Walter Leiss
Walter Leiss: Es ist Aufgabe der Gewählten, einen Interessensausgleich herbeizuführen und damit ihre Entscheidungen zu begründen.“
© Philipp Monihart

Steht die repräsentative Demokratie auf der Kippe?

Das politische System in Österreich ist von einer repräsentativen Demokratie geprägt. Die vom Volk gewählten Volksvertreter repräsentieren das Volk. Die Volksvertreter werden gewählt (ob in direkter oder indirekter Wahl) und entscheiden eigenverantwortlich. Dieses System wird auch als parlamentarische Demokratie bezeichnet und herrscht sowohl im Bund beim Nationalrat, in den Ländern mit den Landtagen als auch in der Gemeinde mit den Gemeinderäten vor. Die Volksvertreter leiten ihre Legitimation von der Wahl durch das Wahlvolk ab, die wahlberechtigten Bürger und Bürgerinnen, von denen als Souverän die Staatsgewalt ausgeht. Auch parlamentarische Demokratien kennen Elemente der direkten Demokratie wie bspw. Volksabstimmungen oder Volksbegehren. 

Leider ist festzustellen, dass dieses so teuer erkämpfte Recht von den Bürgern und Bürgerinnen immer weniger in Anspruch genommen wird bzw. manchmal sogar in Frage gestellt wird. Dabei braucht man nur wenige Kilometer nach Osten zu sehen, um zu erkennen, was dieses Recht für uns bedeuten sollte. 

Die geringe Wahlteilnahme ist nicht nur ein Phänomen auf Bundes- und Landesebene, sondern trifft auch die Gemeinden. Zuletzt haben bei der Gemeinderatswahl in Tirol 66,6 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen. Im Jahr 2016 waren es noch 71,42 Prozent. Noch dramatischer ist der Rückgang bei der Direktwahl der Bürgermeister und Bürgermeisterinnen. Bei den Bürgermeisterstichwahlen ging die Wahlbeteiligung auf 56,86 Prozent zurück. 

In einigen größeren Städten sogar auf 40 Prozent wie z.B. in Kufstein  oder bei der Wahl 2018 in Innsbruck auf 43,47 Prozent. Das ist insofern bemerkenswert, als doch die Gemeinde und die Bürgermeister als die bürgernächste Instanz gelten. 

Woran liegt es? Was ist zu tun?

Haben Bürger und Bürgerinnen kein Interesse mehr an der Politik? Oder noch schlimmer vertrauen sie den gewählten Mandataren und Mandatarinnen nicht mehr? Wie will man dem begegnen?

Mehr Partizipation und stärkere Einbindung sind die die möglichen Antworten. Die Frage sei gestattet, ob mit derartigen Instrumenten vielmals nur eigenen Interessen zum Durchbruch verholfen werden soll. Vertreten werden oftmals nur Partikularinteressen und der Blick aufs Große und Ganze fällt weg.

Beispiele dafür gibt es eine ganze Menge. Auf lokaler aber auch nationaler Ebene. Soll Grünland in Bauland umgewidmet werden, gibt es dagegen Initiativen. Wozu braucht die Gemeinde eine Erweiterung eines Betriebsgebietes? Dies bringt doch nur mehr Verkehr und andere Beeinträchtigungen. Das daran Arbeitsplätze und Einnahmen für die Gemeinde hängen, interessiert den Einzelnen nicht.

Für Klimaschutz und erneuerbare Energien treten die Bürger und Bürgerinnen ein. Viele demonstrieren auch dafür. Aber geht es um die Umsetzung vor Ort, wird von der lokalen Bevölkerung gegen das Vorhaben mobil gemacht. Sei es ein Biomasseheizkraftwerk für Fernwärme, die Errichtung von Windparks oder die Errichtung von großflächigen Photovoltaikanlagen. Die Errichtung von Wasserkraftwerken scheint für Viele ein Tabu zu sein, da der Eingriff in den Wasserhaushalt doch gar nicht geht.

