Gemeindebau am ehemaligen Nordbahnhof in Wien
Der grüne und mehrfach ausgezeichnete Gemeindebau am ehemaligen Nordbahnhof in Wien zeigt, wie zeitgemäße und klimawirksame Architektur aussehen kann und wurde für seine Vielzahl an Wirkungen mit greenpass Gold ausgezeichnet.
© Hertha Hurnaus

Klimaresilienz im Bau als Pflicht und Chance

Extreme Wetterereignisse, zunehmende Hitzeperioden und die wach­sende Flächenversiegelung stellen Kommunen, Städteplaner und die Bauwirtschaft vor neue Herausforderungen. Österreichs Gemeinden agieren zunehmend als Vorreiter zukunftsfähiger Planung. Klimaresilienz – also die Fähigkeit von Siedlungsstrukturen, mit klimatischen Stresssituationen aktiv umzugehen – wird zum zentralen Leitmotiv nachhaltiger Stadtentwicklung.

Der Juni 2025 zählte zu den heißesten Monaten der Messgeschichte Österreichs. Besonders in dicht bebauten Innenstädten stauen sich die Temperaturen – versiegelte Flächen speichern Wärme, fehlende Verschattung verhindert Abkühlung. Doch mit gezielten baulichen und städtebaulichen Maßnahmen lässt sich die Hitzebelastung deutlich senken, wie Stadtentwicklungsexperte Gregor Grassl von Drees & Sommer erklärt. Gezielte Maßnahmen in Stadtplanung und Bauwesen können weit mehr als nur Hitzeinseln entschärfen: „Sie verbessern die Luftqualität, steigern die Energieeffizienz und fördern zudem die Biodiversität. Es gibt bereits erprobte Lösungen, die nicht nur für Abkühlung sorgen, sondern auch die Lebensqualität erhöhen und Städte widerstandsfähiger gegen die Folgen der Klimakrise machen“, so Grassl.

Innovative Lösungen schneller zugänglich machen

Um klimafreundliche Stadtentwicklung in Europa voranzutreiben, arbeitet Drees & Sommer mit strategischen Plattformen wie ­„BABLE Smart Cities“ und dem „Neuen Europäischen Bauhaus“ zusammen. BABLE ist Europas führender Innovationsbeschleuniger für die öffentliche Hand und unterstützt Städte mit KI-gestützten Analysen, Wissenstransfer aus über 10.000 Kommunen und einfacherem Zugang zu Finanzierung – so lassen sich Projekte bis zu 50 Prozent schneller umsetzen. 

Das Neue Europäische Bauhaus verbindet Nachhaltigkeit, Ästhetik und Inklusion; als offizielles Mitglied bringt Drees & Sommer hier seine Erfahrung in klimaneutralem Bauen ein und fördert gemeinsam mit Partnern Projekte, die Umweltfreundlichkeit und Lebensqualität verbinden.

Lösungsansätze gibt es viele – sie müssen jedoch integriert gedacht und lokal angepasst werden. Stadtplaner Gregor Grassl nennt fünf zentrale Maßnahmen, die sich auch auf österreichische Städte übertragen lassen: mehr Schatten durch Bäume, Begrünung und Entsiegelung, helle Materialien zur Reduktion von Hitzespeicherung, energiearme Kühlung und vertikale Nachverdichtung mit Durchlüftungspotenzial.

Andreas Kipar
Andreas Kipar, Landschaftsarchitekt und Stadtbauer: „Die Defizite von heute sind die Chancen von morgen. Gemeinden dürfen sich ganz neu positionieren und können im überschaubaren Rahmen das machen, was große Städte kaum schaffen.“ 

Andreas Kipar ist deutscher Landschaftsarchitekt, italienischer Städtebauer und unterstützt seit einigen Jahren auch hierzulande den Paradigmenwechsel im Umgang mit unserer gebauten Umwelt. Gegründet wurde dafür in Österreich die Niederlassung „LAND consulting Austria“, ein Beratungs- und Planungsunternehmen, das Bauherren und speziell Kommunen dabei begleitet, ihre urbanen Landschaften radikal neu zu denken. 

