Bürgermeister Hans Dreier
Hans Dreier: „Es werden zu viele Grundstücke an EU-Ausländer verkauft, weil sich keine einheimischen Interessenten finden.“

„Ich bin eher Mediator als Chef“

Hans Dreier ist seit 22 Jahren Bürgermeister und kämpft mit der Tatsache, dass er die Errungenschaften früherer Jahre in seiner Gemeinde wieder „rückbauen muss“. Und moderne Navigationstechnologie hat ihm ein massives Lärmproblem beschert.

Herr Bürgermeister, wie sind sie in die Politik gekommen?

Ich bin über meinen Vater, der von 1968 bis 1987 in Weißenbach Bürgermeister war, in die Politik gekommen. Also im Gemeinderat bin ich seit 1980. Nachdem mein Vater leider im Amt gestorben ist, war ich dann unter seinem Nachfolger Vizebürgermeister. Als der dann auch starb, habe ich mich entschieden, den Bürgermeister zu machen.

Wie legen Sie das Amt an? Als Chef oder eher Mediator?

Als Bürgermeister bist du halt schon der Chef ob du willst oder nicht – die politische Verantwortung liegt ja auch bei dir. Aber im Grunde will ich, dass die Mitarbeiter Eigenverantwortung übernehmen und gewisse Dinge selbst entscheiden oder vorantreiben. Wenn mir der Bauhof einen Vorschlag macht, wie ein Problem oder eine Aufgabe zu lösen ist, kommen sie zu mir und ich entspreche in der Regel ihren Vorschlägen. Sie wissen am besten, was wann zu tun ist.

Ich halte es für ganz wichtig, dass Mitarbeiter eine gewisse Selbstständigkeit entwickeln. Sie reagieren dann auf unvorhergesehenes besser. Mein Vater und mein direkter Vorgänger sind beide im Amt gestorben – da gabs beide Male eine Art Schockstarre unter den Menschen. Das halte ich nicht für gut. Den Gemeinderat informiere ich über alles. Das schafft Vertrauen und hilft auch bei schwierigen Entscheidungen. Geheimniskrämerei ist nicht meine Sache. Im Grunde sehe ich mich eher als Mediator statt als Chef.

Hat sich dieses Amtsverständnis mit den Jahren geändert? 

Schon. Man kann aber auch die früheren Zeiten nicht mit heute vergleichen. Als mein Vater das Amt übernommen hat, war das eher die Aufschwungzeit nach dem Krieg. Das waren völlig andere Umstände damals. Im Grunde muss ich heute teilweise das, was mit Hilfe meines Vaters für Aufschwung in unserer Gemeinde gesorgt hat, wieder Rückbauen.

Ich habe heute ja auch das Problem, die Errungenschaften von damals auf die heutigen Gegebenheiten anzupassen. Beispielsweise das Schwimmbad und der Lift. Die Gemeinde muss – und kann – auf Dauer keinen Lift welcher ihr nicht gehört, betreiben und teuer subventionieren. Wir unterstützen nun aber eine Bürgerinitiative, welche den Dorflift nun betreibt. Das Freischwimmbad gehört der Gemeinde. Hier leisten wir uns den Abgang um unseren Familien im Sommer das Baden im Ort zu gewährleisten.  

Wir sind durch einen stark rückläufigen Tourismus auch vom Gasthaussterben betroffen. Bei zwei Gasthäusern konnten keine Nachfolger gefunden werden, und schlussendlich erwarb die Gemeinde einen Gasthof im Zentrum, welcher auf Grund der Baufälligkeit abgerissen werden musste. Beim Zweiten suchen wir gemeinsam mit den Besitzern einen Wohnbauträger. Auch bei einem Hotel war das so. Die Gemeinde erwarb dieses und hat es, um die Kosten wieder hereinzubringen weiterverkauft. Der Besitzer plant hier Wohnungen zu errichten. Früher ist die Gemeinde gewachsen, heute haben wir andere Anforderungen, beispielsweise den Abzug der Jungen zu stoppen.

Der Hauptort Reutte (Bezirkshauptort) ist ja nur knapp zehn Kilometer weg und hier wachsen die Wohnblöcke wie Schwammerl aus dem Boden während bei uns im ländlichen Raum das Land Tirol leider wenig Spielraum bei Widmungen für Wohnungen zulässt. Soviel zur Unterstützung des ländlichen Raumes durch die Raumordnungsabteilung des Landes Tirol – das ist für mich sehr enttäuschend.

Wie sieht die Bevölkerungsentwicklung in Weißenbach aus?

Leider rückläufig. Früher hatte Weißenbach rund 1.350 Einwohner, derzeit sind es 1.271.

Ziehen Junge weg, weil es keine Baugründe gibt?

Nicht unbedingt wegen Baugrundmangel. Sie gehen weg zum Studieren und die Meisten kommen nicht mehr zurück. Durch die Grundzusammenlegung und Baulandumlegungen gibt es vermehrt im Privatbereich aber auch vereinzelt für die Gemeinde wieder Baugründe. Aber die Bindung an den Grund ist bei den Jungen nicht mehr so eng – vermutlich, weil die Bodenbewirtschaftung nicht mehr so wichtig ist. Daher denken die Jungen eher daran, Grund zu verkaufen wenn sie in Finanznot sind.

In der Gemeindeinformation vom Februar wird der „Ausverkauf der Gemeindegrundstücke an EU-Ausländer“ beklagt, weil sich keine einheimischen Interessenten für die Baugründe finden.

