
„Ich gebe mich so, wie ich bin“
Der 43-jährige Herbert Pfeffer aus dem niederösterreichischen Traismauer ist ein Ortschef, wie man sich ihn vorstellt: Mit Leib und Seele Bürgermeister und für seine Gemeinde da.
Ihre Eltern arbeiteten für die Konsumgenossenschaft. Inwieweit wuchsen Sie mit der Idee der Arbeiterbewegung und des Sozialismus auf? Hat es Sie geprägt, oder spielte das für Sie keine Rolle?
Es hat für mich sogar eine sehr markante Rolle gespielt. Nicht nur wegen meiner Eltern, sondern schon wegen meiner Großeltern väterlicherseits. Aus der Arbeiterfamilie heraus, war es eine prägende Kindheit, zum Positiven hin. Ich habe durch die sozialen Einstellungen und Werte, die ich zuhause vermittelt bekommen habe, meine Zukunft geschaffen.
Mit elf Jahren sind sie am bis heute unheilbaren Morbus Crohn erkrankt. Schränkt Sie das bei ihrer Bürgermeistertätigkeit irgendwie ein?
In der Tätigkeit meines Bürgermeisteramtes nicht. Ich bin mit elf Jahren daran erkrankt, und damals war das noch nicht so erforscht wie heute. Es hat für mich allerdings sehr, sehr lange gedauert bis ich mit dieser Krankheit habe umgehen können. Ich habe sicher 15 bis 20 Jahre gebraucht, bis ich letztendlich gelernt habe mit der Krankheit in vollem Umfang zu leben und auch auf die Krankheit zu hören. Das war ein sehr langer und schwieriger Prozess. Gerade als Kind hat man in seiner Entwicklung ganz andere Bedürfnisse, und wenn man dann gesundheitlich so eingeschränkt ist, wie ich es war, hat das natürlich auch Auswirkungen für die weitere Entwicklung auf allen Ebenen.
Ich bin mit elf Jahren ins Gymnasium gegangen, doch als ich krank wurde, bin ich über ein halbes Jahr im Krankenhaus gewesen und habe in der Schule lange Zeit gefehlt. Deshalb habe ich die zweite Klasse wiederholen müssen. Ich war gesundheitlich immer wieder belastet, sodass ich infolge dessen die Schule abgebrochen habe. Ich habe mit dem Gymnasium nach der sechsten Schulstufe aufgehört, und begonnen einen Lehrberuf zu erlernen, habe aber auch da immer wieder gesundheitliche Probleme gehabt. In Summe bin ich dreimal am Darm operiert worden, habe aber erst seit der letzten Operation, mit den Medikamenten, die ich jetzt nehme, und mit der jetzigen inneren Einstellung erst so richtig den Umgang mit der Krankheit gelernt und kann auch auf innere Zeichen hören. Nun habe ich es aber sehr gut im Griff.
Wenn man so ein Handicap hat, prägt das die Entwicklung und die Persönlichkeit. Ich hatte einmal eine Notoperation, und Glück dass ich überlebt habe. Als ich auf der Intensivstation aufgewacht bin, sagten mir die Ärzte, dass man einige Stunden später wohl nichts mehr für mich hätte tun können. Wenn man das selbst durchgemacht hat, dann sieht man viele Dinge im Leben ganz anders.
Sie arbeiten auch beim Samariterbund in Traismauer. War ihre eigene Krankengeschichte auch mit ein Grund, dass Sie sich entschieden haben, dieses Amt auszuüben?
Menschen sind mir immer sehr wichtig gewesen. Ich war als Kind schon ein sehr geselliges Wesen und habe niemals Berührungsängste mit Menschen gehabt. Für mich lag mein Traumberuf schon immer im medizinischen Bereich. Mit 18 Jahren habe ich mich ehrenamtlich beim Rettungsdienst gemeldet und hatte in weiterer Folge auch beruflich damit zu tun. Das hat mir sehr viel Freude bereitet, mit allen Höhen und Tiefen, die so ein Beruf im Rettungsdienst mit sich bringt. Ich bin 19 Jahre lang als Sanitäter im Notarztwagen in St. Pölten mitgefahren und war in Traismauer in der örtlichen Rettungsstelle sehr aktiv, davon zehn Jahre auch als Obmann. Menschen zu helfen war für mich immer sehr wesentlich und bereitet mir auch sehr viel Freude.

