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„Es geht um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen für unsere Kinder“
KOMMUNAL: Der Bodenverbrauch ist eines der großen Themen unserer Zeit. Die Gemeinden wissen, wie wichtig ein sparsamer Umgang mit dieser Ressource ist. Das war mit ein Grund, warum der Gemeindebund den „Bodenschutzplan“ ins Leben gerufen hat. Was halten Sie von diesem Plan? Und wie wichtig ist Ihrer Ansicht nach die künftige Rolle der Gemeinden, deren Raumordnungskompetenz in dieser Frage eine zentrale Rolle spielen wird?
Werner Kogler: Wir begrüßen grundsätzliche alle Bestrebungen für mehr Bodenschutz in Österreich. Auch das Bekenntnis zum Entwurf der Bodenstrategie der Österreichischen Raumordungskonferenz begrüßen wir prinzipiell. Allerdings enthält der Entwurf kein verbindliches Bodenschutzziel von maximal 2,5 ha-Bodenverbrauch pro Tag. Wir sind aber davon überzeugt, dass es das braucht. Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden haben bisher leider keinen einzigen Quadratmeter unserer kostbaren Böden gerettet.
Dabei geht es beim Bodenschutz um vieles. Es geht um die Äcker, auf denen unser Gemüse wächst, um die Wiesen, auf denen unsere Kinder spielen. Es geht auch um Artenschutz und Hochwasserschutz. Schließlich nimmt Beton nicht einen einzigen Tropfen Wasser auf, während Regen in gesunden Böden versickern kann. Es geht also beim Bodenschutz um nicht weniger als um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen für unsere Kinder und Enkelkinder.
Dennoch halten wir zahlreiche Maßnahmen des Entwurfs „Bodenschutzplan“ für sinnvoll. Vieles davon hätte aber bereits bisher von Ländern und Gemeinden umgesetzt werden können.
Unterstützend zur Raumordnungszuständigkeit der Länder haben wir auf Bundesebene einige Maßnahmen gesetzt: Für Umweltverträglichkeitsprüfungen haben wir die Schwellenwerte gesenkt, damit auch kleinere Projekte eine Umweltverträglichkeitsprüfung ablegen. Alle Projekte müssen ein Bodenschutzkonzept vorlegen, wir haben den Brachflächendialog ins Leben gerufen, um die Revitalisierung von leerstehenden Gebäuden anzugehen, mit eigener Förderschiene - das Brachflächenrecycling.
Mit dem Projekt „Brachflächenerhebung mittels KI“ des Klimaschutzministeriums wird bis Jahresende 2024 erstmals für Österreich vollständig ersichtlich, wo und wie versiegelte Flächen ungenutzt sind. Eine bundesweit flächendeckende, KI-gestützte Identifizierung von Brachflächen wird als „Brachflächenpotentialkarte“ der Öffentlichkeit online und kostenfrei zur Verfügung gestellt. Wir haben das Altlastensanierungsgesetz (ALSAG) novelliert, damit nicht nur schwerkontaminierte Böden aus dem Fördertopf gereinigt werden, sondern auch schon leicht belastete – damit diese bebaut werden statt Wiesen und Wälder. Der Bund zahlt die Untersuchung von möglicher Kontamination des Bodes bis hin zu notwendigen Aufräumarbeiten.
Wir Grüne treten weiterhin für eine österreichweite Bodenschutzstrategie mit einem verbindlichen 2,5 ha-Bodenverbrauchsziel bis 2030 ein. Laut einer Umfrage der Hagelversicherung unterstützen mehr als 80 Prozent der Menschen in diesem Land das verbindliche Ziel. Wir Grüne stehen beim Engagement um wirksamen Bodenschutz auf der Seite der Menschen in Österreich.
Bei den Gemeindefinanzen geht es ähnlich emotional zu. Viele Gemeinden können aktuell trotz Sparmaßnahmen und teils großzügiger Hilfen aus dem KIG immer öfter ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen, weil einfach kein Geld da sind. Die Teuerung, die hohen Standards und die Übertragung von Aufgaben ohne finanzielle Bedeckung tragen das ihre bei. Liegt die Lösung dieser Frage in mehr FAG-Mittel für die Gemeinden, der Ausschöpfung von Effizienzpotenzialen oder gar in der Einschränkung von kommunalen Leistungen?
Die Gemeinden erbringen Leistungen für die grundlegende Daseinsvorsorge. Eine Einschränkung der Leistungen ist keine Lösung für die derzeit schwierige finanzielle Lage in manchen Gemeinden. Die Bundesregierung hat erst diesen Sommer ein weiteres Gemeindepaket in Höhe von fast einer Milliarde Euro beschlossen, um die Finanzlage zu verbessern und kommunale Investitionen zu ermöglichen.
