Karl Nehammer
Karl Nehammer: „Alle, die Vollzeit arbeiten, sollen auch ein Recht auf Kinderbetreuung haben.“
© BKA / Andy Wenzel

Nationalratswahl

„Mein Ziel ist es, Steuern zu senken“

5. September 2024
Für Bundeskanzler Karl Nehammer bedeutet Wohneigentum Freiheit. Daher möchte er möchte er Eigentum einfacher verfügbar und leistbarer zu machen und lehnt Vermögens- und Erbschaftssteuern ab. Die Bürokratie hat seiner Ansicht nach zum Teil absurde Formen angenommen.

KOMMUNAL: Der Bodenverbrauch ist eines der großen Themen unserer Zeit. Die Gemeinden wissen, wie wichtig ein sparsamer Umgang mit dieser Ressource ist. Das war mit ein Grund, warum der Gemeindebund den „Bodenschutzplan“ ins Leben gerufen hat. Was halten Sie von diesem Plan? Und wie wichtig ist Ihrer Ansicht nach die künftige Rolle der Gemeinden, deren Raumordnungskompetenz in dieser Frage eine zentrale Rolle spielen wird?

Bodenschutz ist wichtig, das ist überhaupt keine Frage. Man muss das aber mit Maß und Ziel machen.

Der Bodenschutzplan des Gemeindebundes ist eine wichtige Initiative, die ich unterstütze, um den Bodenverbrauch zu reduzieren und die nachhaltige Nutzung dieser wertvollen Ressource zu fördern. Die Kompetenz dafür soll ganz klar in den Ländern bleiben. Die Gemeinden spielen eine zentrale Rolle, indem sie Maßnahmen zur Natur-, Umwelt- und Klimabewusstseinsbildung umsetzen und so den Klimaschutz aktiv fördern.

Bei den Gemeindefinanzen geht es ähnlich emotional zu. Viele Gemeinden können aktuell trotz Sparmaßnahmen und teils großzügiger Hilfen aus dem KIG immer öfter ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen, weil einfach kein Geld da sind. Die Teuerung, die hohen Standards und die Übertragung von Aufgaben ohne finanzielle Bedeckung tragen das ihre bei. Liegt die Lösung dieser Frage in mehr FAG-Mittel für die Gemeinden, der Ausschöpfung von Effizienzpotenzialen oder gar in der Einschränkung von kommunalen Leistungen?

In Summe fließen durch den Finanzausgleich bis 2028 jährlich durchschnittlich rund 2,4 Milliarden Euro mehr vom Bund an Länder und Gemeinden. Vor allem für Kinderbetreuung, Pflege und Gesundheit, Wohnen und Sanieren gab es erst im Juni die ersten 1,1 Milliarden Euro aus dem Zukunftsfonds für die Länder.

Ich verstehe aber, dass es bei vielen Gemeinden auch um kurzfristige Liquidität geht, weil die Grunderwerbsteuer und die Ertragsanteile stagnieren. Daher hat der Bund ein neues Gemeindepaket geschnürt. Durch das Paket fließen in Summe mehr als 1,3 Milliarden Euro in die österreichischen Gemeinden und Städte, wovon 920 Millionen Euro frische Mittel sind. Damit werden wichtige Impulse für die Wirtschaft lokal vor Ort geschaffen – und deshalb setze ich mit dem Kommunalen Investitionsprogramm auf ein bewährtes Instrument. Die neuen finanziellen Mittel sind ein wichtiger Beitrag zur Förderung von ökologischen und nachhaltigen Investitionen und der damit verbundenen Erreichung der Klimaziele.

Die Gemeinden wollen seit Jahren eine Neuordnung bei der Grundsteuer. Es dabei um eine wesentliche gemeindeeigene Einnahme – und durch die Inaktivität, was die Valorisierung betrifft, verlieren die Gemeinden rund 380 Millionen Euro pro Jahr. Um das auszugleichen, müsste die Grundsteuer um 30 bis 40 Prozent angehoben werden. Ist es aus Ihrer Sicht zulässig oder geboten, Steuern auch anzupassen?

Als Bundeskanzler spreche ich mich klar gegen neue und höhere Steuern aus. Mein Ziel ist es, Steuern zu senken und eine nachhaltige Entlastung der Bürgerinnen und Bürger bei Steuern und Abgaben zu erzielen. Besonders wichtig sind dabei auch Maßnahmen zum Erhalt der notwendigen Infrastruktur und für das gesellschaftliche Zusammenleben.

