Gemeindebund-Generalsekretär Walter Leiss
Walter Leiss: „War der Lockdown alternativlos? Oder hätte man einen Kollaps des Gesundheits-systems auch mit milderen Maßnahmen verhindern können? Im Nachhinein kann man solche Fragen immer stellen.“

Entscheidungen waren notwendig

Mit den ersten Covid-19-Fällen in Frankreich und Italien war die Pandemie auch in Europa angekommen. Von den einzelnen Bundesregierungen waren rasche Entscheidungen gefragt – ohne faktenbasierte Grundlagen und ohne die Auswirkungen im Einzelnen zu kennen. Ein Lockdown wurde beschlossen, Ausgangssperren verhängt und die Wirtschaft heruntergefahren. Die Unsicherheit war groß, aber entschieden werden musste trotzdem. Andere Länder haben sich mehr Zeit gelassen. Die Auswirkungen sind ersichtlich.

Die Ausgangssperre ist nun abgelaufen, seit 1. Mai gilt die „Corona-Lockerungsverordnung“, die zumindest eine teilweise Rückkehr zur Normalität verspricht – und noch immer sind so viele Fragen offen: War der Lockdown alternativlos? Oder hätte man einen Kollaps des Gesundheitssystems auch mit milderen Maßnahmen verhindern können? Wie gefährlich ist das Coronavirus nun wirklich? Jetzt, nachdem schon einige Zeit vergangen ist, kann man natürlich diese Fragen stellen.

Sicher wird es, solange es keine wirksame Impfung gibt und auch danach, viele Diskussionen geben. Selbst seriöse Wissenschaftler sind sich nicht einig. Zu diesem Zweck hat etwa science.ORF.at vier Fachleute aus den Bereichen Epidemiologie, Infektionsmedizin und Biostatistik kontaktiert – und ihnen die Gretchenfrage gestellt: Ist Covid-19 mit der Grippe vergleichbar?

Unterschiedliche Meinungen der Experten über die Gefährlichkeit von Corona

Die Antworten fielen höchst unterschiedlich aus. Sie reichen von: „Der Vergleich ist notwendig und erhellend“ bis hin zu: „Die Dunkelziffern sind unbekannt, ein Vergleich erübrigt sich.“ Das liegt auch daran, dass man die Frage eigentlich spezifischer stellen müsste. Der deutsche Virologe Christian Drosten betonte kürzlich in einem ZIB-2-Interview, dass es sich bei Covid-19 keinesfalls um eine neuartige Grippe handle, sondern um eine Krankheit, die „20 bis 30 Mal“ gefährlicher sei.

Der Informatiker und Biostatistiker Bernhard Pfeifer erstellt für die Tiroler Kliniken Modelle, mit deren Hilfe er die Auslastung von Krankenhausbetten vorhersagt. Vergleiche zwischen Grippe und Covid-19 hält auch er für zulässig, betont aber: „Die Grippe ist nicht so gut erforscht, wie man meinen sollte. Was die Sterblichkeit anlangt, gibt es viele Unsicherheiten.“ Erhellend sei die Gegenüberstellung insofern, als dadurch die Besonderheit von Covid-19 sichtbar werde. Das sind aus Sicht des Modellforschers drei Eigenschaften: Gegen Covid-19 gibt es keine Impfung, der Erreger SARS-CoV-2 ist so gut wie für jeden und jede ansteckend – und vermehrt sich außerdem rasant.

Regierung musste Entscheidungen treffen

Wenn die Experten uneins sind in ihrer nachträglichen und aktuellen Beurteilung, wie kann man von der Regierung erwarten, dass nur die richtigen Entscheidungen getroffen werden?

Die Unsicherheiten werden uns noch lange begleiten. Unterschiedliche Meinungen und Analysen wird es geben, allen gemeinsam, dass man im Nachhinein bessere Daten zur Verfügung hat, die Auswirkungen besser beurteilen kann und dann natürlich sagen kann was man hätte besser machen können. Maßgeblich ist allerdings, dass schon zu Beginn Entscheidungen getroffen werden mussten.

