Überwachungskamera an einem Bahnsteig
Keine flächendeckende Überwachung steht im Vordergrund, sondern punktgenaue Maßnahmen dort, wo es in der Vergangenheit Probleme gab: Bahnhöfe, Plätze mit wiederholten Sachbeschädigungen.
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Sicherheit im öffentlichen Raum

Warum Gemeinden auf Videokameras setzen (wollen)

Bahnhofsplätze, Marktplätze, Schulwege – dort, wo Menschen zusammenkommen, fühlen sich viele Bürgermeister machtlos gegenüber Vandalismus und Gewaltdelikten. Bisher scheiterten Versuche, mit Kameras gegenzusteuern, oft an rechtlichen Hürden. Mit dem neuen Erlass des Innenministers können Gemeinden nun ­deutlich leichter Videoüberwachung einsetzen – nicht flächendeckend, sondern gezielt an Hotspots. Was das in der Praxis bedeutet, zeigt das Beispiel Wörgl: Dort wartet seit Monaten eine Kamera am Bahnhof darauf, endlich eingeschaltet zu werden.

Ein kalter Jännermorgen in Wörgl. Am Bahnhofsplatz herrscht reger Betrieb, Pendler eilen zur Arbeit, Schüler steigen in die Busse. Hoch oben an einer Straßenlaterne thront eine kleine 360-Grad-Kamera. Sie könnte alles sehen – doch sie ist abgeschaltet.

Michael Riedhart
„Es geht vor allem um Prävention – und darum, dass die Menschen sich in ihrer Stadt wieder sicher fühlen.“ Michael Riedhart, Bürgermeister von Wörgl

„Wir haben diese Kamera montiert, nachdem es hier zu mehreren Vorfällen kam – Übergriffe, Vandalismus, sogar ein Mann mit Machete und Baseballschläger war dabei“, erzählt Bürgermeister Michael Riedhart. Die Hoffnung: Straftaten verhindern, das Sicherheitsgefühl der Menschen stärken. Doch die Kamera musste wieder vom Netz. Die Datenschutzbehörde hatte Bedenken und auch die Landespolizeidirektion verweigerte die Zustimmung.

Riedhart ließ die Kamera hängen – in der Erwartung, dass sich die Rechtslage bald ändern könnte. Und tatsächlich: Mit der neuen Verordnung von Innenminister Gerhard Karner reicht künftig schon eine sicherheitspolizeiliche Prognose aus, um Videoüberwachung an neuralgischen Punkten einzusetzen. „Wir brauchen die Kamera jetzt nur mehr einschalten“, sagt der Bürgermeister. Für ihn geht es nicht um Kontrolle, sondern um Prävention: „Wir wollen abschrecken und gleichzeitig im Anlassfall die Polizei bei der Aufklärung unterstützen.“

Was zukünftig erlaubt ist

Am 10. August hat Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) im ORF und gegenüber APA-Medien angekündigt, die Videoüberwachung an öffentlichen Orten deutlich auszuweiten. Kernpunkt: Ein neuer BMI-Erlass soll die Anordnung an „neuralgischen Punkten/Hotspots“ bereits bei „begründeter sicherheitspolizeilicher Prognose“ ermöglichen (das war bisher nur nach bereits begangenen „gefährlichen Angriffen“ möglich). Genannt wurde eine Ausweitung von aktuell rund 20 auf eine „dreistellige Zahl“ an gewissen Orten mit einer Speicherdauer von 48 Stunden.

ORF, APA und regionale ORF-Landesseiten haben die Eckpunkte bestätigt (dreistellige Zahl, 48 Stunden, Hotspots). Parallel veröffentlichte der Gemeindebund am 10. August eine OTS-Aussendung und begrüßte die Erleichterung ausdrücklich.

Es handelt sich um einen Erlass des Innenministeriums zur Anwendung des bestehenden Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) – kein Gesetz. Die Berichte weisen den Erlass als bereits beschlossen aus; operative Details (Standortauswahl, Anlassdefinition) laufen über sicherheitspolizeiliche Lageeinschätzungen der Behörden in Kooperation mit Ländern/Gemeinden. 

Bei der Überwachung öffentlicher Orte sieht das SPG zusätzlich Kontrollmechanismen wie die Befassung des Rechtsschutzbeauftragten vor – was eine allgemeine Rechtsgrundlage und nicht erst durch den neuen Erlass entstanden ist. 

Laut Innenministerium ist eine schrittweise Ausweitung auf weniger als 100 Orte vorgesehen; Beispiele, die in Berichten genannt werden, sind etwa stark frequentierte Plätze und Bahnhofsareale. Es soll keine permanente „Mitschau“ geben; Live-Übertragung wären nur anlassbezogen – etwa bei Schwerpunktaktionen – vorgesehen. Die Löschung der Daten nach 48 Stunden bleibt Standard.