Klar ist auch, dass wir in Österreich viel zu viele bürokratische Hürden haben, die nicht zuletzt auch viel Geld kosten. Der Abbau dieser Hürden ist mit Sicherheit ein Schwerpunkt unserer Arbeit in den kommenden Jahren.

Was sind Ihre Ansätze, um die verzwickte Lage auf dem Immobilienmarkt zu entschärfen – gerade, weil viele Immobilien eher als Wertanlage behandelt werden. Wie wollen Sie diese Immobilien wieder mobilisieren und dadurch Eigentum wieder leichter und vor allem leistbarer zu ermöglichen?

Vor allem junge Menschen und Familien brauchen eine realistische Perspektive für ein Eigenheim, egal ob Wohnung oder eigenes Haus. Ich habe in meinem Österreichplan das Ziel formuliert, die Eigenheimquote in Österreich bis 2030 von 48 auf 60 Prozent zu heben.

Eigentum bedeutet Freiheit und jeder, der sich sein Eigenheim schafft, hat ein Stückchen mehr Freiheit für sich selbst gewonnen. Deshalb wollen wir in Österreich einen staatlich besicherten Wohnbaukredit einführen, zudem wollen wir Gebühren und Steuern beim Kauf des ersten Eigenheims streichen.

Die Gemeinden finanzieren zu hohen Anteilen die Spitalsversorgung und die ärztliche Versorgung am Land sowie die Pflege mit. Die Gemeinden schaffen oft und im Grunde immer über den gesetzlichen Rahmen hinaus die Grundlagen, um eine Landarztstellen nachzubesetzen. Das ist aber die Aufgabe und Kompetenz der Gesundheitskassen. Was ist Ihr Rezept, um die ärztliche Versorgung am Land sicherzustellen, ohne dabei die Gemeinden zu involvieren?

Die wohnortnahe medizinische Versorgung ist eines der wichtigsten Dinge. Die Bürger haben ein Recht darauf, dass es einen praktischen Kassenarzt in ihrer Nähe gibt. Deshalb wollen wir diese Versorgung ausbauen und stärken.

Bis 2030 soll es 800 zusätzliche Kassenarztstellen geben. Die ersten 100 haben wir schon ausgeschrieben und zum Teil besetzen können. Speziell dafür haben wir einen 100.000-Euro-Bonus geschaffen, ein Modell, das wir uns von den Gemeinden abgeschaut haben.  

Eine gesamtstaatliche Steuerungskompetenz für Facharztausbildungsstellen soll sicherstellen, dass ausreichend Fachärzte am richtigen Ort verfügbar sind. Zudem setze ich auf digitale Gesundheitslösungen und Telemedizin, um die Versorgung auch in entlegenen Gebieten sicherzustellen. Die digitale Erstabklärung beim Patienten – sei es per Telefon oder per Video – kann vieles bereits lösen und damit ein Überlaufen der Arztpraxen reduzieren.

In vielen Bereichen der öffentlichen Hand wird durch eine – bewusst oder unbewusst – selbstgemachte Überregulierung das Leben in den Gemeinden zunehmend erschwert und belasten die Gemeindeverantwortlichen mit teils enormen Haftungsrisiken. Wie wollen Sie diese Überregulierung in den Griff bekommen – und dabei vor allem die Gemeinden aus dem Spiel lassen?

Ich habe es vorhin schon gesagt: Die Überbürokratisierung ist wirklich ein Problem. Darum müssen und werden wir uns kümmern. Bürokratie belastet uns in vielen Bereichen und hat zum Teil höchst widersprüchliche und absurde Formen angenommen.

Durch Effizienzsteigerungen in der öffentlichen Verwaltung und bei öffentlichen Beschaffungen sowie durch die Entbürokratisierung der Genehmigungsverfahren sollen die Gemeinden entlastet werden und ihnen mehr Handlungsspielraum gegeben werden. Das gleiche Problem trifft ja auch viele Unternehmen, auch wir müssen etwas tun.  

Bei der Kinderbetreuung gibt es immer wieder Stimmen, die einen Rechtsanspruch wie in Deutschland fordern. Die Situation in Deutschland zeigt aber gerade auf, dass durch den Rechtsanspruch keine Plätze geschaffen werden, sondern nur der Kosten- und Belastungsfaktor massiv gestiegen ist. Braucht es in dieser Frage auch bei uns Zwang oder vertrauen Sie auf die bedarfsgerechten Lösungen, die die österreichischen Gemeinden seit vielen Jahren anbieten?

Für mich steht die Wahlfreiheit von Eltern im Vordergrund: Es geht darum, dass Frauen selbst entscheiden können, wie schnell sie nach der Geburt eines Kindes wieder in den Beruf einsteigen und wie ihr individuelles Familien- und Lebensmodell aussehen soll.