In der Vergangenheit wurden den Gemeinden immer mehr Aufgaben übertragen, zum Beispiel der Ausbau der Kinderbetreuung. Die Aufgaben und damit Ausgaben sind nicht mehr mit jenen vor 20 Jahren zu vergleichen. Wir finden: Mehr Aufgaben sollen zu mehr Mitteln führen. Deswegen sind wir für eine Aufgabenorientierung im Finanzausgleich. Das Geld muss den Aufgaben folgen und die notwendigen Leistungen sicherstellen.
Die Gemeinden wollen seit Jahren eine Neuordnung bei der Grundsteuer. Es dabei um eine wesentliche gemeindeeigene Einnahme – und durch die Inaktivität, was die Valorisierung betrifft, verlieren die Gemeinden rund 380 Millionen Euro pro Jahr. Um das auszugleichen, müsste die Grundsteuer um 30 bis 40 Prozent angehoben werden. Ist es aus Ihrer Sicht zulässig oder geboten, Steuern auch anzupassen?
Wir Grüne setzen uns dafür ein, dass insbesondere bei der Grundsteuer, der Kommunalsteuer und der Bodenwertabgabe Reformen durchgeführt werden. Damit wollen wir einerseits die Steuerautonomie der Gemeinden stärken und ihre finanzielle Lage verbessern und andererseits ein faireres Steuersystem und weniger Anreiz für den Verbrauch unserer wertvollen Böden erreichen.
Was sind Ihre Ansätze, um die verzwickte Lage auf dem Immobilienmarkt zu entschärfen – gerade, weil viele Immobilien eher als Wertanlage behandelt werden. Wie wollen Sie diese Immobilien wieder mobilisieren und dadurch Eigentum wieder leichter und vor allem leistbarer zu ermöglichen?
Wohnen ist ein Grundbedürfnis und alle sollen da leben können, wo Freund:innen, Kinderbetreuung und Jobs sind – unabhängig vom Einkommen. Fürs Wohnen sollen Menschen maximal 30 Prozent ihres Einkommens aufwenden müssen. Das geht, indem wir Mieten umsichtig regulieren, Bau- und Grundstückskosten bezahlbar halten, Leerstand mobilisieren und gezielt jene unterstützen, die es brauchen.
Die Gemeinden finanzieren zu hohen Anteilen die Spitalsversorgung und die ärztliche Versorgung am Land sowie die Pflege mit. Die Gemeinden schaffen oft und im Grunde immer über den gesetzlichen Rahmen hinaus die Grundlagen, um eine Landarztstellen nachzubesetzen. Das ist aber die Aufgabe und Kompetenz der Gesundheitskassen. Was ist Ihr Rezept, um die ärztliche Versorgung am Land sicherzustellen, ohne dabei die Gemeinden zu involvieren?
Die Unterversorgung mit Hausärzt:innen in einem Kassenvertrag – gerade am Land – zählt zu den akutesten Problemen des österreichischen Gesundheitssystems. Gerade deshalb setzt die Gesundheitsreform an mehreren Stellen an: Die Bedarfsfeststellung für neue Stellen erfolgt über die regionalen Strukturpläne Gesundheit, die von den Bundesländern und der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) erstellt werden. Gerade diese Strukturpläne zu stärken war ein zentrales Ziel der Reformen. Zudem haben wir sie verbindlich gemacht. Das bisher mögliche Veto der Ärztekammern, die neue Stellen immer wieder verhindert haben, wurde durch uns abgeschafft.
Zugleich gibt es erstmals in der Geschichte zusätzliche Budgetmittel für die österreichischen Sozialversicherungen - allen voran die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) - um Kassenstellen attraktiver zu machen und einen neuen Gesamtvertrag zu verhandeln.
Primärversorgungseinheiten (PVE), die aufgrund ihrer multiprofessionellen und interdisziplinären Zusammensetzung sowohl für Patien:innen als auch Ärzt:innen besonders attraktiv sind, werden ebenfalls gestärkt und gefördert. Gerade für Gemeinden ab 3.500 Einwohner:innen oder für mehrere kleine Gemeinden, die sich in dieser Sache zusammentun, ist das eine echte Chance für die Zukunft.
Mit der Gesundheitsreform wurden somit wichtige Schritte für eine bessere medizinische Versorgung am Land gesetzt. Die weitere Umsetzung liegt jetzt auch bei den Sozialversicherungen und den Bundesländern.
Für uns Grüne ist das Ziel eine bestmögliche Gesundheitsversorgung für alle. Und das unabhängig vom Einkommen und vom Wohnort. Die Gemeinden sollen aus unserer Sicht höchstens bei der Suche von passenden Ordinationsräumen oder als Antreiber für innovative Präventionsangebote durch die im Ort vorhandenen Gesundheitsdienstleister auftreten. Für uns steht bei all diesen Überlegungen das Motto „e-card statt Kreditkarte“ im Zentrum. Daran wollen wir weiterarbeiten.