Breite Zustimmung aus den Gemeinden

Die geplanten Erleichterungen stoßen beim Österreichischen Gemeindebund auf breite Zustimmung. Präsident Johannes Pressl betont, dass Sicherheit ein zentrales Anliegen der Gemeinden sei: „Wenn wir mit moderner Technik in Zusammenarbeit mit der Polizei dazu beitragen können, Straftaten zu verhindern und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken, ist das ein wichtiger Schritt.“

Wichtig sei, verantwortungsvoll mit der neuen Möglichkeit umzugehen. Keine flächendeckende Überwachung, sondern punktgenaue Maßnahmen dort, wo es in der Vergangenheit Probleme gab: Bahnhöfe, Plätze mit wiederholten Sachbeschädigungen, Hotspots von Gewalt oder Drogenkriminalität. „Es geht nicht um eine Kamera an jeder Straßenecke, sondern um Prävention in gefährdeten Bereichen – im Rahmen der geltenden Datenschutzbestimmungen“, betont Pressl wiederholt.

Der Gemeindebund sieht die Kameras vor allem als Mittel zur Abschreckung. Straftaten sollen gar nicht erst begangen werden – und falls doch, helfen die Aufnahmen der Polizei bei der raschen Aufklärung.

Bereits viele Kameras im Einsatz

Während Gemeinden wie Wörgl noch um jede einzelne Kamera kämpfen, ist Videoüberwachung in den öffentlichen Verkehrsbetrieben längst Realität.

Für die Wiener Linien überwachen beispielsweise rund 14.000 Kameras Stationen, Züge und Busse. Allein in den U-Bahn-Stationen hängen knapp 3.000 Kameras, die rund um die Uhr aufzeichnen. Die Daten werden – wie es das Gesetz vorsieht – nach 48 Stunden automatisch gelöscht. Und der Ausbau geht weiter: Bis 2029 sollen zusätzlich 142 Kameras in den unterirdischen Straßenbahnhaltestellen installiert werden.

Österreichweit betreiben die Bundesbahnen an rund 320 Bahnhöfen rund 7.100 Kameras. In den Zügen selbst sind noch einmal etwa 5.500 Kameras aktiv. Auch hier gilt: Speicherung für 48 Stunden, danach automatische Löschung.
Demgegenüber stehen die Gemeinden: Österreichweit gibt es bisher nur eine Handvoll polizeilich genehmigter Kamerastandorte – insgesamt rund 20 Orte. Viele Bürgermeister scheiterten bisher an rechtlichen Hürden oder langwierigen Verfahren.

Was sich jetzt ändern soll. Mit dem neuen Erlass können Gemeinden Videoüberwachung nicht mehr nur nach zahlreichen Vorfällen beantragen, sondern bereits bei begründeter Gefahr. Für Bürgermeister wie Michael Riedhart ist das eine entscheidende Wende: „Wir wollten nie Big Brother spielen. Aber es kann nicht sein, dass die Leute Angst haben, wenn sie hier aus dem Zug steigen.“

Auch der Gemeindebund betont, dass die Verantwortung klar geregelt ist: Zugriff auf die Daten haben ausschließlich die Sicherheitsbehörden, die Speicherung ist streng auf 48 Stunden begrenzt.

Ein Werkzeug, kein Allheilmittel. Videoüberwachung ist kein Allheilmittel – das räumt auch der Gemeindebund ein. Sie ersetzt keine Polizeistreifen, keine Jugendarbeit, keine Prävention im sozialen Bereich. Aber sie ist ein zusätzliches Werkzeug, das Gemeinden hilft, neuralgische Punkte sicherer zu machen.

Der Vergleich mit Wiener Linien und ÖBB zeigt deutlich, wie groß die Lücke bisher war. Nun haben auch die Gemeinden die Chance, aufzuholen – punktgenau dort, wo es notwendig ist.

Oder, wie es der Bürgermeister von Wörgl formuliert: „Es geht vor allem um Prävention – und darum, dass die Menschen sich in ihrer Stadt wieder sicher fühlen.“

Die wichtigsten Gegenargumente – und ihre rechtliche Stoßrichtung

Die NGO epicenter.works spricht von einem „massiven Angriff auf die Grundrechte“ und bezweifelt nach einem Bericht auf news.ORF.at die Wirksamkeit als Präventionsmittel. Kritisiert werden unter anderem unbestimmte „Hotspots“, eine Ausweitung ohne Einzelfallnachweis und mögliche „Chilling Effects“ im öffentlichen Raum.

Auch andere Kritiker warnen vor Profiling/Bewegungsprofilen (insbesondere in Verbindung mit KI-gestützter Auswertung/Entpixelung) und fordern „klare Schranken“: beispielsweise Zweckbindung, strenge Zugriffsbeschränkung, kurze Speicherfristen, transparente Dokumentation). Medienberichte referenzieren diese Punkte mit Blick auf DSG/DSGVO.

Weiters bezweifeln Datenschutz- und Bürgerrechtsvertreter die „präventive Wirkung“ („lenkt höchstens, verhindert selten“) und pochen auf Evaluierungen und einen „Fokus auf Präsenzmaßnahmen“ statt flächiger Ausweitung.

Juristisch wird – losgelöst vom neuen Erlass – auf bestehende Kontrollmechanismen des SPG verwiesen (u. a. Rolle des Rechtsschutzbeauftragten). Kritiker wollen hier „verbindliche, engere Kriterien“ und „transparente Reportingpflichten“, sobald die Ausweitung greift, wie auf der Plattform „Jusline Österreich“ zu lesen ist.

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