Genau. Wir hatten den Fall, dass jemand den Wert der geerbten Grundstücke wissen wollte und eines dieser Grundstück von einem Makler ins Netzstellen ließ. Binnen drei Monaten wurden fünf Interessenten bei der Gemeinde vorstellig, die sich bei uns niederlassen wollten.

Das waren wohlhabende deutsche Staatsbürger, die alle knapp vor der Pensionierung standen und deren Traum es ist, ihre Pension in den Berge zu verbringen.

Einheimische Interessenten würde es wohl geben, aber mit den Preisen, welche die EU-Bürger zahlen, können oder wollen sie nicht mithalten.

Für mich ist der Knackpunkt der letzte Satz des Gemeindebriefs: „Auch bei uns ansässige EU-Bürger sind berechtigt, einen (regressfreien) Pflegeplatz in Anspruch“ zu nehmen? Wie sieht das aus, wenn beispielsweise Deutschland den Regress noch hat?

Ich befürchte das schon, obwohl ich mir nicht sicher bin. Aber im Grund hat jeder EU-Bürger, der bei uns seinen Hauptwohnsitz hat, die gleichen Rechte und Pflichten. Also müsste er auch das Recht auf einen regressfreien Pflegeplatz bei uns haben.

Beim Tiroler Gemeindetag im Juni 2018 forderte Ernst Schöpf (Präsident des Tiroler Gemeindeverbandes) mehr Treffsicherheit in der Sozialpolitik. Das zielt darauf ab, dass nicht jede Leistung zum Nulltarif erbracht werden kann. Wie sieht aus deiner Sicht eine „sozial gerechte Sozialpolitik“ aus?

Ich denke, dass eine Staffelung nach Einkommen gerechter als das bisherige System wäre. Es gehört ein Ausgleich zu der herrschenden Gratis-Mentalität her. Wer mehr hat, sollte ein bisschen mehr beitragen. Ernst Schöpf hat das schon Recht, alles zu Null-Tarif kann es nicht mehr geben.

Und die Leute verstehen das ja auch. Wenn ich an das Thema Trinkwasser denke, ist den Leuten bewusst, in welch begünstigter Situation wir sind. Wir haben Trinkwasser in Hülle und Fülle – davon können andere Länder nur träumen. Die Gemeinde hebt für die Sanierung und Erweiterung des Wasserleitungsnetzes erstmals eine einmalige „Netzerweiterungsgebühr“ ein – das sorgte bei der Bevölkerung zu keinen großen Diskussionen. Für die Trinkwassersicherung gibt es bei den Gemeindebürgern großes Verständnis. 

Ist bei der Netzerweiterung auch gleich eine Leerverrohrung durchgeführt worden?

Das ist zu ca. 70 Prozent erledigt, großteils auch als Weißenbach an die Erdgasversorgung angeschlossen wurde. Für die Breitband-Infrastruktur suchen wir derzeit einen Betreiber.

Letzte Frage: Auf der Gemeinde-Website steht, dass Weißenbach Leadpartner beim grenzüberschreitenden INTERREG-Projekt „Lärmfreier Lebens- und Erholungsraum Bayern-Tirol“ ist. Was ist das für ein Projekt?

Da geht es um die wahnsinnige Lärmbelastung, die wir durch den Motorradverkehr haben. Seit Jahren schon ist bei uns nicht mehr an ruhige Nachmittage hauptsächlich an Wochenenden auf der Terrasse oder im Garten zu denken, weil mehrere hunderte Biker durch den Ort donnern.

Das Problem ist, dass zum Beispiel von der Schweiz aus die „schönste Route zum Gardasee“ auf etlichen Navis über den Jochpass zum Gaichtpass – der ist bei uns – und weiter über des Hahntennjoch und über das Timmelsjoch am Ende des Ötztals führt. Das führt aber zu einer unerträglichen Lärmbelastung nicht nur bei uns, sondern auch im Allgäu und vermutlich auch im Ötztal und auf der Südtiroler Seite.

Die Allgäuer, die genauso darunter leiden, und wir haben jetzt entlang der gesamten Strecke Hinweistafeln mit der Aufschrift „Naherholungsgebiet – bitte leise fahren“ aufgestellt. Viele halten sich zwar daran, aber rund zehn Prozent Unbelehrbare leider nicht. Wir wissen noch nicht genau mit welchen Maßnahmen wir hier noch eine Verbesserung  schaffen, aber der Lärm muss weniger werden – schließlich leben wir in einem Naturpark. Mehr Kontrollen und Gesetzesänderungen in Bezug auf die Lärmpegelreduzierung wären dabei sicher hilfreich.

Zur Person - Hans Dreier

Alter: 61

Gemeinde: Weißenbach am Lech

Einwohnerzahl: 1.271 (1. Jänner 2017)

im Amt sei: 1995

Partei: Freie Wählergemeinschaft Weißenbach

Der Mensch hinter dem Bürgermeister

Gemeinde ist für mich: Gemeinschaft

Ich rege mich auf über... Dinge, die ich nicht ändern kann

Ich fahre... Auto und teilweise mit dem Rad

Das will ich unbedingt noch erleben: Meinen Enkel aufwachsen sehen

mein Lebensmotto: Lebe froh und heiter

Das ist ein perfekter Tag für mich: … ein gutes Werk getan zu haben