„Wir haben in den letzten 30 Jahren über 300 Gemeinden bei den Themen Gemeindeentwicklungsplanung, Umweltplanungen, aber auch Grünordnungsplanung begleitet. Bis vor kurzem in den Wachstumsjahren war es immer so, dass die etwas kleineren Gemeinden ja eher den Trend der Großstädte nachgelaufen sind. Jetzt beginnen sie selbst Vorläufer zu werden. Es ist hochinteressant, wenn man sich die Gemengelage in Österreich ansieht, dass sich hier Gemeinden ganz neu positionieren dürfen, weil sie auch im überschaubaren Rahmen genau das machen, was die großen ­Städte kaum schaffen.“

Gemeinden haben zunehmend erkannt, dass Landschaft und Klimaresilienz nicht nur ökologische, sondern soziale und wirtschaftliche Faktoren sind. Der Druck aus der Bevölkerung – insbesondere Familien und nachhaltig agierende Betriebe – fordert neue Formen der Quartiersentwicklung. Dabei geht es nicht um Verzicht, sondern um ein „Mehr durch Weniger“: intelligentere Flächennutzung, Aktivierung von Leerständen und multifunktionale Freiräume.

Denken in Schichten – Freiraum auch auf Dächern und unter der Erde Stadtentwicklungsexperte 

Andreas Kipar fordert eine radi­kale Umstellung unseres Raumdenkens. Freiraum ­dürfe nicht mehr nur horizontal, sondern müsse vertikal – auf und unter Gebäuden – mitgeplant werden. In Mailand etwa wird über das Schwarzwälder-Kirsch-Prinzip der Raum in fünf Schichten genutzt: von begrünten Dächern bis zu versorgungsorientierten Untergeschossen. Dieses Denken beginnt sich auch in Österreich durchzusetzen, etwa mit Projekten wie der Libelle im Museumsquartier, wo öffentlich zugänglicher Freiraum auf dem Dach geschaffen wurde.

Forschung für eine neue Generation von Stadtverwaltung und -entwicklung 

Mit dem ESG-Stadtlabor beschäftigt sich ein von der FFG gefördertes Forschungsprojekt, das innovative Strategien für eine ESG-konforme Stadtentwicklung und Stadtverwaltung erarbeitet. 

Beteiligt sind neben der leveldrei Projektentwicklung GmbH als Initiatorin auszugsweise auch die TU Wien ­(Future.lab der Fakultät für Architektur und Raumplanung). Im Mittelpunkt steht eine österreichweite Online-Umfrage, die Mitarbeiter:innen von Verwaltungen, politische Repräsentant:innen, Stakeholder:innen und Bürger:innen einbindet. 

Das ESG-Stadtlabor will Grundlagen schaffen, damit Städte künftig nach ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) handeln können. Dabei geht es nicht nur um den Umweltschutz, sondern auch um soziale Gerechtigkeit, transparente Entscheidungsprozesse und eine verantwortungsvolle Verwaltungsführung.

„Besonders kleinere Städte mit bis zu 15.000 Einwohnern können bei der Umsetzung nachhaltiger Projekte aufgrund begrenzter Ressourcen und komplexer Planungsprozesse schnell an ihre Grenzen stoßen. Genau hier setzen wir an“, erklärt Projektinitiatorin Michaela Zois von leveldrei Projektentwicklung GmbH. Das Projektteam entwickelt eine ESG-Matrix als praxisnahe Entscheidungshilfe. Diese soll Städte dabei unterstützen, Projekte effizient, nachhaltig und nachvollziehbar umzusetzen. Bestandteil der Matrix ist auch ein Informationsboard, das auf einen Blick zeigt, welche Impulse eine Stadt in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance setzt.

