Raum wird renoviert
Bei der Renovierungswelle wird es für die Gemeinden darauf ankom-men, wie sehr sich Rat und Parlament mit den Gegebenheiten vor Ort auseinandersetzen wollen.
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Rollt die Renovierungswelle auf uns zu?

Der europäische Green Deal ist in aller Munde. Das Klimagesetz mit seinem Ziel, die EU-Emissionen bis 2030 um 50 bis 55 Prozent zu verringern (die Quote ist noch in Diskussion) und bis 2050 klimaneutral zu sein, wird schon zwischen Rat und Parlament verhandelt.

Ein Ziel ist aber ein zahnloser Tiger, wenn keine konkreten Verpflichtungen folgen. Daher sieht das Arbeitsprogramm für 2021 eine wahre Fülle an „grünen“ Vorschlägen vor und das europäische Narrativ besagt, dass es bei Umsetzung all dessen nur Gewinner gibt. 

Grüner Renovierungsdeal

Dass der Gebäudesektor einen wesentlichen Beitrag leisten muss, verwundert nicht. Der europäische Gebäudebestand ist alt und verschwendet viel Energie für Heizen, Kühlen und den Betrieb energieineffizienter Geräte. Der Sektor zählt zu den größten CO2-Emittenten, die Renovierungswelle soll Abhilfe schaffen.

Aus der EU-Kommissionsmitteilung von Oktober 2020 geht hervor, dass 220 Millionen europäische Gebäude vor 2001 errichtet wurden und der Großteil davon auch 2050 noch stehen wird. Geht man von österreichischen Größenordnungen aus, handelt es sich bei der absoluten Mehrheit der Gebäude um private Wohnbauten, danach um Unternehmenssitze, Werkshallen und ähnliche betrieblich genutzte Gebäude und erst am Ende der Skala lassen sich die Gebäude der öffentlichen Hand zusammenfassen. Bei großzügiger Schätzung ist das eine höhere einstellige Zahl, die haushaltskosmetisch beliebten sale-and-lease-back Modelle bereits mitgerechnet. 

Die Mitteilung gibt einen Überblick über die angedachten Maßnahmen. Es geht um Bauprodukte, Heiz- und Kühlsysteme, die Integration erneuerbarer Energiequellen, energieeffiziente Quartiere, Maßnahmen gegen  Energiearmut, öffentliches Auftragswesen u.v.m. Auch das neue europäische Bauhaus findet sich darin.

Keine Finanzierungsprobleme?

Da der gesamte Grüne Deal als Win-Win-Szenario verkauft wird, gibt es aus Kommissionssicht keine wirklichen Finanzierungsprobleme. Vorgerechnet werden die Milliarden aus dem Aufbaufonds sowie die Gelder aus dem Fonds für einen gerechten Übergang und die Mittel der Struktur- und Kohäsionspolitik.

Außerdem soll die Europäische Investitionsbank zinsbegünstigte Darlehen zur Verfügung stellen, das Finanzierungsinstrument ELENA für Energieprojekte in Regionen und Städten soll aufgestockt werden. In der Theorie hört sich das ausgezeichnet an, doch der jährliche Finanzierungsbedarf von 275 Mrd. Euro wird zum Großteil privat aufgebracht werden müssen, der auf sieben Jahre angelegte EU-Finanzrahmen inklusive Aufbauprogramm Next Generation EU beträgt in Summe knapp über 1,8 Billionen Euro. 

Doch selbst wenn Gemeinden EU-Förderungen oder zinsbegünstigte Darlehen für Renovierungsprojekte erhalten, zuerst braucht es das OK der Gemeindeaufsicht. Derart praktische Herausforderungen sind im Kommissionsvorschlag noch nicht mitbedacht.

Klar ist auch, dass es europäische Ko-Finanzierung nur gibt, wenn die österreichischen Förderprogramme Renovierung zur Priorität machen und die entsprechenden Mittel auch der öffentlichen Hand zugänglich sind.  
Sinnvoll wäre dies durchaus, denn die Kommission sieht vor allem bei Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern und sozialem Wohnbau Handlungsbedarf. 

