Arzt gibt Tabletten aus
In vielen dünner besiedelten Regionen sichert die Hausapotheke das Bestehen einer ärztlichen Ordination ab, sagt die Ärztekammer.
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Ärzte präsentieren Lösungsansätze gegen den Kassenärztemangel

10. Oktober 2025
In vielen Regionen Österreichs stehen Gemeinden ohne Allgemeinmediziner da – mit spürbaren Folgen für die Bevölkerung. Ärztinnen und Ärzte schlagen nun Alarm und präsentieren neue Wege, um die Versorgung zu sichern. Im Fokus stehen flexiblere Strukturen, moderne Rahmenbedingungen und mehr Eigenverantwortung in der Medikamentenabgabe. Ihre Forderungen treffen auf breite Zustimmung – nicht nur innerhalb der Ärzteschaft.

„Anfang Juli gab es in Österreich 311 offene Kassenstellen, 175 davon in der Allgemeinmedizin. Das bedeutet viele Gemeinden ohne Allgemeinmediziner. Für viele Menschen wird damit der niederschwellige und wohnortnahe Zugang zur medizinischen Versorgung immer schwerer“, hielt Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, im Rahmen einer Pressekonferenz in Wien fest.

Das habe zunehmend Auswirkungen auf die Gemeindevertreter, so Wutscher: „Bei der Kommunalmesse konnten wir mit vielen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern ins Gespräch kommen und unsere Beratung anbieten. Das Problem der zunehmend schwierigeren Besetzung von Kassenstellen ist allen schmerzlich bewusst.“

Gemeindevetreter fordern Lösungen

Auch eine Umfrage des KOMMUNAL-Verlages unter Bürgermeistern, Vize-Bürgermeistern, Amtsleitern, Gemeindemandataren und anderen Gemeindebediensteten belegt, dass das Thema zunehmend problematisch wird und sie neue Lösungsansätze einfordern, berichtete Wutscher: 

  • Fast 70 Prozent der Gemeindevertreter stimmen zu, dass sich die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Kassenärzte positiv auf die Zukunft ihrer Gemeinde auswirken würde.
  • 56 Prozent der 789 Teilnehmer meinen, dass Erleichterungen bei Gründung und Bewahrung von ärztlichen Hausapotheken eine positive Auswirkung auf die Zukunft ihrer Gemeinden haben würde.
  • Bei der Möglichkeit für Ärzte, in ihrer Praxis Medikamente abzugeben, stimmen 58 Prozent zu.
Edgar Wutscher
Edgar Wutscher: „Die Patientenversorgung am Land ist essentiell, ob eine Region überlebt.“ Foto: ÖÄK/Stefan Seelig

„Das zeigt klar, dass die Patientenversorgung am Land essentiell dafür ist, ob eine Region überlebt“, sagte Wutscher: „Wenn es keinen Arzt im Ort gibt, wird es schwierig sowohl mit dem Zuzug, als auch damit, die Bevölkerung im Ort zu halten.“ Daher fordert die Bundeskurie niedergelassene Ärzte neben flexibleren Kassenverträgen auch den Schutz der ärztlichen Hausapotheken und Recht auf Medikamentenabgabe für alle niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte.

Zeitgemäße und patientennahe Versorgung muss her 

Die medikamentöse Versorgung von Patienten durch ihre Hausärzte immer größeren gesetzlichen Restriktionen. Die Folge: Die Zahl der hausapothekenführenden Niederlassungen nimmt stetig ab. Eine zeitgemäße, patientennahe Versorgung sieht anders aus, unterstrich Silvester Hutgrabner, Leiter des ÖÄK-Referates für Hausapotheken und Medikamentenabgaben.

Silvester Hutgrabner
Silvester Hutgrabner: „Größtes Hindernis für den Betrieb von ärztlichen Hausapotheken ist das veraltete Apothekengesetz.“

„Größtes Hindernis für den Betrieb von ärztlichen Hausapotheken ist das veraltete Apothekengesetz. Dort heißt es, dass im Umkreis von vier Straßenkilometern einer öffentlichen Apotheke keine ärztliche Hausapotheke bewilligt werden darf, im Umkreis zwischen vier und sechs Kilometern nur in Form einer Nachfolgepraxis.  Und genau da liegt der Kern des Problems“, so der Allgemeinmediziner. 

Bis 1998 gab es österreichweit knapp 1.000 öffentliche Apotheken und 1.100 ärztliche Hausapotheken. Nach etlichen Gesetzesnovellen und höchstgerichtlichen Entscheidungen hat sich die Zahl der ärztlichen Hausapotheken auf aktuell rund 800 verringert, während die Zahl der öffentlichen Apotheken auf gut 1450 gestiegen ist, schilderte Hutgrabner die zunehmende Schieflage. „Dabei sagen uns Studien, dass die Stärkung ärztlicher Hausapotheken dabei helfen würde, offene Kassenstellen zu besetzen. Von bis zu 400 neuen Kassenärzten gehen die Experten dabei aus“, betonte Hutgrabner.