Merken Ihre Bürger, wenn sie die Rettung rufen, dass der Bürgermeister kommt? Werden Sie erkannt?
Ja, freilich. Ich bin jetzt aufgrund meines Amtes nicht mehr so aktiv im Rettungsdienst. Das ist leider stark ins Hintertreffen geraten, und das tut mir persönlich auch sehr leid. Wenn ich allerdings Dienst habe, mache ich das aber als Mensch und Sanitäter und das muss man klar trennen.
Sie spielen seit über 20 Jahren auch Theater. Was reizt Sie denn daran?
Zum Theaterspielen bin ich als junger Bub gekommen. Da hat man mich einmal gefragt, ob ich mitspielen möchte, so mit elf, zwölf Jahren. Ich habe erstmal ein bisschen in eine Kinderrolle hineingeschnuppert, und dann hat sich das immer wieder ergeben. Die Theatergruppe, bei der ich mitspiele, hat auch immer einen Zweck gehabt. Anfangs haben sich engagierte Leute vom SC Fußball gefunden, und der Reingewinn kam dem örtlichen Fußballverein zugute. Irgendwann hat sich das allerdings zerschlagen. Nach drei Jahren Spielpause war es dann so, dass die Rettungsstelle in Traismauer neu gebaut wurde, und ich habe versucht, Gelder aufzutreiben um auch einen Beitrag zu leisten. So habe ich die Theatergruppe wieder zurück ins Leben gerufen. Damals, 2003, war die Idee einmal zur Mitfinanzierung der Rettungsstelle zu spielen. Aus diesem einmaligen Spielen ist eine Dauerinitiative geworden und seither spielen wir jedes Jahr in Traismauer für die hiesige Rettungsstelle.
Es gibt einen alten Kern an Darstellern und immer wieder junge Kollegen, die dazu stoßen. Der Gründer der Theatergruppe war ein sehr guter Freund meines Vaters. Das war auch derjenige, den ich 2003 als ersten angesprochen habe. 2008 ist er leider und ganz plötzlich an Leukämie verstorben. Das Stück war fertig einstudiert. Die Generalprobe haben wir noch gespielt, und dann mussten wir plötzlich die Theateraufführungen absagen, weil er krank geworden ist. Den Kampf gegen den Krebs hat er leider verloren. Ich habe ihm allerdings versprochen, dass wir das Theaterstück spielen, das wir uns vorgenommen haben. Auch ohne ihn. Das war sein Wunsch, weil es auch ein Wunschstück von ihm war. Zu diesem Zeitpunkt haben wir auch die Theatergruppe umbenannt. Früher war es die Theatergruppe des Samariterbundes, jetzt heißt sie „Schöffl's Theatergruppe“, denn er hieß Herbert Schöffl. Seither spielen wir unter diesem Namen für den Samariterbund. Er war eine sehr wichtige Person in meinem Leben.
Sie leben seit sechs Jahren mit ihrem Lebensgefährten zusammen. War das ein Thema in Traismauer? Oder ist die gesellschaftliche Entwicklung tatsächlich schon so weit, dass das für die Bevölkerung keine besondere Relevanz besitzt? Haben Sie da mit Vorurteilen zu kämpfen gehabt?
