Hannes Heide
Hannes Heide: „Wenn der Rechtsstaat in Frage gestellt wird, wenn Gewaltentrennung, Pressefreiheit, kulturelle Freiheiten in Frage gestellt werden, sind das Themen, wo die Wählerinnen und Wähler entscheiden müssen, in welche Richtung sich diese Europäische Union entwickeln wird.“
© Daniel Leitner

„Diese EU-Wahl wird eine Richtungswahl“

Hannes Heide, seit langen Jahren Bürgermeister von Bad Ischl, ist ein ausgewiesener Kenner der kommunalen Materie und ein Experte im Kulturbereich. Jetzt ist er Kandidat der SPÖ für die EU-Wahl.

Herr Bürgermeister, wo liegt aus Ihrer Sicht die Bedeutung der EU-Wahl? Vor allem, wenn Sie an die Wahlbeteiligung denken.

Hannes Heide: Es ist tatsächlich auffällig, dass bei den vergangenen EU-Wahlen die Beteiligung sehr gering war. In Oberösterreich waren es 45 Prozent, in meiner Heimatgemeinde Bad Ischl waren es vor fünf Jahren nur 38 Prozent, und das, obwohl die Wahl zum europäischen Parlament eine ganz wichtige ist.

Es ist nun mal so, dass alles, was das Europäische Parlament beschließt, Auswirkungen auf die Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen hat. Das ist aber oft nicht im Bewusstsein.

Als Bürgermeister ist mir das ganz wichtig, weil ich das europäische Projekt für eines der Wichtigsten und Bedeutendsten in unserer Geschichte halte. Es hat dazu beigetragen, dass es auf unserem Kontinent zu Wohlstand und entsprechendem Fortschritt gekommen ist. Es ist eine ganz, ganz wichtige Wahl. Unterstrichen wird das ja auch durch das, was rund um den Brexit passiert, der für Ende des Monats angekündigt ist, wo man aber gar nicht weiß, wie sicher das alles ist. Ich bin auch überzeugt, dass alles, was de EU-Skeptikerinnen und Skeptiker ins Treffen geführt haben, dort ad absurdum geführt werden wird. Man wird aber sehen, wie die Auswirkungen sind – und das ist sicher auch ein Faktor für die Wahlbeteiligung.

Ich gehe davon aus, dass es eine zusätzliche Motivation für die Bürgerinnen und Bürger, für die Wählerinnen und Wähler ist, zur Wahl zu gehen.

Vor einigen Wochen ist eine Untersuchung des Eurobarometers veröffentlicht worden, wonach mehr als 60 Prozent der Österreicher für das Projekt EU Zustimmung signalisieren. Wie geht das mit der geringen Wahlbeteiligung unter einen Hut?

Es wird eine der Hauptaufgaben der Politik sein, auf die Bedeutung der Wahl hinzuweisen. Es gibt ja auch schon Anzeichen, dass die EU-Wahl eine Richtungswahl sein wird.

In unseren Nachbarländern gibt es Entwicklungen, die sehr kritisch zu sehen sind. Wenn der Rechtsstaat in Frage gestellt wird, wenn Gewaltentrennung, Pressefreiheit, kulturelle Freiheiten in Frage gestellt werden, sind das Themen, wo die Wählerinnen und Wähler entscheiden müssen, in welche Richtung sich diese Europäische Union entwickeln wird.

Es ist ein großes historisches Projekt. Deutschland und Frankreich, die über Jahrhunderte sowas wie Erzfeinde waren, haben sich in Europa gefunden. Ein Krieg zwischen diesen Partnern, wie er so oft stattgefunden hat, ist heute nicht mehr vorstellbar. Oder die Benelux-Länder, die vor 70 Jahren von den Nationalsozialisten überrannt wurden, haben ein demokratisches Selbstbewusstsein und bringen das auch in die EU ein.

Auch wenn man schaut, wo es nach dem Krieg Militärdiktaturen gab: Griechenland, Spanien, Portugal – heute alles starke Demokratien im Rahmen der EU, die ihren Beitrag leisten. Oder Irland, einst das Armenhaus Europas, ist heute ein prosperierendes Land.

