“ hat viel verändert – erstmals wurde ein Bundeskanzler abgewählt, erstmal ist eine Expertenregierung im Amt und wir haben die erste Bundeskanzlerin – aber auf das Ergebnis der Wahl wird das Video keine großen Auswirkungen haben.

Ehrlich gesagt, hoffe ich auch, dass es keine großen Auswirkungen hat – nicht, weil ich eine Partei unterstützen will, sondern weil große politische Wechsel kurzfristig immer dramatisch sind. Als Politikwissenschaftlerin interessiert mich ja nicht so sehr, was ein Spitzenkandidat gerade bei einem Fernsehduelle gesagt hat, sondern man betrachtet längerfristige Entwicklungen.

Ich glaube nicht, dass es der schmutzigste Wahlkampf aller Zeiten ist, aber er trägt aber auch nicht dazu bei, dass das Vertrauen in die Politik erhöht wird.

Vor der Nationalratswahl 2017 war das anders. Damals ließ sich messen, dass das Vertrauen in die Politik anstieg. Dieses Vertrauen wurde jetzt innerhalb kürzester Zeit wieder zerstört.

Welche Themen bestimmen den Wahlkampf? Dank Greta Thunberg ist ja der Klimaschutz in den Fokus gerückt. Migration war 2017 ein großes Thema. Was bewegt denn die Wähler wirklich, diese oder jene Partei zu wählen?

2017 war das Thema Zuwanderung und Integration dominierend. Das ist im aktuellen Wahlkampf nicht mehr der Fall.

Schon bei der EU-Wahl hat sich gezeigt, dass der Themenkomplex Klima- und Umweltschutz europaweit wichtiger geworden ist. Davon profitieren natürlich die Grünen und auch die Liste Jetzt, die aber trotzdem wenig Chancen hat, wieder in den Nationalrat einzuziehen.

Wie wichtig, das Integrationsthema ist, hängt auch davon ab, zu welcher Partei man tendiert. Für Wähler der FPÖ ist es nach wie vor ein entscheidender Faktor.

Die anderen Parteien versuchen wiederum ihre Themen zu pushen. So etwa die NEOS beim Thema Bildung, wo ihnen auch eine hohe Kompetenz zugeschrieben wird.

Es ist für jede Partei entscheidend zu analysieren, was sich die eigene Zielgruppe wünscht und mit welchem Thema man sie mobilisieren kann. Man muss auch wissen, wofür der eigene Spitzenkandidat steht und was er glaubwürdig vertreten kann. Damit ein Wahlkampf erfolgreich ist, müssen sich Themen und Spitzenkandidat matchen.

Früher waren viele Leute Stammwähler, und die Parteipräferenz wurde oft sogar auf die Kinder „vererbt“. Heute gibt es viel mehr Wechselwähler, und innerhalb einer Familie werden mehrere Parteien gewählt. Das macht Prognosen wahrscheinlich noch schwieriger.

Die Zahl der Stammwähler ist dramatisch eingebrochen. Die Meinungsforscher fragen immer wieder, wann man sich für eine Partei entschieden hat. Die meisten Leute antworten dann, dass sie sich schon vor Monaten festgelegt haben. Ich glaube, dass das meistens nicht stimmt und dass Wahlentscheidungen immer kurzfristiger fallen.

ÖVP-Klubobmann August Wöginger hat ja kürzlich bei einem Wahlauftritt gemeint, dass wer „bei uns am Tisch sitzt und unter unserem Dach schläft“, die ÖVP zu wählen hat. Und die Jugendlichen sollen nicht nach Wien gehen und „als Grüne zurückkommen.“ An so einer Aussage sieht man, was sich manche Parteien wünschen. In Wahrheit ist es genau umgekehrt, nämlich dass die Jugendlichen eher die Eltern beeinflussen.

Die Stammwähler sind verschwunden, weil es die Milieus nicht mehr gibt, sondern jeder Mensch viele Identitäten hat. Die Menschen sind nicht mehr nur Arbeiter oder nur Landwirte. Das hat sich aufgelöst.

Die traditionellen Parteien haben es nicht geschafft, ihr Angebot an die geänderten Voraussetzungen anzupassen. Sie versuchen es zwar, wirken dadurch aber oft sehr beliebig. Das lässt dann die Wählerinnen und Wähler noch mobiler werden.

Eine sehr mobile Gruppe sind beispielsweise Frauen im Alter von 30 bis 40 Jahren. Umso verwunderlicher ist es, dass ihnen in diesem Wahlkampf kaum ein Angebot gemacht wird.

Was bewegt die einzelnen Wählergruppen? Was motiviert sie, zur Wahl zu gehen?

In einem Wahlkampf geht es nicht darum, dass die Parteien einander viele Wähler abknöpfen.

Man kann prognostizieren, dass viele Grün-Wähler, die vor zwei Jahren zur SPÖ gewechselt sind, wieder zurückkehren werden. Denn damals ging es ja darum, wer Bundeskanzler wird, während es heuer kein Kanzlerduell gibt. Aber eine Wählerwanderung zwischen den Parteien hat kaum einmal eine Wahl entschieden.