In vielen Bereichen der öffentlichen Hand wird durch eine – bewusst oder unbewusst – selbstgemachte Überregulierung das Leben in den Gemeinden zunehmend erschwert und belasten die Gemeindeverantwortlichen mit teils enormen Haftungsrisiken. Wie wollen Sie diese Überregulierung in den Griff bekommen – und dabei vor allem die Gemeinden aus dem Spiel lassen?
Wir setzen uns für eine Verwaltung ohne Doppelgleisigkeiten nach dem „Once Only-Prinzip“ ein und wollen es den Gemeinden ermöglichen, die Vorteile der Digitalisierung im Bereich der Verwaltung und Kommunikation voll auszuschöpfen. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die Menschen, die es brauchen, hier Unterstützung und persönlichen Kontakt vor Ort erhalten. Für diese wichtigen Aufgaben müssen die Gemeinden finanziell ausreichend ausgestattet werden.
Bei der Kinderbetreuung gibt es immer wieder Stimmen, die einen Rechtsanspruch wie in Deutschland fordern. Die Situation in Deutschland zeigt aber gerade auf, dass durch den Rechtsanspruch keine Plätze geschaffen werden, sondern nur der Kosten- und Belastungsfaktor massiv gestiegen ist. Braucht es in dieser Frage auch bei uns Zwang oder vertrauen Sie auf die bedarfsgerechten Lösungen, die die österreichischen Gemeinden seit vielen Jahren anbieten?
Wir müssen bei der Kinderbetreuung in die Gänge kommen und den Ausbau tatkräftig vorantreiben. Mit uns in der Regierung wurden für den Ausbau in Summe 4,5 Milliarden Euro für kommenden Jahre bereitgestellt. Hier sind die Länder gefordert, dieses Geld abzuholen und den Ausbau auch umzusetzen. Wir Grüne sind jedenfalls für einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem 1. Geburtstag. Dabei geht es nicht um Zwang, sondern um Rechtssicherheit - für die Eltern, aber auch für die Kinder, auf einen qualitätsvollen Betreuungsplatz. Um den Rechtsanspruch durchzusetzen, braucht es einen Stufenplan, genügend Räumlichkeiten und ausreichend qualifiziertes Fachpersonal.
Österreich bemüht sich seit der Nachkriegszeit, die Besiedelung und Bewirtschaftung des gesamten Landes sicherzustellen. Aktuell ist die flächendeckende Bereitstellung von Glasfaser einer der wesentlichen Infrastruktur-Herausforderungen. Was ist Ihr Modell, um zu einer vollflächigen Versorgung des Landes mit Glasfaser zu kommen?
Unter grüner Regierungsbeteiligung wurde der Ausbau vom Breitband-Internet bereits stark vorangetrieben und ein hoher dreistelliger Millionenbetrag investiert. Bis 2026 stehen 1,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Die begonnene Förder-Initiative muss fortgesetzt werden, bis es in Österreich keinen Fleck mehr ohne Breitband-Internet gibt. Gerade im ländlichen Bereich ist eine Versorgung unerlässlich für digitale Chancengleichheit.
Wir befürworten dabei einen marktorientierten Netzausbau. Öffentliche Mittel sollen dort eingesetzt werden, wo sie unbedingt erforderlich sind. Das werden insbesondere Bereiche sein, in denen kaum Chancen bestehen, dass die Abdeckung durch private Investitionen erfolgen wird, also etwa in besonders schwach besiedelten gebieten
Zur Unterstützung der kommunalen Gebietskörperschaft auf europäischer Ebene hat der Gemeindebund einen eigenen „EU-Kommissar für Gemeinden“ gefordert. Unterstützen Sie diese Forderung?
Die Repräsentation der Anliegen von Gemeinden sind uns auch auf Europäischer Ebene ein großes Anliegen. Das Prinzip der Subsidiarität ist ein wichtiges Prinzip für das Funktionieren der Europäischen Union. Einen eigenen EU-Kommissar für Gemeinden sehen wir dennoch nicht als dringend notwendig an, insbesondere vor dem Hintergrund, die Kommission nicht noch weiter zu vergrößern und die Effizienz dieser Institution zu erhalten.
Was ist ihrer Ansicht nach die künftige Rolle der Gemeinden im österreichischen Staatsgefüge?
Gemeinden sollen auch in Zukunft der Ort sein, an dem die grundlegenden Bedürfnisse der Bürger:innen erfüllt werden und die Daseinsvorsorge gesichert wird. Außerdem bleiben Gemeinden der Ort, an dem Demokratie und Politik am direktesten vermittelt und erlebt werden kann. Die Gemeinden werden daher immer durch ihre unmittelbare Nähe zu den Menschen eine wesentliche Rolle im österreichischen Staatsgefüge einnehmen. Sie sind die ersten Ansprechpartner:innen für die Anliegen der Menschen und ermöglichen die direkte Gestaltung der unmittelbaren Umfelds der Bürger:innen.