Die Frage, ob Eltern arbeiten gehen können, darf nicht an fehlender Kinderbetreuung scheitern. Alle, die Vollzeit arbeiten, sollen auch ein Recht auf Kinderbetreuung haben. Das halte ich schon für wichtig. Bis 2030 investieren wir deshalb 4,5 Milliarden Euro in die Kinderbetreuung in Österreich. Davon werden die Eltern, aber auch das pädagogische Personal profitieren.

Österreich bemüht sich seit der Nachkriegszeit, die Besiedelung und Bewirtschaftung des gesamten Landes sicherzustellen. Aktuell ist die flächendeckende Bereitstellung von Glasfaser einer der wesentlichen Infrastruktur-Herausforderungen. Was ist Ihr Modell, um zu einer vollflächigen Versorgung des Landes mit Glasfaser zu kommen?

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass eine funktionierende digitale Infrastruktur in unserer modernen und vernetzten Gesellschaft Grundvoraussetzung für ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben ist. Denn ob beruflich oder privat, ob für Netflix oder die eigene Unternehmensseite – jeder braucht schnelles Internet. Dafür stellen wir bis 2030 rund 2,4 Mrd. Euro zu Verfügung.

Derzeit ist in Österreich gigabitfähiges Internet mit Geschwindigkeiten von mindestens 1.000 Mbit/s für 72 Prozent der Haushalte verfügbar. Am Anfang der Legislaturperiode waren es nur 30 Prozent der Haushalte. Diesen erfolgreichen Weg möchte ich auch in den kommenden fünf Jahren fortsetzen.

Beim Mobilfunk zählt Österreich mit einer 5G-Outdoor-Verfügbarkeit bei 97 Prozent der Haushalte bereits heute zu den Spitzenländern in Europa. Ich setze also auch weiterhin auf den konsequenten Ausbau des Breitbandnetzes in ganz Österreich, insbesondere in ländlichen Regionen, um gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen zwischen Land und Stadt zu schaffen und die digitale Infrastruktur auszubauen. Für die letzten fehlenden Prozentpunkte der Abdeckung benötigen wir einen technologieneutralen Lückenschluss in der Versorgung mit gigabitfähigen Anschlüssen.

Zudem setze ich mich klar dafür ein, Eigentum einfacher verfügbar und leistbarer zu machen. Daher sage ich entschieden Nein zu Eigentumssteuern wie Vermögens- und Erbschaftssteuern. Der Staat muss Entlastung schaffen, anstatt die Bürgerinnen und Bürger weiter zu belasten.

Mein Ziel ist es, dass sich mehr junge Familien den Traum vom Eigenheim erfüllen können, denn leistbarer Wohnraum ist die Grundlage für ein gutes Familienleben.

Zur Unterstützung der kommunalen Gebietskörperschaft auf europäischer Ebene hat der Gemeindebund einen eigenen „EU-Kommissar für Gemeinden“ gefordert. Unterstützen Sie diese Forderung?

Es ist ohne Zweifel wichtig, dass wir starke und selbstbewusste Gemeinden in einem vereinten Europa haben und diese sich auch wahrgenommen fühlen müssen. Hierfür leisten unsere Europa-Gemeinderäte einen wertvollen Beitrag und gelten als Best-Practice-Beispiel für die gesamte Europäische Union. Mein Ziel ist es, diese Initiative weiter auszubauen und in möglichst allen Gemeinden Österreichs zu verankern, um die wirksame Brücke zwischen den Institutionen der EU und den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger vor Ort stärker auszubauen.

Die vorgeschlagene stärkere Verankerung bzw. Berücksichtigung der Gemeinden in den Portfolios der Kommissarinnen und Kommissare der zukünftigen Europäischen Kommission könnte diesen Weg ebenfalls positiv unterstützen.

Was ist ihrer Ansicht nach die künftige Rolle der Gemeinden im österreichischen Staatsgefüge?

Die Gemeinden sind die Keimzelle der Demokratie, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister die wichtigsten und bürgernächsten Vertreter der Menschen. Und der ländliche Raum ist zentrales Element unserer Identität, Kultur und Traditionen. In den Gemeinden gibt es ein Gefühl von Heimat und Sicherheit. Das heißt auch, dass wir mit gezielten Maßnahmen die Lebensqualität im ländlichen Raum verbessern und die Ortskerne als Herzstücke unserer Gemeinden bewahren wollen. Jeder Bürgermeister, jede Bürgermeisterin, ist zu Recht stolz darauf, wenn der eigene Ortskern das Schmuckkasterl der Gemeinde ist.