Kein Wunder: Das Einzugsgebiet der Ärztinnen und Ärzte mit den österreichweit 800 Hausapotheken umfasst rund 3 Millionen Menschen. „Und in vielen dünner besiedelten Regionen sichert die Hausapotheke das Bestehen einer ärztlichen Ordination überhaupt erst ab“, unterstrich Hutgrabner.

Mehr Rücksicht auf älter werdende Bevölkerung

„Dass der Tierarzt im Gegensatz zum Humanmediziner beim Hausbesuch alle Medikamente mit dabeihat, legt den Schluss nahe, dass es der kranken Kuh besser geht als der kranken Bäuerin“, veranschaulicht Carmen Berti-Zambanini die Situation. 

Carmen Berti-Zambanini
Carmen Berti-Zambanini: „Dass der Tierarzt im Gegensatz zum Humanmediziner beim Hausbesuch alle Medikamente mit dabeihat, legt den Schluss nahe, dass es der kranken Kuh besser geht als der kranken Bäuerin.“

Die Allgemeinmedizinerin aus dem Bregenzerwald fordert außerdem mehr Rücksichtnahme auf die älter werdende Bevölkerung: „Immer mehr Menschen sind darauf angewiesen, dass ihnen Verwandte oder Freunde die benötigten Medikamente aus der Apotheke mitbringen. Die anderen, die noch fir genug für den Weg zur Apotheke sind, zwingen wir nachts in Autos oder Postbusse, damit sie die Therpaie bekommen, die sie benötigen. Dieser Zustand ist des 21. Jahrhunderts einfach unwürdig“, kritisierte sie. Ein weiteres Beispiel zeige, wie auf Kosten der Bevölkerung vorgegangen werde: „Geht ein Arzt, der in seiner Ordination eine Hausapotheke führt, auf Urlaub, darf der Arzt, der ihn in dieser Zeit in der Praxis vertritt, keine Medikamente aus der Hausapotheke abgeben. Auch das ist eine völlig aus der Zeit gefallene Regelung“, so Berti-Zambanini. 

Hausapotheken für PVE gewünscht

Völlig unverständlich sei zudem, dass Primärversorgungseinrichtungen überhaupt keine ärztlichen Hausapotheken führen dürfen, ergänzte Berti-Zambanini: „Sie können sich in den PVE zwar von mehreren Allgemeinmedizinern oder Kinderärzten behandeln lassen, sie können dort Ernährungsberatung oder Physiotherapie bekommen – aber für die Medikamente müssen kranke Menschen erst wieder den umständlichen, meist zeitaufwändige Weg zur nächsten Apotheke auf sich nehmen.“ 

Dabei habe genau das die Bundeswettbewerbsbehörde in ihrem Bericht aus 2019 empfohlen: „Die BWB empfiehlt, zusätzlich zu der bereits bestehenden Bestimmung über die Kooperation der PVE mit öffentlichen Apotheken, eine Möglichkeit vorzusehen, dass in PVE selbst auch Hausapotheken geführt werden dürfen. Dies würde vor allem im ländlichen Bereich einen Mehrwert der ganzheitlichen gesundheitlichen Versorgung bringen“, heißt es dort explizit, unterstreicht Berti-Zambanini: „Deutlicher kann man das eigentlich nicht formulieren und auch die ersatzlose Streichung der Mindestentfernungen findet sich explizit in diesem Bericht.“ 

Die Forderungen

Wutscher, Hutgrabner und Berti-Zambanini fordern daher, diese Empfehlungen endlich umzusetzen. Ein nächster, logischer Schritt sei das Dispensierrecht, also die Möglichkeit für alle niedergelassenen Ärzte, Medikamente abzugeben. Diese Botschaft steht im Zentrum einer demnächst startenden Kampagne, dabei betonen wir vor allem, die Aspekte patientenfreundlich, einfach und diskret und fünf zentrale Gründe, warum Österreich die Medikamentenabgabe in der Ordination braucht, kündigte Hutgrabner an:

  • Diagnose und Therapie aus einer Hand
  • Patientinnen und Patienten ersparen sich unnötige Wege
  • Weniger unnötige Kilometer entlasten auch die Umwelt
  • Weniger unnötige Wege bedeutet weniger neue Infektionsketten
  • Hausärzte können das Medikament beim Hausbesuch gleich mitnehmen

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