Gemeinden trifft es jedenfalls

Wird nicht mithilfe von EU-Geldern saniert, plant die Kommission eine Reihe von Richtlinien, die öffentliche Hand und Bauwirtschaft so oder so in die Pflicht nehmen. Neben einer verpflichtenden Renovierungsquote für alle öffentlichen Gebäude, Mindestvorgaben für die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, strengeren Energieaudits und neuen Zielvorgaben für die stoffliche Verwertung von Baumaterial soll auch wieder einmal das Vergaberecht als Hebel genutzt werden.

Insgesamt finden sich im Anhang der Mitteilung 23 Maßnahmen zur Unterstützung der Renovierungswelle. Die Revision der Energieeffizienzrichtlinie und der Gebäuderichtlinie stehen schon 2021 an,hier finden sich auch jene Punkte, welche den kommunalen Gebäudebestand direkt betreffen.

Die Idee hinter der Renovierungswelle ist natürlich sinnvoll. Neu ist sie nicht. Schon seit der Veröffentlichung des Energieeffizienz-Aktionsplans im Jahr 2006 (!) diskutiert man immer wieder über dieselben Maßnahmen, jede neue Richtlinie bringt ein paar Verschärfungen. Anders wären die immer höher gesteckten Ziele auch nicht zu erreichen, denn auf Freiwilligkeit ist kein Verlass. Die Kommission kündigt ihre Vorhaben ganz offen an, immerhin gibt es einen (Klima-)politischen Auftrag von höchster Ebene.

Wie kann ein praktikables Gesamtkonzept aussehen?

Es gibt unzweifelhaft viel Verbesserungspotenzial und energieeffiziente Gebäude tragen nicht nur zum Klimaschutz, sondern auch zur Lebensqualität bei. Fraglich ist aber, wie ein praktikables, finanzierbares und sinnvolles Gesamtkonzept aussehen kann. Die Diskussionen zwischen den EU-Mitgliedern werden hier nicht anders ablaufen als beim Klimagesetz. Während die einen möglichst nur ein europäisches Gesamtziel für den Klimaschutz und die Berücksichtigung geografischer oder historischer Besonderheiten wollen, fordern die anderen heruntergebrochene Ziele für jeden Mitgliedstaat und innerstaatliche Flexibilität bei der Umsetzung.

Bei der Renovierungswelle wird es für die Gemeinden darauf ankommen, wie sehr sich Rat und Parlament mit den Gegebenheiten vor Ort und den vielfältig damit verbundenen Fragen auseinander setzen wollen. Es geht um Gebäudebestand, Nutzungsarten, Vorhandensein von Nah- und Fernwärme, erneuerbare Energien und Energiegemeinschaften und nicht zuletzt um kommunale Haushalte und Stabilitätskriterien.

Viele Fragen offen

Derzeit steht noch die reine Quote im Vordergrund, aber was bringt eine Renovierungsquote für alle, wenn Nutzungsarten und Einsparpotenzial der Gebäude sehr unterschiedlich sind? Würde ein Kleinkindergarten am Land gleichviel zählen wie eine Schule in der Stadt, ein Rathaus aus der Kaiserzeit gleich viel wie ein Bundesministerium?

Das Rechnen in reinen Mengenquoten wäre sinnlos und gefährlich. Denn mit starren Zielvorgaben und der Nichtberücksichtigung örtlicher Realitäten und regionaler Besonderheiten wird sich die EU keine Freunde machen. Oft ist es allerdings der kürzeste Weg. Denn eine Quote ist auf den ersten Blick einfach und verständlich, der Teufel steckt dann im Detail.

Auf die Gemeinden und ihre Verbände wird hier noch viel Arbeit zukommen, in Brüssel und zuhause. Denn auch wenn sie die Ideen der Kommission unterstützen, Umsetzung und Finanzierung müssen vor Ort erfolgen und dürfen nicht in Widerspruch zu anderen Bestimmungen stehen.

Und überhaupt sollte der Ansatz ohnehin ein anderer sein. Man muss nur einen Blick auf die eingangs erwähnten Gebäudenutzungsarten werfen um zu sehen, wo das Potenzial am größten ist. Aber das ist eine andere Geschichte …