Gemeindebund-Delegation in der Ukraine

„Wir Europäer dürfen die Ukraine nicht im Stich lassen“!

Auf Einladung der österreichischen und der ukrainischen Botschaft reiste eine 13-köpfige Delegation des Österreichischen Gemeindebundes unter der Leitung von Vizepräsident Stefan Seif Anfang Juni nach Kiew zum Gemeindetag der ukrainischen Städte und Gemeinden.

Auf dem Programm standen – neben einer Einladung zum Gemeindetag – auch Gespräche mit ukrainischen Gemeindevertretern über mögliche Partnerschaften und Kooperationen, ein Austausch zur aktuellen Lage in der Ukraine sowie ein Besuch in der Botschaft. Was bei keiner Reise in die Ukraine fehlen darf: der Besuch der vom russischen Angriffskrieg schwer zerstörten Gemeinden Bucha, Borodianka und Irpin sowie der Gedenkstätten für tausende gefallene Soldaten und unschuldig getötete Zivilisten.

Eindrücke, die unter die Haut gehen

Stefan Seif
Delegationsleiter Stefan Seif.

„Das war definitiv keine normale Reise“, sagt Stefan Seif, Vizepräsident des Niederösterreichischen Gemeindebundes und Delegationsleiter der 13-köpfigen Gruppe. „Uns war bewusst, dass wir in ein Land reisen, das sich im Krieg befindet. Wenn man aber dann vor Ort ist, laufend Alarmierungen wegen Drohnenangriffen aufs Handy bekommt und überall mit Kriegsschäden, trauernden Menschen und Gedenkstätten konfrontiert wird – das sind Erlebnisse, die mir persönlich sehr nahe gegangen sind und die ich nie vergessen werde“, so Seif.

Umso wichtiger sei es jetzt, die Ukraine mehr denn je zu unterstützen – sei es finanziell, mit Hilfslieferungen, mit Gemeindepartnerschaften oder -kooperationen. „Österreich, Europa und die ganze Welt – wir alle müssen die Ukraine unterstützen und dürfen nicht tatenlos zusehen, wie die Russen dieses freie und friedliche Land zerstören“, mahnt Seif.

Delegation aus Österreich vor Ort

Begleitet wurde Seif von 12 Bürgermeister:innen und Gemeindevertreter:innen – darunter Helmut Mall (St. Anton), Benedikt Lentsch (Zams), Christian Pinzker (Unterkohlstätten), Norbert Sulyok (Kohfidisch), Patrick Wolf (Pettneu), Roland Wechner (Flirsch), Thomas Schwab (Gramatneusiedl), ein Stadtrat aus Traiskirchen sowie Norbert Ciperle (Stadtrat, Traiskirchen), Sebastian Kolland (Vizebürgermeister, Ebbs), Stefan Bubich (Landesgeschäftsführer Gemeindebund Burgenland), Mario Mossauer (Amtsleiter, Kobenz) und Oksana Leochko.

Gemeinsam reiste die Delegation per Zug in knapp 20 Stunden von Wien über Przemysl nach Kiew.

Alltag in Kiew: zwischen Normalität und Alarm

Auch wenn das Leben in Kiew auf den ersten Blick „normal“ wirkt, ist der Krieg allgegenwärtig. In der Nacht auf den 6. Juni wurde die Stadt von einem der schwersten Drohnenangriffe der letzten Zeit erschüttert.

„Einige Teilnehmer unserer Delegation verbrachten die Nacht im Bunker, die Alarm-App war durchgehend auf Warnstufe rot“, berichtet Seif. Sogar Außenministerin Alexander Schallenberg meldete sich per WhatsApp bei Seif, um sich über das Wohlergehen der Delegation zu erkundigen – auch mit lieben Grüßen von Johannes Pressl und Beate Meinl-Reisinger.

Eine Nacht im Bunker

Für Helmut Mall, Bürgermeister aus St. Anton war es bereits die zweite Reise in die Ukraine. Wie im vergangenen Jahr war auch diese Fahrt für den Tiroler eine Erfahrung mit „aufwühlenden Erlebnissen und Erzählungen“, wie er sagt. 

