„Geh’n hot no a jeda g’lernt“

Eines lässt sich klar erkennen: Bis auf jene Punkte, in denen es um die Möglichkeit der politischen Einflussnahme geht, waren hier in erster Linie Theoretiker und Schreibtischbürokraten am Werk. Nachdem der Gesundheitssektor bereits kaputtverwaltet ist und die Schulen kurz davor stehen, geht es nun den Kindergärten an den Kragen.

Offensichtlich ausgespart wurde die Meinung der unmittelbar Betroffenen: Eltern, die vollends entmündigt werden, Lehrer und Pädagogen, die kostbare Zeit für Unterricht und Betreuung durch noch mehr Bürokratie verlieren, Schüler und Kinder, die von all den Maßnahmen kaum einen Nutzen ziehen und Gemeinden, die für die Bereitstellung der Schul- und Kindergarteninfrastruktur zuständig sind. Anstatt die Meinung jener zu hören, die es besser wissen würden, hat sich die Politik an Experten gewandt, die sich tagein, tagaus und fernab vom eigentlichen Geschehen mit wissenschaftlichen Abhandlungen, Theorien und (internationalen) Studien befassen.



Ob es die Furcht oder andere Beweggründe waren, in keinem Punkt wird die - auch vor dem Hintergrund der anstehenden Pensionswelle im Lehrpersonal - mehrfach in der Vergangenheit aufgezeigte Notwendigkeit der Anpassung des Dienst- und Besoldungsrechts angesprochen. Dringende Reformen etwa im Bereich der Personalbereitstellung im Freizeitteil ganztägiger Schulangebote finden gleich gar keine Erwähnung. Ebenso unausgesprochen bleiben die Fragen nach der Finanzier- und Umsetzbarkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen - denn Kostenneutralität oder gar Einsparungen darf man sich keinesfalls erwarten.

Aus dem Subjekt Kind wird ein Objekt für Wissenschaft und Forschung



Nachdem es Eltern und Kinderärzte dem Anschein nach nicht besser wissen, müssen Kinder zukünftig nicht nur Screenings ihres Sprach-, sondern auch ihres Entwicklungsstands über sich ergehen lassen, beginnend mit einer Potentialanalyse der Dreieinhalbjährigen. Da die Screenings jedoch nicht aussagekräftig genug sein dürften, zwingt man Eltern und Kinder drei Monate lang zu einem Besuch, von dem sie sich je nach Erreichen von wissenschaftlich ausgearbeiteten Indikatoren wieder abmelden können. Dabei verursachen bereits die heutigen Sprachstandfeststellungen einen beträchtlichen bürokratischen Aufwand und werden von vielen Pädagogen als Schikane gesehen. Richtigerweise sollten Pädagogen für die Kinder und nicht dafür da sein, Arbeitsunterlagen und Zahlenwerke für Wissenschaft und Statistik zu liefern.



Sinnvoller als eine Parallelwelt in Form eines Bildungskompasses neben dem Mutter-Kind-Pass zu konstruieren, erschiene es außerdem, letzteren aufzuwerten und tatsächlich zu einem Begleitdokument bis zum Pflichtschulabschluss, allenfalls bis zur Volljährigkeit zu machen. Demgemäß sollten Eltern und die von ihnen zu Rate gezogenen (Kinder-)Ärzte „in die Pflicht“ genommen werden.

Pflichtkindergarten, bundesweite einheitliche Qualitätsstandards und vieles mehr



Dass es bundesweit und auch regional unterschiedliche Anforderungen und Erfordernisse gibt, liegt auf der Hand. So verhält es sich auch beim Erfordernis der Einführung eines zweiten verpflichtenden Kindergartenjahrs. Dieses mag in Wien aus pädagogischer Sicht durchaus Sinn machen, in anderen Bundesländern aber nicht. So gesehen ist es nur schwer vorstellbar, dass die „Zentrale in Wien“ besser Bescheid weiß, was etwa in einem abgelegenen Bergdorf notwendig und vor allem sinnvoll ist. Da man aber Wien-Probleme gerne bundesweit löst, fixiert man ohne Einbindung der Gemeinden ein zweites verpflichtendes und demgemäß auch kostenloses Kindergartenjahr.

Die Norm ist abnormal



Anstatt Kindern den notwendigen Freiraum zu geben, um sich individuell entwickeln und entfalten zu können, werden sie künftig in von Experten vorgefertigte Schablonen gezwängt. Wer nicht hineinpasst, erhält je nach Ergebnis der Potenzialanalyse eine Sonderbehandlung in Form einer bedarfsorientierten Betreuung. Zwar ist der Spruch „Geh‘n hot no a jeda g`lernt“ sehr trocken formuliert, aber bei derlei Feststellungen, insbesondere bei vermeintlichen Fehlentwicklungen oder Rückständen gerade in der frühkindlichen Phase, ist größte Vorsicht geboten. Da ist das eine Kind, das bereits mit acht Monaten die ersten Schritte wagt, da ist das andere Kind, das erst mit zwei Jahren die ersten Worte spricht. Nicht verwundern sollte es, wenn kurz über lang die Forderung nach einem Einsatz von Psychologen in Kindergärten erhoben wird. Abgesehen davon, dass sich jedes Individuum ganz unterschiedlich entwickelt, besteht durch den Kontroll- und Dokumentationswahn die Gefahr, dass Eltern wie auch Kinder einem völlig unnötigen Leistungsdruck und Stresssituationen ausgesetzt werden. Bemerkenswert ist, dass man im Schulbereich genau in die andere Richtung geht, den Leistungsdruck auf ein Minimum reduziert und den Lehrern den letzten Joker in der Disziplinierung ihrer Zöglinge wegnehmen möchte - die Notenvergabe.