Bürgermeister St. Veit/Glan, Stadtamtsleiterin Birgit Kuhn-Veratschnig, Anna Köstlinger (Umwelt-, Klima- und Energiekoordination), Projektleiterin Michaela Zois und Stadtrat Walter Brunner
Vorreiter in Sachen Klimaverantwortung: Martin Kulmer, Bürgermeister St. Veit/Glan, Stadtamtsleiterin Birgit Kuhn-Veratschnig, Anna Köstlinger (Umwelt-, Klima- und Energiekoordination), Projektleiterin Michaela Zois und Stadtrat Walter Brunner. Foto: Stadt St. Veit/Glan

Die Pionier-Kleinstadt St. Veit/Glan ist als Partner von Beginn an dabei und positioniert sich als Vorreiter. „St. Veit will Vorreiter in klimaverantwortlicher, sozial gerechter und digital transformierter Verwaltung sein. Das ESG-Stadtlabor ist unser strategisches Format, um diese Transformation ganzheitlich zu denken und konkret umzusetzen“, sagt Bürgermeister Martin Kulmer. Auch Umweltstadtrat Walter Brunner betont die Relevanz: „Wir haben 2024 unseren Klimaneutralitätsfahrplan beschlossen. Erste Initiativen laufen bereits. Aber generell fehlt noch die umfassende Verankerung von ESG-Kriterien in Stadtverwaltungen und Entscheidungsprozessen. Das wollen wir mit diesem Projekt ändern.“

Klimaresiliente Quartiersentwicklung 

Das LeopoldQuartier im 2. Wiener Gemeindebezirk ist mehr als nur ein weiteres Bauprojekt – es ist ein zukunftsweisendes Vorzeigeprojekt für nachhal­tige und klimaresiliente Quartiersentwicklung und wurde neben DGNB Gold auch mit greenpass Gold ausgezeichnet. Auf dem Gebiet, wo sich früher neben Wohnungen vor allem ehemalige Betriebs- und Gewerbegebäude befunden haben, entstehen auf fünf Baufeldern nun neue Wohnungen, City-Apartments, gewerblich genutzte Büroflächen, mehr Grün, ein Kindergarten uvm. 

LeopoldQuartier
Das LeopoldQuartier im 2. Wiener Gemeindebezirk ist mehr als nur ein weiteres Bauprojekt – es ist ein zukunftsweisendes Vorzeigeprojekt für nachhaltige und klimaresiliente Quartiersentwicklung. Foto: greenpass

Greenpass ist ein Wiener ClimateTech-Unternehmen, das sich auf die Analyse und Optimierung von klimasicheren Immobilien und Freiräumen spezialisiert hat. Es bietet mit dem grünen Pass eine offizielle Bestätigung für die Klimaresilienz von Gebäuden und Freiflächen. Mit modernsten Technologien und Tools wie der greenpass Klima­check App und der 3D-Analyse mit digitalem Zwilling und Simulationen für Klima, Wasser und Wind können Immobilienentwickler und -besitzer fundierte Entscheidungen treffen und ihre Projekte zukunftsfähig gestalten sowie dabei Kosten/Nutzen effizient optimieren.

Greenpass unterstützte UBM bereits frühzeitig sowie über den gesamten Planungsprozess des Quartiers hinsichtlich der Themen Klimaresilienz und Nachhaltigkeit und war auch Teil des Qualitäts­sicherungs-Gremiums für die Quartiersentwicklung. Den Anfang bildete eine tiefgreifende Grundlagenanalyse des Masterplans sowie der Bestandssituation mit dem greenpass Klima-­Modul. Basierend auf einem digitalen Zwilling und Mikroklimasimulationen wurde ein Klimaresilienzhandbuch mit Do’s & Don’ts sowie speziellen Empfehlungsmaßnahmen als Unterstützung und Grundlage für die Wettbewerbsteilnehmer des städtebaulichen Wettbewerbs erstellt. Diesem folgte eine umfassende Klimaresilienzvorprüfung der verschiedenen Wettbewerbsbeiträge als Entscheidungshilfe für die Jury sowie eine gezielte Optimierung des Siegerentwurfs hinsichtlich Klimaresilienz. 

Der Gewinnerentwurf des Wettbewerbs wurde in einem nächsten Schritt mit einer greenpass-Vorzertifizierung gesamtheitlich hinsichtlich der Themenfelder Klima, Wasser, Luft, Biodiversität, Energie und Kosten sowie den Bonuskategorien Ökologie, Ressourcen, Soziales und Mobilität mit mehr als 50 aussagekräftigen Indikatoren bewertet. Im Lauf der Planung wurden für eine weitere Optimierung verschiedene Begrünungsszenarien hinsichtlich deren Wirksamkeit untersucht und Schlussfolgerungen abgeleitet.

