Bankomat
Zur Schließung von Versorgungslücken im ländlichen Raum sollen bis zu 120 neue Geldautomaten aufgestellt werden.
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Österreichs Doppelstrategie

Digitaler Euro und Bankomaten-Offensive

Während Europa am digitalen Euro arbeitet, setzt Österreich gleichzeitig auf den Ausbau der Bargeld-Infrastruktur. OeNB und Gemeindebund stellen in den kommenden zwei Jahren bis zu 120 neue Bankomaten auf – ein Signal für einen ausgewogenen Weg zwischen Innovation und Resilienz.

Die Europäische Zentralbank treibt die Entwicklung des digitalen Euro voran, während gleichzeitig die Bedeutung von Bargeld neu bewertet wird. Österreich verfolgt dabei einen bemerkenswerten Mittelweg: Das Land engagiert sich aktiv im digitalen Euro-Projekt und baut zugleich die Bargeldversorgung im ländlichen Raum aus. Diese Doppelstrategie könnte – falls sie erfolgreich ist – zum Modell für ganz Europa werden.

Der digitale Euro: Europas Antwort auf strategische Abhängigkeiten

Seit 2021 arbeitet das Eurosystem systematisch an der Entwicklung eines digitalen Euro. Was unter anderem durch die Ankündigung von Facebooks Digitalwährung „Libra“ als Weckruf für Politik und Notenbanken begann, ist heute zu einem der wichtigsten strategischen Projekte der europäischen Finanzarchitektur geworden. Ein zentraler Treiber ist die starke Abhängigkeit Europas von außereuropäischen Zahlungsdienstleistern.

Die Zahlen sind eindeutig: Rund zwei Drittel aller elektronischen Zahlungen im Euroraum werden nach Angaben der Oesterreichischen Nationalbank nach den Vorgaben von nur zwei internationalen Zahlungsanbietern im EU-Ausland durchgeführt. In Österreich sind es sogar mehr als 80 Prozent. Hans-Gert Penzel, ehemaliger Generaldirektor in der Europäischen Zentralbank und heute an der Universität Regensburg tätig, spricht von einem „Klumpenrisiko“.

„Die heutigen elektronischen Zahlungssysteme sind alle sehr zentral ausgerichtet. Was Visa, Mastercard, Paypal, Apple Pay und Google Pay betrifft, sind sie sogar vom Wohlwollen eines einzigen Staates abhängig. Abhängigkeit ist immer schlecht, wie sich in der jüngeren Vergangenheit wiederholt gezeigt hat.“

Drei Entwicklungsphasen bis Ende der 2020er-Jahre

Das Projekt digitaler Euro durchläuft einen sorgfältig geplanten Entwicklungsprozess:

  • Phase 1 (2021–2023): Untersuchung – Konzeptdefinition, Designvorschläge und technisches Ausloten
  • Phase 2 (seit November 2023 bis voraussichtlich Oktober 2025): Erste Vorbereitung – Entwurf des Regelwerks, Auswahl der Anbieter, technische Tests
  • Danach: Eine mögliche dritte Phase, in der technische Grundlagen fertiggestellt, Pilotprojekte umgesetzt und der Markt eingebunden werden.

Die Oesterreichische Nationalbank geht – in Übereinstimmung mit Äußerungen von EZB-Vertretern – davon aus, dass bereits 2026 eine politische Einigung der EU-Mitgesetzgeber über den Gesetzesentwurf erfolgen könnte. Auf dieser Grundlage könnte ein Pilotprojekt um 2027 starten. Als mögliches Zieljahr für eine Erstausgabe des digitalen Euro für die breite Öffentlichkeit wird derzeit 2029 diskutiert.

Wichtig ist dabei: Ob, wann und in welcher genauen Form der digitale Euro tatsächlich eingeführt wird, entscheiden letztlich Europäisches Parlament und Rat im Rahmen des laufenden Gesetzgebungsverfahrens.

Was der digitale Euro ist – und was er nicht ist

Der digitale Euro wäre ein elektronisches Zahlungsmittel, das von der Europäischen Zentralbank garantiert wird. Der entscheidende Unterschied zu bestehenden digitalen Zahlungsmitteln: Er wäre – nach aktuellem Stand der Gesetzespläne – als gesetzliches Zahlungsmittel im gesamten Euroraum vorgesehen, mit entsprechender Annahmepflicht, und würde damit eine ähnliche Stellung wie Bargeld einnehmen.