„Was der Klimarettung dient, ist legitim – und was legitim ist, ist legal“

Straßenbaubauprojekte erleiden ein besonderes Schicksal. Jahrzehntelang geplante Projekte werden wegen Protesten einfach abgesagt oder „neu evaluiert“ oder der Bau durch Protestcamps verhindert oder verzögert. Gerne nimmt man bei den Protesten auch in Anspruch, für die gesamte Bevölkerung zu sprechen. Nicht mehr die gewählten Mandatare und -innen, sondern der von einigen eingebrachte Wille der Zivilgesellschaft soll umgesetzt werden. „Was der Klimarettung dient, ist legitim – und was legitim ist, ist legal,“ formuliert es Frank A. Meyer im Cicero (03/2022) für die Situation in Deutschland, die durchaus auch auf Österreich übertragen werden kann. Maßnahmen und Entscheidungen dürften nur in ihrem Sinne getroffen werden.

Interessensausgleich ist oft nicht einfach

Genauso wie die städtische Bevölkerung Bedürfnisse und Notwendigkeiten hat, bestehen sie auch für die Bevölkerung, die am Land lebt.  Da wird gegen das Auto gewettert, weil man es in der Stadt nicht braucht. Allenfalls für den Ausflug zum Zweitwohnsitz am Wochenende.

Dass die Situation für die Landbevölkerung eine andere ist, wird dabei vergessen. Zu Fuß gehen und mit dem Rad fahren wird hier vielfach vorgeschlagen. Das mag für den städtischen Raum gelten, ist am Land aber in dieser Form nicht möglich. Diesen Ausgleich der Interessen können aber einzelne Initiativen nicht bewerkstelligen. Dafür sind die Gewählten zuständig, die den Überblick und den Interessensausgleich herbeiführen sollen. 

Diesen Ausgleich der Interessen herbeizuführen, ist nicht einfach. Denken wir doch an die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung in den letzten Monaten. Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, zur Aufrechterhaltung unseres Gesundheitssystem und dem Schutz vulnerabler Gruppen, wurden bekämpft. Sie würden allesamt Eingriffe in Grundrechte darstellen. Was kümmert einen die Situation der Gesundheitsberufe in den Spitälern und Pflegeeinrichtungen. Oder täglich vierzig neue Corona-Tote. „Meine Rechte müssen gewahrt bleiben“, wurde oft skandiert.  Dass es für die Entscheidungsträger nicht einfach ist, mit dieser Situation umzugehen, liegt auf der Hand. Selbst die vielen Experten, die von der Regierung beigezogen werden, aber vielmehr alle anderen, argumentieren unterschiedlich und geben anders lautende Empfehlungen. 

Entscheidungshoheit wird delegiert

Hier die richtigen Entscheidungen zu treffen, wird immer schwieriger. Vielleicht ist auch das der Grund, weshalb die Entscheidungshoheit von manchen Ministerien delegiert wird. So wurde beispielsweise ein Klima-Rat eingesetzt, der Vorschläge für Klimaschutzmaßnahmen erarbeiten und vorschlagen soll.

Hat das Ministerium nicht mehr die notwendige Fachexpertise oder geht es darum, Entscheidungen damit zu begründen, dass sie doch von der Zivilgesellschaft gefordert werden?

Noch stärkeres Ungemach ist von der in Arbeit befindlichen Taxonomie-Verordnung der EU-Kommission zu erwarten. Damit beabsichtigt die EU-Kommission festzulegen, was nachhaltig ist und was nicht, und dies mit Mitteln der Finanzsektor-Regulierung. „Das ist grüne Planwirtschaft und kann nicht funktionieren“, warnt der Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, nachzulesen in der März Ausgabe des „Cicero“.

Politik darf nicht durch die Straße bestimmt werden

Sinkende Wahlbeteiligungen sind ein Warnsignal für repräsentative Demokratien. Die gewählten Mandatare, ob Gemeinderäte oder Nationalratsabgeordnete, repräsentieren aber den von der Mehrheit getragenen Willen der Bevölkerung. Dem ist allemal der Vorzug zu geben, gegenüber den durch Einzelinteressen getragenen Initiativen.

Es ist Aufgabe der Gewählten, diesen Interessensausgleich herbeizuführen und damit ihre Entscheidungen zu begründen. Dass damit nicht allen Recht getan werden kann, liegt auf der Hand. Es muss jedoch auch von den sich lautstark artikulierenden Interessensvertretern akzeptiert werden, dass die stillschweigende Mehrheit ihre Ansinnen so nicht mitträgt. Es sollte nicht so weit kommen, dass die Politik durch die Straße bestimmt wird.