Aus meiner Sicht kann es nicht sein, dass man versucht, das Rad der Zeit zurückzudrehen! Vor allem die Länder im ehemaligen Ostblock versuchen, Entwicklungen in Gang zu setzen, die nicht im Sinne des europäischen Gedankens sind. Es kann auch nicht sei, dass die österreichische Politik sagt, wir nähern uns eher diesen Ländern an als jenen, die für eine konsequente Weiterentwicklung der Demokratie sind.

Wie könnte oder sollte die EU und die Gesellschaft tun, um dieses Auseinanderdriften zu verhindern?

Ich merke in meinen Gesprächen mit den Menschen, dass es hier eine hohe Sensibilität gibt. Der Zuspruch zu diesen Entwicklungen ist nicht sehr hoch und es wird ganz wichtig sein, das auch zu thematisieren.

Ich bin auch überzeugt, dass das, was in Großbritannien passiert ist, unter anderem zu der hohen Akzeptanz der EU in Österreich geführt hat.

Nach der Brexit-Entscheidung der Briten war ja bei uns auch kurz der Öxit in aller Munde. Innerhalb kürzester Zeit hat sich dann gezeigt, dass es so einfach nicht ist. Europa braucht sich untereinander, weil die großen europäischen Probleme nur gemeinsam zu lösen sind.

Da spreche ich gerade und in erster Linie die Flüchtlingsproblematik an. In Italien hat man ja gesehen, was passiert, wenn man ein Land allein lässt. Es kann in so einem Fall zu Regierungsbildungen kommen, die nicht im Sinne eines vereinten Europas sind.

Ist die Migration ein Hauptauslöser für solche Entwicklungen? Vor einigen Monaten meinte unser ehemaliger Bundespräsident Heinz Fischer, dass „politische Systeme nach einer gewissen Zeit unter Abnützungserscheinungen“ beziehungsweise „partielle Demokratiemüdigkeit“ leiden könnten.

Ich bin der Überzeugung, dass es einen Gegentrend zur Demokratiemüdigkeit gibt. Man merkt das bei Jugendlichen, die ja am wenigsten EU-skeptisch sind, die die EU am meisten befürworten. Die sind vielleicht auch diejenigen, die nach den Brexit-Diskussionen jetzt ganz sicher sensibilisiert sind und die – und darauf hoffe ich – jetzt zu den Urnen geht und ein entsprechendes Zeichen setzen. Es geht ja auch um ihre Zukunft. 

Sollte man die Jungen verstärkt nach Brüssel bringen, damit sie einen Blick hinter die Kulissen machen können? Also schon in der Schule Europa kennenlernen.

Absolut. Alles, was das Geschichtsbewusstsein der Jugend fördert, ein Bewusstsein, dass nicht alles selbstverständlich ist, fördert, ist wichtig.

Auch in den Schulen sollte viel mehr politische Bildung unterrichtet werden, das wäre für die Zukunft auch Europas ein wichtiger Schritt.

Die Migration ist einer der größten Diskussionspunkte in Europa. Vor allem die Dublin-Regelung wird von vielen in Frage gestellt, weil gerade die Länder an den Rändern dann mit einer riesigen Belastung übrigbleiben. Sollte man die Dublin-Regel nicht überdenken?

Mein Wissenstand aus Gesprächen mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments ist der, dass es fixfertige Konzepte gibt und beschlussreife Anträge, die dafür sorgen würden, dass Europa die Flüchtlingsproblematik lösen kann.

Ich habe allerdings den Eindruck, dass es politische Kräfte gibt – durchaus auch in Österreich – die genau das nicht wollen, weil solange es eine Flüchtlingsproblematik gibt, kann man Menschen mobilisieren, kann man dieses Thema immer wieder in den Mittelpunkt bringen. Es passiert ja schon, allein um andere Themen zu übertünchen.

Wenn man nach Ungarn schaut, da werden mit dem Thema Wahlen gewonnen, da verlassen auch tausende Ungarn das Land, weil es dort keine positive Entwicklung mehr gibt und keinen Wohlstand, der den Menschen zu Gute kommt. Letztlich war ja auch die Frage der Migration bei der Brexit-Abstimmung entscheidend, wo es sogar zu Übergriffen auf polnische Einrichtungen gegeben hatte. Das darf es in einem Europa im 21. Jahrhundert ganz sicher nicht geben.