Prognosen der Wirtschaftsforscher ändern sich laufend

Dass neben den gesundheitlichen Folgen für unser Land nun auch wirtschaftliche Folgen zu erwarten sind, war von vornherein allen bewusst. Über das wahre Ausmaß ist man sich aber bis heute nicht im Klaren.

Mitte März ging Wifo-Chef Christoph Badelt noch davon aus, dass Österreichs Wirtschaftsleistung im ersten und zweiten Quartal mit Sicherheit schrumpfen wird. Das wäre eine sogenannte technische Rezession (zwei Quartale mit Minus in Folge).

Schon Ende April gab es ganz andere Prognosen. „Die Coronavirus-Pandemie bringt Österreich einen historischen Einbruch der Wirtschaft, ein ebenso historisch hohes Budgetdefizit und auch historisch hohe Arbeitslosenzahlen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) prognostiziert für heuer einen Einbruch der Wirtschaft von 5,25 bis 7,5 Prozent. Das Budgetdefizit wird sich demnach auf 7,5 bis zehn Prozent belaufen“, so Badelt in der „Kleinen Zeitung“ am 23. April 2020.

Noch düsterere Prognosen kommen von der EZB, die für das schlimmste Szenario von einem Minus von zehn bis zwölf Prozent für das BIP ausgeht. Das soll keine Kritik an den Wirtschaftsforschern sein. So schwierig Prognosen für die Zukunft schon unter „normalen“ Bedingungen sind, so zeigt sich hier, wie schwierig die Erstellung von Prognosen unter den derzeitigen Umständen ist. Hier gilt dasselbe wie bei den gesundheitlichen Folgeabschätzungen – im Nachhinein weiß man es immer besser.

Mussten uns vom Stabilitätspakt verabschieden

Die BIP-Prognosen hängen natürlich direkt mit den geschätzten Steuereinnahmen zusammen. Ging man zu Jahresbeginn noch von einer Weiterführung des Budgetpfades mit einem Überschuss und weiterem Schuldenabbau aus, ist dies längst kein Thema mehr. Vom Stabilitätspakt mussten wir uns genauso verabschieden wie von der Erfüllung der Maastricht-Kriterien. War vor einer Woche im Rahmen der beamteten ÖKK-Runde noch von einem Minus der Ertragsanteile von 4,2 Prozent die Rede, sind wir diese Woche schon bei einem Minus von 7,3 Prozent.

Zum Vergleich: Im Jahr 2019 gingen noch rund elf Milliarden Euro an die Gemeinden. Dazu kommt noch das Minus bei der Kommunalsteuer für jene Gemeinden die über ein Kommunalsteueraufkommen verfügt haben. Aufwendungen für Personal im Kindergarten und in der Schule standen keine Einnahmen gegenüber. Das Wegbrechen der Einnahmen im Dienstleistungs- und Wirtschaftsbereich der Gemeinden belastet die Gemeindebudgets genauso. Befürchtungen werden auch schon laut, dass die Umlagen (Krankenhaus, Sozialhilfe) steigen werden.

Auch hier gilt: Dass sind alles nur Prognosen, Exakt wissen werden wir es am Ende des Jahres.

Sicher und schon spürbar sind hingegen die Einbrüche bei den Vorschüssen zu den Ertragsanteilen beginnend ab April und das Minus bei der Kommunalsteuer. Hier bedarf es entsprechender Unterstützung für die Gemeinden: ein kommunales Investitionspaket und Möglichkeiten, wie Liquiditätsprobleme beseitigt werden können. Das hat auch das Präsidium des Gemeindebundes in einer Resolution zum Ausdruck gebracht. Der Bund und die Länder sind gefordert, hier ihren Beitrag zu leisten, um die Unsicherheiten zumindest abzumildern. Entscheidungen sind auch hier trotz Unsicherheit gefragt. Die genauen Folgen werden wir sowohl bei der Pandemie als auch bei den Finanzen allerdings erst im Nachhinein feststellen können.