Also in meiner persönlichen Wahrnehmung nicht. Ich war selbst überrascht, dass das kein Thema ist und kein Thema war. Ich bin 2008 Vizebürgermeister geworden. Da war es eher die Opposition, die versucht hat das ein bisschen aufzugreifen, und der Gesellschaft vor Augen führen wollte, dass das einfach nicht sein kann, und man das nicht einfach so hinnehmen darf. Das hat sich dann aber wieder gelegt und wurde nur 2010, als ich Bürgermeister wurde, nochmals kurz thematisiert. Aber immer nur vom politischen Gegner, wenn ich das so sagen darf. Immer wieder, wenn man mir sachlich nicht ankann, versucht man mich zu treffen und zu beleidigen. Dann kommen leider untergriffige Meldungen, die ich gar nicht kommentiere, und die ich kaum mehr wahrnehme. Als ich mich geoutet habe, war ich 26 Jahre alt. Das ist also schon lange her, und ich habe damals den Entschluss gefasst, dass ich mein Leben so leben möchte, wie ich bin. Ich will mich nicht verstecken, und ich möchte in Traismauer, der Stadt in der ich aufgewachsen bin, der Stadt die ich so mag, und in der ich mich wohl fühle, so geben wie ich bin. Die Menschen sollen mich so kennen wie ich bin. Natürlich soll auch meinen Lebenspartner, der ja auch an meinem Leben teilhaben möchte, der ein Teil von mir ist, gesellschaftlich integriert sein. Das war aufgrund meiner politischen Entwicklung auch ganz, ganz wichtig. Wir haben uns kennengelernt, als ich noch Vizebürgermeister war. Die Menschen in Traismauer haben das gewusst und akzeptiert. Auch weil wir zu Anlässen in der Öffentlichkeit gemeinsam gehen. Ich bin einer, der sehr viel an Veranstaltungen und am öffentlichen Leben teilnimmt. Nicht nur, weil ich es als Bürgermeister tun muss, sondern weil ich immer schon einer war, der gern fortgegangen ist. Ein Lebemensch, ohne das jetzt negativ zu verstehen. Bei diversen Veranstaltungen ist mein Freund immer wieder mit dabei und gehört einfach dazu. 2010 bin ich Bürgermeister geworden, weil mein Vorgänger zurückgetreten ist. Ich habe das Amt nach der Gemeinderatswahl übernommen, und bin „nur“ durch die konstituierende Sitzung des Gemeinderates gewählt worden. 2015 habe ich mich allerdings der Wahl gestellt, vier Mandate dazugewonnen und die absolute Mehrheit zurückgewonnen. Ich denke, das zeigt, dass die Bevölkerung die Arbeit und den Menschen schätzt, und nicht im Vordergrund steht, was er privat tut und wie seine sexuelle Neigung aussieht. Außerdem glaube ich, dass, wenn ich ehrlich bin, und ich den Mut habe das auch zu leben, es zeigt, dass ich andere Menschen schätze und respektiere, und auch niemandem etwas vormache, sondern dazu stehe, wie es ist.
Können Sie ein Thema nennen, demgegenüber sich Ihre Einstellung durch das Bürgermeisteramt verändert hat?
Für mich ist wesentlich, dass man Menschen nicht nur zuhört, sondern sie auch versteht. Das ist oft schwierig. Ich habe über die Parteigrenzen hinweg gelernt herauszufinden, was die Menschen wirklich bewegt. Dazu bin ich in meiner Entscheidungsfindung immer auf die Menschen zugegangen. Nicht nur bei der eigenen politischen Fraktion, oder bei den politischen Vertretern im Gemeinderat, sondern auch bei der Bevölkerung. Ich habe Sprechstunden etc. gemacht und versucht, Dinge zusammenzuführen.
Ich bin ein Mensch, der gern im Team arbeitet. In diesem die unterschiedlichsten Meinungen zusammenzuführen, sodass man schlussendlich auf einen gemeinsamen Nenner kommt, das war für mich immer das Schwierigste. Je mehr Menschen man fragt, desto mehr Meinungen hat man. Die dann wieder so zusammen zu führen, dass letztendlich der Großteil damit zufrieden ist, das ist sehr schwierig und war einer meiner größten Lernprozesse. Die Balance zu halten und nicht aufs Glatteis zu geraten. Dabei muss man auch das eigene Ego, und in manchen Prozessen die eigene Vorstellung, wieder replizieren und überdenken. Manchmal ist man schon sehr tief in Thematiken verwurzelt, sodass es schwer fällt, einen Schritt zurück zu machen. Es wird schwierig wenn man zu viele einbindet. Wenn man viele Menschen einbindet, ist man aufgrund der Transparenz natürlich angreifbarer. Und das ist eine Gratwanderung, die mitunter nicht leicht ist, und die der politische Mitbewerber ausnutzen kann. Ich habe das ein paarmal erfahren müssen, und es hat mich dahingehend geprägt, dass ich in manchen Bereichen jetzt vorsichtiger bin als früher.
Sie haben seit ihrem zehnten Lebensmonat in Traismauer gelebt.
Ja, allerdings war ich ein Jahr in Tirol, um dort die Ausbildung zum Heilmasseur und Heilbademeister zu machen.
War das die Lehre?