Windcheck 

In der Detailplanung wurde des Weiteren ein ausführlicher Windcheck durchgeführt, der auf hochauflösenden 3D-Strömungssimulationen basiert und die Optimierung der Durchlüftung und des Windkomforts unterstützt. Dabei wurden auch potenzielle Windgefahren identifiziert und Maßnahmen zur Vermeidung von Fallwinden ergriffen.

Neben der Klimawandelanpassung wurden auch die Themen Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft fokussiert berücksichtigt. Mit einer Geothermieanlage, die die natürliche Erdwärme nutzt, und über 1.000 Photovoltaik-Paneelen gelingt es, das Quartier nahezu CO₂-neutral zu betreiben. Die Anlage umfasst rund 200 Tiefenbohrungen und Erdsonden, die jährlich 4.800 MWh an Heiz- und Kühlenergie liefern. So bleibt das LeopoldQuartier autark und energieeffizient.

Grüne Oasen in der Stadt 

Auch bei der Gestaltung des Quartiers setzen die Planer auf Nachhaltigkeit. Große Grün- und Staudenflächen, neue Baumpflanzungen sowie Dach- und Fassadenbegrünungen sorgen für ein angenehmes Mikroklima und thermischen Komfort. Regen- und Grauwasser werden für Bewässerung genutzt, was Ressourcen schont. Die „Grüne Mitte“ im Innenhof ist eine neue, urbane Oase, die zum Verweilen einlädt und den Bewohnerinnen und Bewohnern Rückzugsräume bietet.

Entsiegelung und Regenwassermanagement 

Im Vergleich zu vorher entsiegelt das Quartier 39 Prozent der Fläche bzw. besteht mehr als die Hälfte des Quartiers aus Grünflächen. Bezüglich dem Themenfeld Wasser kann der Abflussbeiwert von 0,63 auf 0 gesenkt werden, sodass jegliches Wasser im Quartier verbleibt und für die Begrünung effektiv verwendet werden kann. Dank Schwammstadtprinzip kann regelmäßig so viel Wasser wie in 85.889 vollen Badewannen gespeichert werden.

Schwammstadt und klimaresiliente Stadtplanung im Fokus von Starkregen und Trockenheit 

Topthemen im Umgang mit Regenwasser
Topthemen im Umgang mit Regenwasser

Längere Hitzeperioden und geringerer Niederschlag im Sommer sowie häufigere Starkregen­ereignisse bei zunehmender Versiegelung führen vor allem in Städten zu einem Umdenken im Umgang mit Regenwasser. Klimaresiliente Innen­städte brauchen Regenwasser – um Stadtbäume mit ausreichend Wasser zu versorgen, Überhitzung zu verhindern und den natürlichen Wasserhaushalt so gut wie möglich zu erhalten. 

Eine aktuelle Marktbefragung der Mall GmbH zum Umgang mit Regenwasser in Deutschland, Österreich und der Schweiz, an der im Frühjahr 2025 insgesamt 4.458 Personen aus Architektur- und Ingenieurbüros, Handwerk, Behörden, Hochschulen und dem Baustofffachhandel teilgenommen haben, sehen 77 Prozent der Befragten die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung positiv. 

Die ungleiche Verteilung des Regenwassers zwischen punktuellem Starkregen und Trockenperioden spiegelt sich in den Topthemen der Zukunft wider: Starkregen und Regenwassernutzung stehen mit 74 und 72 Prozent bei den Befragten ganz oben. 

Insgesamt zeigt sich, dass alle Bausteine der Regenwasserbewirtschaftung, nämlich Rückhaltung, Speicherung/Nutzung, Behandlung, Versickerung und Verdunstung, notwendig sein werden, um den Auswirkungen des Klimawandels entgegenzuwirken. Mall-Geschäftsführer Christoph Schulze Wischeler betont, dass die Schwammstadt kein Pilot­projekt mehr ist, sondern mit entsprechenden Lösungen praktisch umsetzbar: unterirdisch und dezentral.  



 

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