„Verstärkt wurde dieses Gefühl diesmal sicher dadurch, dass wir die Nacht in einem Bunker, statt im Hotelzimmer zubringen mussten“, erzählt Helmut Mall. Tagsüber sei es eine andere Welt in Kiew: „Man glaubt nicht, dass das Land im Krieg ist. Das Leben in der Stadt pulsiert, die Menschen sitzen in den Kaffees, gehen aus, gehen in die Arbeit. Wenn die Sirenen-Warnapp ertönt, sucht man einen naheliegenden Schutzraum auf und das Leben geht weiter“, schildert der Bürgermeister. 

Allerdings zeige sich – und auch die Gespräche mit den Ukrainern bestätigen es – der Krieg wird härter, die Unterstützung für die Ukraine schwindet. „Mein Auftrag für zuhause ist, allen zu erzählen, dass wir die Ukraine nicht aufgeben dürfen, sondern sie weiter zu unterstützen. Die Ukraine ist Teil Europas und wir brauchen dieses Land“, appelliert Mall. 

Der Bürgermeister wird jedenfalls nicht müde in Österreich und in seinen Netzwerken weiter „Werbung“ für die Ukraine und deren Unterstützung zu machen – jetzt mehr denn je. Dass sich das Engagement lohnt, sieht Mall nicht nur an den Partnerschaften und Unterstützungen, die er mit Ukrainern bereits geschlossen hat – er wurde auch mit dem „Goldenen Herz der Ukraine“ von Präsident Selenski für sein Engagement für die Ukraine geehrt. .

Kiew aus persönlicher Perspektive

Dass ein halbwegs „normales“ Leben in Kiew trotz Kriegs möglich ist, hat Norbert Ciperle, Stadtrat aus Traiskirchen zumindest zwei Tage hautnah erleben dürfen. Der Niederösterreicher hat vor drei Jahren eine Ukrainerin mit ihren zwei Kindern (19 und 8) in seinem Haus in Traiskirchen aufgenommen und nun in Kiew die Verwandten seiner Mitbewohner besucht. 

„Als die Drohnenangriffe begannen, waren wir gerade mit dem Essen fertig. Ich war in einer Wohnung im 8. Stock, einem Plattenbau ohne Bunker. Einige Bewohner gingen zu den Fenstern, andere beteten dort, wo sie waren, mir wurde der sicherste Platz in der Wohnung zugewiesen“, schildert Norbert Ciperle. 

Als die erste Rakete einschlug – das war 700 Meter vom Wohnblock entfernt – brach keine Panik aus. „Man spürte die Detonation, hörte die Sirenen und Hundegebell“, erzählt Ciperle. Am nächsten Tag habe er die Stelle des Einschusses gesehen, Glutnester haben noch geraucht, die Feuerwehr war mit Aufräumarbeiten beschäftigt, die Menschen haben gelernt mit Krieg umzugehen.

„Ich habe Europa noch nie so stark gefühlt, wie in der Ukraine. Wenn möglichst viele Menschen und Gemeindevertreter die Möglichkeit hätten, in die Ukraine zu reisen, wäre auch ein größeres Verständnis für die Ukraine da“, ist sich Norbert Ciperle sicher. Er ist sich jedenfalls sicher, dass man jetzt schon die wirtschaftlichen Beziehungen zur Ukraine massiv ausbauen, den Beitrittsprozess forcieren und Unterstützungen auf allen Ebenen vorantreiben muss. 

Und was Ciperle noch mitnimmt aus Kiew: „Die Russen zerstören die alte Ukraine, und die Ukrainer bauen jetzt die neue Ukraine auf. Oder aus den Worten einer Bürgermeisterin in der Ukraine: „Wir warten nicht aufs Kriegsende! Wir gestalten die Zukunft heute." „Allerdings müssen wir ihnen dabei helfen“, sagt Ciperle.

Nach prägenden Erlebnissen, unter die Haut gehenden Erzählungen, Gesprächen mit Hinterbliebenen, und voller Motivation noch mehr für die Ukraine zu tun, ist die Delegation wohlbehalten wieder nach Österreich zurückgekehrt. Die Teilnehmer waren sich einig: „Wir müssen jeden Tag aufs Neue dankbar sein, wie gut es uns geht, in einem demokratischen, friedlichen und sicheren Österreich zu leben.“

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