Nein. Bei meiner Lehre habe ich eigentlich Friseur gelernt. Ich habe zwar drei Jahre lang gelernt, aber aufgrund der gesundheitlichen Situation umgeschwenkt. So habe ich von der Friseurlehre nach Tirol auf die Dr. Vodder Akademie gewechselt. Ich habe in Folge im physikalischen Institut in St. Pölten gearbeitet und bin dann zum Samariterbund gekommen. Beim Samariterbund war ich zuerst nur ehrenamtlich tätig, aber als sich die Möglichkeit ergeben hat, das beruflich zu tun, hab ich sie ergriffen.
Was kann Traismauer besser als andere Gemeinden?
Traismauer ist eine Stadtgemeinde an der ehemaligen Traisenmündung in die Donau. Wir haben den Donauradweg und den Traisental-Radweg, die sich hier miteinander verbinden. Traismauer hat eine lange Geschichte bis in die Eiszeit. Wir sind eine Römerstadt, und unser Wahrzeichen, das Römertor, ist eines der wenigen derartigen Bauwerke, die in Österreich überhaupt noch erhalten sind. Traismauer ist auch Weinstadt im Weinbaugebiet Traisental. Wir haben eine Heurigenkultur, auf die wir sehr stolz sind. Aufgrund unserer Lage im Städtedreieck Tulln, St. Pölten, Krems, sind wir von diesen nur ca. 20 bis 22 km entfernt. Auch nach Wien sind es nur 56 km. Man kann hier also auch die Genüsse der Bundeshauptstadt in sein Freizeitangebot miteinfließen zu lassen.
Neben der guten Infrastruktur und der gemütlichen Heurigenkultur, verdient auch das Vereinsleben Erwähnung. Über 70 Vereine gibt es in der Gemeinde. Daraus resultiert eine Reihe an Veranstaltungen über den ganzen Jahreszyklus hinweg. Acht Feuerwehren in der Gemeinde, bedeuten alleine acht Feuerwehrfeste im Jahr, dazu kommen die Sportfeste, oder die Kellergassenfeste durch die Weinbauvereine. Kulturell bringt auch unser Kultursommer so einiges mit sich. In Traismauer wird einem nicht fad, denn es ist für jung und alt immer etwas dabei. Ich wäre das ganze Jahr über allein mit Veranstaltungen und diversen anderen gesellschaftlichen Ereignissen in Traismauer dermaßen ausgelastet, dass es kein freies Wochenende gäbe, wenn ich es mir nicht hin und wieder einmal nehmen würde. Es gibt einfach kein Wochenende, an dem nichts los ist. Dabei ist die Fächerung unseres Angebots sehr breit gestreut.
Und was ist Ihr Lieblingswein?
Ich bin der, der auf die fruchtigen Weine geht. Mit mehr als 80 Prozent der Anbaufläche ist bei uns der Grüne Veltliner dominierend. Mir schmeckt der Sauvignon blanc oder der Muskateller. Das sind meine Lieblingsweine.
Was ist ihre Lieblingsbeschäftigung?
Ich bin Bürgermeister (lacht)! Darauf ist einfach mein ganzer Tag ausgerichtet.
Beschreiben sie ihren perfekten Tag.
Ich stehe in der Früh auf und bin meistens zwischen acht und neun Uhr im Büro. Wenn ich meine Termine zufriedenstellend abarbeite, wenn die Gespräche, die ich führe, gut verlaufen, und wenn ich am Abend nachhause komme, und das, was ich mir gemeinsam mit meinem Team, mit meiner Familie, und mit meinen Freunden vorgenommen habe umsetzten konnte, dann ist das für mich ein perfekter Tag.
Wovor haben Sie Angst?
Wenn ich zum Beispiel eine Diskussion mit meinem Freund habe und wir sprechen uns nicht aus, dann ist das für mich eine Situation, die mir nicht gefällt. Ich will nicht in die Verlegenheit kommen, dass ich einmal nicht mehr sagen kann, dass es mir leid tut, wenn ich einen Fehler gemacht habe. Aber richtig Angst vor irgendetwas habe ich eigentlich nicht.
Der perfekte Mann trägt für mich…
Gute Kleidung muss nicht immer ein Anzug mit Krawatte sein, aber sie sollte immer situationsgerecht und angepasst sein.
Was ist für sie „zuhause“?
Zuhause ist dort, wo ich mich wohl fühle, und wo ich eine Rückzugsmöglichkeit habe, um in mich zu gehen, um über alles nachdenken zu können.
Wie würden sie sich in einem Wort beschreiben?
weltoffen