Die Oesterreichische Nationalbank betont: „Der digitale Euro würde zusätzlich zum Bargeld von der Europäischen Zentralbank ausgegeben werden. Konsumenten könnten damit erstmals auch digital mit öffentlichem Geld bezahlen. Heute steht Privatpersonen Zentralbankgeld nur in Form von Bargeld zur Verfügung.“

Zu den geplanten Funktionen gehören:

  • Kostenfreie Basisfunktionen – grundlegende Zahlungen ohne Gebühren für Konsumentinnen und Konsumenten
  • Offline-Verfügbarkeit – Zahlungen sollen in einem bestimmten Rahmen auch ohne Internetverbindung möglich sein
  • Weitgehende Akzeptanz – der digitale Euro soll im gesamten Euroraum nutzbar sein; der genaue Umfang der Annahmepflicht ist Teil des Gesetzgebungsverfahrens
  • Datenschutz – höherer Schutz der Privatsphäre und strengere Regulierung als bei vielen privaten Anbietern

Die Diskussion um den digitalen Euro ist von Missverständnissen geprägt: Weder sieht der aktuelle Vorschlag die Abschaffung von Bargeld vor, noch geht es darum, Bürgerinnen und Bürger „gläsern“ zu machen. Ziel ist vielmehr, eine öffentliche, europäische digitale Zahlungsoption als Ergänzung zu Bargeld und zu bestehenden privaten Lösungen zu schaffen.

Die Bankomaten-Offensive: Bargeld als Infrastruktur

Während Europa digital voranschreitet, setzt Österreich ein klares Signal für die Bedeutung von Bargeld. Die Oesterreichische Nationalbank und der Österreichische Gemeindebund haben eine gemeinsame Initiative gestartet: In den kommenden zwei Jahren sollen bis zu 120 neue Geldautomaten in ländlichen Gemeinden aufgestellt werden, um Versorgungslücken zu schließen.

530.000 Unterschriften für das Bargeld

Bereits 2022 unterschrieben mehr als 530.000 Österreicherinnen und Österreicher das Volksbegehren „Für uneingeschränkte Bargeldzahlung“, das auf den langfristigen Erhalt der Möglichkeit zur Barzahlung abzielt. Zudem ergab eine OGM-Umfrage, dass rund 65 Prozent der Bevölkerung eine Verankerung der Barzahlung in der Verfassung befürworten.

48 Gemeinden in der ersten Tranche

Zu den ersten Standorten der Initiative gehörte die Gemeinde Obritzberg-Rust in Niederösterreich. Dort wurde einer der neuen Bankomaten im Beisein von Vertreterinnen und Vertretern der OeNB und des Österreichischen Gemeindebundes eröffnet. Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl betonte bei der Eröffnung: „Der neue Bankomat ist mehr als nur ein Geldautomat. Er ist ein nachbarschaftlicher Treffpunkt und ein wichtiges Service für unsere Bürgerinnen und Bürger. Die Bargeldversorgung ist ein wichtiger Teil der Infrastruktur in jeder Gemeinde.“

In der ersten Tranche werden 48 Gemeinden mit neuen Geldautomaten ausgestattet. Die Kriterien sind klar definiert:

  • ländliche Gemeinden ohne Bankomat oder Bankfiliale
  • weite Distanz zum nächsten Geldautomaten
  • mindestens 500 Einwohnerinnen und Einwohner

Betreiber der Geräte ist die PSA Payment Services Austria GmbH, die in Österreich den überwiegenden Teil der Geldausgabeautomaten betreibt. Nach einer Evaluierung der ersten Ausrollung ist eine weitere Runde geplant – die Warteliste interessierter Gemeinden ist bereits lang.

Transparenz durch Dashboard

Die OeNB bietet auf ihrer Website ein Dashboard an, das unterschiedliche Informationen rund um die Erreichbarkeit von Geldausgabeautomaten in Österreich bietet. Bürgerinnen, Bürger und Gemeinden können nachsehen, wie gut ihre Region versorgt ist – Transparenz als Teil der Daseinsvorsorge.

Ausblick: Ein ausgewogener Weg

Österreichs Doppelstrategie könnte sich – abhängig vom weiteren Verlauf – zu einem Modell für Europa entwickeln. Der digitale Euro stärkt im Idealfall die europäische Zahlungssouveränität und bietet Bürgerinnen und Bürgern eine sichere digitale Alternative zu rein privaten Lösungen. Gleichzeitig wird das Bargeld als resiliente Infrastruktur geschützt – nicht aus Nostalgie, sondern aus rationalen Sicherheits- und Resilienzüberlegungen.

Die bis zu 120 neuen Bankomaten sind mehr als eine technische Maßnahme. Sie sind ein Signal: Österreich nimmt die Bargeldversorgung ernst, versteht sie als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge und als Beitrag zur Krisenfestigkeit. Die gleichzeitige Beteiligung am Projekt des digitalen Euro zeigt, dass man die digitale Zukunft aktiv mitgestalten will, ohne die physische Infrastruktur zu vernachlässigen.

In einer Zeit, in der kritische Infrastruktur verwundbar ist und die Abhängigkeit von internationalen Tech-Konzernen wächst, wirkt dieser ausgewogene Weg zwischen Innovation und Tradition wie eine pragmatische Strategie für die Zukunft des Zahlungsverkehrs.

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