Ich bin fest davon überzeugt, dass das Problem Migration und Flüchtlinge lösbar ist, wenn es eine gemeinsame Kraftanstrengung in Europa gibt.

Gerade die Boulevardmedien spielen da eine Rolle, die oft aus Auflagegründen gezielte Desinformation verbreiten.

Jüngstes Beispiel ist die EU-Trinkwasserrichtlinie, wo ja noch alles offen ist. Trotzdem wird geschrieben, dass jeder Wirt ein Glas Gratis-Leitungswasser bereitstellen soll. Wie bringt man eine Diskussion auf eine sachliche Ebene, wenn derart mit Emotionen gespielt wird?

Das ist die Aufgabe derjenigen in den Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit der Kommission oder im europäischen Parlament.

Meine Einschätzung ist leider so, dass vielen Menschen bei uns denken, Entscheidungen in Brüssel sind sehr weit weg und betreffen uns nicht. Es wird einer unserer Hauptaufgaben sein, diese Dinge in die Medien zu bringen und entsprechend zu kommunizieren.

Besonders die Tatsache, dass Brüssel zwar eine Richtung vorgibt, die Umsetzung aber nationale Angelegenheit ist, scheint nicht überall bekannt zu sein?

Das merke ich auch in vielen Gesprächen. Die EU gibt Rahmenrichtlinien vor und trotzdem hat man den Eindruck, dass andere Länder da gar nicht dabei sein dürften, weil die das ja ‚gar nicht so vollziehen können‘, auch wenn sie wollten. Man muss schon ganz klar vermitteln, dass es Möglichkeiten innerhalb der Richtlinien gibt, in denen man sich bewegen kann. Hier gibt es leider noch sehr viel Unwissen. Plakativ formuliert: Die EU muss spürbar werden.

Ich verstehe das aber auch als Aufruf an die Medien, dass Abgeordnete zu Europäischen Parlament mit ihren Botschaften auch Platz finden. Es müsste mehr sachliche Diskussionen geben und nicht immer die Botschaften emotionalisiert werden.

Eine lebendige Demokratie lebt ja gerade von solchen Diskussionen und gerade das Europäische Parlament hat hier in den vergangenen Jahren viel Selbstbewusstsein gewonnen und viele Entscheidungen nicht im Sinne der Kommission getroffen.

Das erinnert aber etwas an das föderale System Österreich, dass bei allen Stärken auch Fehler hat. Beispielsweise wenn eine sinnvolle Richtlinie in neun verschiedene Richtungen ausgearbeitet werden. Macht sowas nicht den ganzen Vorteil zunichte?

Ich verspüre schon den Trend, das nicht nur in Europa immer öfter Grenzen wieder hochgefahren werden, was ganz sicher kein guter Weg ist.

Zwei Fragen zum Abschluss: Was werden Ihre Schwerpunkte im Europäischen Parlament sein und werden sie weiter als Bürgermeister amtieren?

Das ist im Vorfeld ganz schwer zu sagen. Zuerst muss gewählt werden und das Ergebnis abgewartet werden. Ich komme klar aus der Kommunalpolitik und habe viel Erfahrung in der Regional- und Stadtentwicklung und ich kenne die Interessen der Kommunen nach zwölf Jahren im Amt gut.

Ich kenne aber auch den Kulturbereich sehr gut, weil ich in diesem Bereich gearbeitet habe. Es gibt viele Themen, wo ich meine Kompetenzen einbringen könnte.

Auch mein Verbleib im Bürgermeisteramt hängt vom Wahlergebnis ab und welche Schwerpunkte nachher gesetzt werden. Letztlich hängt das alles davon ab, wie die Wahl ausgeht.

Zur Person

Hannes Heide (SPÖ) ist seit 2007 Bürgermeister von Bad Ischl. Er war unter anderem Geschäftsführer der Kulturplattform Bad Ischl (1994 – 2003) und lange Zeit Geschäftsführer der Lehar-Theater GesmbH.