Viel wichtiger ist es für die Parteien, die potentiellen eigenen Wähler zu den Urnen zu bringen. Dann gelingt weniger aufgrund sachlicher Debatten, sondern eher über Emotionen. Und in diesem Wahlkampf kommt noch dazu, dass die Parteien versuchen einander zu diskreditieren.

Interessanterweise schadete das nicht einer Partei, sondern allen. Mobilisieren kann man vor allem mit Angst und damit, dass man gegen etwas ist. Das versuchen derzeit alle Parteien.

Kathrin Stainer-Hämmerle und Gerhard Friedrich
Kathrin Stainer-Hämmerle: „Für die Parteien ist es vor allem wichtig, die potentiellen eigenen Wähler zu den Urnen zu bringen.“ Foto: Jenia Symonds

Ich höre immer wieder, dass es im Wahlkampf zu wenige Themen gibt. Das stimmt so nicht. Die Themen liegen durchaus auf dem Tisch, aber sie werden kaum wahrgenommen, weil sie auch medial nicht so gut ankommen wie Skandale.

Es gibt ein unglaubliches Angebot an TV-Duellen, dazu kommen noch Social Media. Auf welchen Medien können welche Inhalte kommuniziert werden?

Die vielen Fernsehauftritte schaut sich außer mir wahrscheinlich niemand an. Dennoch halte ich sie für gut, weil viele Menschen beim Durchzappen durch die Programme öfters einmal hängenbleiben. Und die Duelle sind durchaus auch Quotenhits.

Wenn man das Interesse an derartigen Formaten betrachtet, dann sind die Österreicherinnen und Österreicher keineswegs politikverdrossen.

Bei den Duellen ist weniger wichtig was gesagt wird, sondern wie die Duelle im Nachhinein in den Medien beurteilt werden, was kommentiert und was auf Social Media geliked wird.

Bei Letzterem ist zu beachten, dass nicht nur der ORF sein Monopol bei den TV-Duellen verloren hat, sondern dass journalistische Medien heute Konkurrenz von internetbasierten Informationsplattformen bekommen haben.

Die FPÖ hat ja sehr früh damit begonnen, auf Social Media zu setzten, weil man dadurch ungehindert mit den eigenen Wählern kommunizieren kann. Zuletzt hat man damit aber auch Probleme und man war in der FPÖ nicht mehr besonders glücklich, dass Heinz-Christian Strache ungefiltert an seine 800.000 Facebook-Freunde kommunizieren konnte.

Negativ an der Entwicklung weg von einem Informationsmonopol ist allerdings, dass die Polarisierung zunimmt. Die Bereitschaft zur gemeinsamen Weiterentwicklung des „Projekts Österreich“ in Form von konsensdemokratischen Institutionen – etwa der Sozialpartnerschaft oder der Großen Koalition – ist stark gesunken.

Die Gefahr der Radikalisierung besteht also. Das sehen wir nicht nur in Österreich, sondern in vielen europäischen Ländern.

Von vielen Seiten wird konstatiert, dass der Populismus zunimmt. Ralf Schuler von der Bild-Zeitung hat ein Buch zu dem Thema geschrieben. Darin meint er, dass Populismus nicht per se etwas Böses ist. Und er wirft den etablierten Parteien vor, dass sie Wähler ausgrenzen. Man sagt ja auch über Hillary Clinton, dass sie zu sehr auf einer intellektuellen Ebene agiert hat und zu wenig auf die realen Probleme der Wählerinnen und Wähler eingegangen ist. Was steckt hinter dem Populismus?

Man muss zwischen populär und Populismus unterscheiden. Dem Volk nach dem Maul zu reden ist populär, aber es ist noch nicht populistisch.

Zu den Merkmalen des Populismus gehört, dass gesellschaftliche Pluralität geleugnet oder abgelehnt wird. Populisten haben also ein antipluralistisches und antielitäres Weltbild. Das heißt, dass sie versuchen, zwischen „denen oben“ und „denen unten“ zu spalten. Und es wird auch strikt zwischen „innen“ und „außen“ unterschieden, also etwas das „eigene Volk“ und die „Fremden“ oder das „Volk“ und die „ Hautevolee“, wie es Norbert Hofer einmal genannt hat.

Wenn man über jeden patscherten Versuch, Stimmen abzuholen, sagt, dass das populistische Politik ist, dann verharmlost man den Begriff Populismus.

Populisten haben meist kein wirkliches Programm, sondern sie suchen die Lücken, die andere Parteien offenlassen.

In der Rhetorik zielen Populisten oft darauf ab, Gespräche zu zerstören. Das konnte man gut bei Donald Trump beobachten, wenn er während einer Diskussion begonnen hat herum zu spazieren oder wenn er Hillary Clinton als Schwätzerin bezeichnet hat.

Wenn sich Kandidaten nur mehr auf einer derart emotionalen Ebene matchen, dann kann Politik nicht mehr funktionieren.

Welche Maßnahmen gibt es dagegen?

Menschen, die populistische Politiker wählen, sind meist zukunftspessimistisch und fühlen sich übergangen.

Hier muss man ansetzen und vor allem jungen Menschen Selbstwertgefühl vermitteln. Menschen brauchen das Gefühl, dass ihnen zugehört wird, dass sie Einfluss nehmen können und dass sie einen Platz in der Gesellschaft haben.